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Forschungsprojekt über Burn-out Forschungsprojekt über Burn-out: Dem Burn-out auf der Spur

Von Bernhard Honnigfort 20.06.2015, 08:22

Dresden - Ein Café, ein lauer Nachmittag, ein Tisch unter Platanen, eine Brause mit Limetten, ein Glas Weißwein. Eine junge Frau will ihre Geschichte erzählen. Sie will über ihren Burn-out sprechen. Und über ihren Zustand: Das Ausgebrannt-Sein, die Leere, das Nichts-geht-mehr-Gefühl.

Vielleicht nützt es ja jemandem, der davon hört, denkt sie. Sie ist 38 Jahre alt, Chirurgin. Sie wirkt sympathisch und vergnügt, lacht viel. Aber sie ist in Wahrheit ziemlich am Ende. Sie ist Oberärztin. Seit elf Jahren arbeitet sie an einer namhaften Klinik. Sie fängt um 7.30 Uhr an, ab 8 steht sie im OP und operiert bis 18 Uhr. Ihre Arbeitswoche hat 50 bis 60 Stunden. Nebenbei kümmert sie sich ehrenamtlich um Kinder und Jugendliche in gestörten Familien. Nachts liegt das Handy neben dem Bett, wenn sie Bereitschaft hat.

Sie hat viel durchgearbeitet, mittags nichts Ordentliches gegessen, wenig auf sich geachtet. Sie fehlte nie, auch wenn sie krank war. Die Wochenenden sind auf Monate hinaus mit Freunden, Besuchen, Kurzurlauben durchgeplant. Abends liest sie oft bis tief in die Nacht. „Ich bin eine alleinstehende Nichtmutter“, sagt sie.

Burn-out ist ein Sammelbegriff für ein durch Stress ausgelöstes Erschöpfungssyndrom. Die konkrete Entstehung ist oft so individuell wie der Patient. Sicher ist, dass sich das Gefühl des Ausgebranntseins nicht mal eben durch einen Urlaub beheben lässt. Oft fehlt Menschen mit Burn-out die innere Antriebskraft, die ein Bestehen im Alltag erst möglich macht. Erste Anzeichen können Rücken- oder Kopfschmerzen sein, die sich auf keine organische Ursache zurückführen lassen. Auch chronische Müdigkeit, Schlafstörungen, Nervosität oder Verdauungsprobleme können auf einen Burn-out hindeuten. Die Grenzen zur Depression sind häufig fließend. (lio)

www.burnout-fachberatung.de

Sie ist mehr für andere als für sich da. Sie lässt nichts liegen, beantwortet sofort alle E-Mails und Anfragen. Sie schreibt umgehend die erforderlichen Arztberichte, sie arbeitet am Anschlag und ist anerkannt dafür, geachtet und respektiert. Sie sagt: „Eigentlich bin ich doch ein Glückspilz.“ Vor drei Jahren, der Anfang vom Ende. Sie musste noch mehr ran. Vor einem Jahr stand sie am OP-Tisch und klappte zusammen. „Ich wollte nur noch, dass ich tot bin“, sagt sie. Sie rappelte sich wieder auf und machte weiter. Es war nicht mehr zu übersehen, was mit ihr los war. Sie dachte öfter an Selbstmord.

Damals rief sie einen Psychologen an und bat um Hilfe. Die Diagnose war eindeutig: Burn-out.

Volkskrankheit, Modeerscheinung, oder Depression?

Über Burn-out scheiden sich die Geister. Mal ist es eine neue Volkskrankheit, mal Modeerscheinung, mal Medienhype, mal Depression. Burn-out ist seit Jahren ein öffentliches Thema.

Es geistern Zahlen durchs Internet, wonach angeblich 13 Millionen Deutsche von Burn-out bedroht seien, wonach jeder fünfte Arbeitnehmer Burn-out-Phasen durchleidet, jeder Dritte am Limit arbeitet und jedes Jahr 71 Milliarden Euro Produktionsausfallkosten durch Burn-out entstehen.

Wissenschaftlich gesehen ist Burn-out immer noch ein Pudding, der an die Wand genagelt werden muss. Clemens Kirschbaum will sich in den nächsten zwölf Jahren um den begrifflichen Pudding kümmern. Kirschbaum, Jahrgang 1960, ist Professor für Biopsychologie an der Technischen Universität Dresden und hat gerade das größte Forschungsprojekt über Burn-out angeschoben, das es weltweit jemals gegeben hat. Es läuft über zwölf Jahre, 10 000 Menschen zwischen 18 und 68, Gesunde und Kranke, werden befragt und untersucht. Und am Ende, wenn Professor Kirschbaum in Pension geht, sollte etwas mehr Klarheit herrschen.

Lesen Sie im nächsten Abschnitt: Warum Burnout von vielen Seiten noch belächelt wird, und was Clemens Kirschbaum nun vorhat.

„Burn-out ist noch vollkommen unerforscht“, sagt der Wissenschaftler. Mit zehn Mitarbeitern hat er das Riesenprojekt gerade begonnen, bisher haben sich schon 3800 Personen gemeldet, die an der Studie teilnehmen und sich testen lassen wollen. Die restlichen 7000 dürften kein Problem sein.

Schlafstörungen, Rückenschmerzen, Kopfweh, chronische Müdigkeit, innere Leere, das Verschwinden von Emotionalität, Nervosität, Entscheidungsunfähigkeit: Die medizinische Fachliteratur listet weit über 100 seelische und körperliche Symptome für Burn-out auf. Aber nichts davon ist spezifisch für Burn-out und das macht die Angelegenheit schwierig. Das Erschöpfungssyndrom gilt nicht als eigene Krankheit, sondern als eine Art Vorstufe oder Bedingung für die Entstehung von Krankheiten.

Keine definierte Krankheit

Es gibt einen von der Weltgesundheitsorganisation genau festgelegten Katalog, eine internationale Klassifikation von Erkrankungen und verwandten Gesundheitsproblemen (ICD), in der alles einsortiert ist. Er ist für deutsche Ärzte und ihre Abrechnungen mit Krankenkassen verbindlich, Burn-out ist dort nicht als Krankheit definiert, sondern als „Faktor, der den Gesundheitszustand beeinflusst und zur Inanspruchnahme des Gesundheitswesens führt“. Burn-out gilt als „Problem mit Bezug auf Schwierigkeiten bei der Lebensführung“, nicht als eigene Krankheit. Im Leistungskatalog der Krankenkassen gibt es also keinen Burn-out, was zur Folge hat, dass Ärzte, die einen Burn-out-Patienten vor sich sitzen haben, gerne bei der Abrechnung auf „Depression“ ausweichen und „Burn-out“ zusätzlich anmerken.

Die Idee einer „Volkskrankheit Burn-out“, mit der Medien kokettierten, sei fehl am Platz – findet Ulrich Hegerl, Leiter der Klinik und Poliklinik für Psychiatrie an der Universität Leipzig. In Wirklichkeit verberge sich hinter dem Erschöpfungs-Syndrom in den meisten Fällen etwas anderes und Burn-out sei „manchmal eine besser klingende Ausweichdiagnose für die schwere, oft lebensbedrohliche Erkrankung Depression, manchmal eine alltägliche Erschöpfung bei Überbelastung, die schlicht Erholung und keine ärztliche Behandlung erfordert“.

„Natürlich gibt es Burn-out“

„Natürlich gibt es Burn-out“, sagt der Dresdner Forscher Kirschbaum. „Selbstverständlich gibt es Leute, die sich in ihrem Berufsleben für etwas ausgebrannt haben.“ Kirschbaum hält die Praxis, Patienten dann unter „Depression“ zu verbuchen für falsch.

Die Krankenkasse DAK Gesundheit hält Burn-out nicht für eine Volkskrankheit. In ihrem Gesundheitsreport 2013 heißt es: „Es gibt offensichtlich kein Massenphänomen Burn-out.“ Der Begriff sei auch durch die breite Berichterstattung in den Medien positiver besetzt und sozial akzeptierter als eine Depression. Das habe dazu beigetragen, dass Arbeitnehmer beim Arzt jetzt leichter über psychische Beschwerden sprechen.

Was führt zum Burn-out?

Also lieber Burn-out, weil es besser klingt als Depression?

„Wir wollen erstmals die biologischen Ursachen einer bisher unverstandenen Erkrankung finden“, beschreibt Kirschbaum sein Projekt. „Solange wir nicht wissen, was Burn-out eigentlich ist, wissen wir auch nicht, ob wir es richtig oder falsch behandeln.“ Ein riesiger Haufen Arbeit türmt sich auf, Hunderttausende Daten, die durchsiebt und verstanden werden müssen. Am Ende, sagt Kirschbaum, und das wäre sein Wunschergebnis im Jahr 2027, sollte eine Art Werkzeugkasten stehen, mit dem sich beantworten und erkennen lässt, wem Burn-out droht, wem eher nicht, was dazu beiträgt und was vorher getan werden kann, um ihn zu verhindern.

Die junge Ärztin arbeitet wieder, aber sie macht pünktlich um vier Uhr Schluss. Sie ist immer noch ein Pflichtmensch, aber sie sagt öfters Nein. Sie fühlt sich nicht schlecht dabei. „Lieber 30 Jahre lang mit 80 Prozent, als drei Jahre mit 120 Prozent“, sagt sie. Und dass man auch mal ruhig dasitzen und nur in die Luft gucken darf. Der Psychologe scheint zu helfen.