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Fall Anna Fall Anna: Neuneinhalb Jahre für Vergewaltigung

21.10.2002, 09:14
Der 19-jährige Sven Kemmerzell
Der 19-jährige Sven Kemmerzell Polizei

München/dpa. - Ein Jahr nach der Vergewaltigung der Erstklässlerin Anna auf einer Münchner Schultoilette ist der 19 Jahre alte Täter zu einer Jugendstrafe von neuneinhalb Jahren Haft verurteilt worden. «In Ihnen tickt eine Bombe», sagte der Vorsitzende Richter Werner Ulrich am Montag in München bei der Urteilsbegründung zu dem Täter Sven Kemmerzell. «So lange sie nicht entschärft ist, muss die Gesellschaft vor Ihnen geschützt werden.» Deshalb wird der laut Gutachten seelisch schwer gestörte Mann vor Verbüßung der Haftstrafe in einer psychiatrischen Klinik untergebracht.

Der geständige Angeklagte hatte die siebenjährige Anna, wie das Mädchen aus Datenschutzgründen genannt wird, auf der Schultoilette einer katholischen Mädchenschule bis zur Bewusstlosigkeit gewürgt und vergewaltigt. Das Kind wurde schwer verletzt und musste in einem Krankenhaus operiert werden. Die Jugendkammer beim Landgericht München I wertete die Vergewaltigung der Schülerin auch als versuchten Mord. In dem Urteil wurden ebenso die Vergewaltigungen von zwei Frauen durch Kemmerzell berücksichtigt.

Der Überfall auf die kleine Anna am 19. Oktober des vergangenen Jahres hatte an allen Münchner Schulen zu einem Aufschrei des Entsetzens und zu verschärften Sicherheitsvorkehrungen geführt. «Ich bin froh, dass ich in Haft bin, da kann nichts passieren», hatte Kemmerzell im Prozess erklärt. «Ich weiß, dass ich was Schlimmes machen werde», zitierte der Richter aus einem Brief des Angeklagten an einen Freund. Diese Selbsteinschätzung des 19-Jährigen wurde vom psychiatrischen Sachverständigen Franz Joseph Freisleder geteilt: «Er ist extrem gefährlich». Kemmerzell vertraute ihm Gewaltfantasien mit Tötungsvorstellungen an.

Der Verurteilte hatte wenige Wochen vor dem Überfall auf Anna eine 22 Jahre alte tschechische Studentin im Keller einer Klinik vergewaltigt, die dort als Aushilfsputzfrau arbeitete. Auch sie hatte er bis zur Bewusstlosigkeit gewürgt. In der Silvesternacht 2001 vergewaltigte Kemmerzell in einer Gaststätte am Starnberger See die 57 Jahre alte Wirtin. Doch sie konnte den Täter gut beschreiben. Damit kam Bewegung in die Ermittlungen der Polizei, die wochenlang nicht vorangekommen waren. Am 4. Januar dieses Jahres wurde der aus dem rheinischen Düren stammende Kemmerzell in einer Ferienwohnung in Kirchseeon bei München gefasst.

Er war früher bereits im Raum Köln als Sexualtäter aufgefallen. Doch wegen rechtlicher Hindernisse wurde damals kein genetischer Fingerabdruck von ihm ans Zentralregister des Bundeskriminalamts gegeben.

Wie lange Kemmerzells Behandlung in der psychiatrischen Klinik dauern werde, «ist nicht abzusehen», erklärte der Vorsitzende Richter. Kemmerzell hat das Urteil akzeptiert, er wird unverzüglich im Bezirkskrankenhaus Haar bei München untergebracht. Das Gericht folgte mit seinem Urteil dem Antrag der Staatsanwaltschaft. Da auch die Anklagebehörde auf Rechtsmittel verzichtete, ist das Urteil rechtskräftig.

Der Angeklagte mit einer «katastrophalen Biografie» und dadurch bedingten Reiferückständen, so lautet die Urteilsbegründung, wurde nach Jugendrecht verurteilt. Eine «Nachreifung» des Mannes, der der Stricherszene angehörte, sei noch möglich, glaubt das Gericht. «Jedem wird klar geworden sein, dass er jetzt und sofort der Behandlung bedarf», sagte der Gerichtsvorsitzende. Deshalb müsse die Unterbringung in der geschlossenen Abteilung einer Klinik vor der Strafverbüßung erfolgen.