Dutroux-Affäre Dutroux-Affäre: Prozess rollt Horror für Opfer und Angehörige neu auf

Brüssel/dpa. - Nicht alle Belgier teilen diese Hoffnung des Regierungschefs. DieEltern der beiden jüngsten Opfer etwa wollen der Verhandlung desGeschworenengerichts in Arlon fern bleiben. Sie glauben nicht mehr aneine befriedigende Aufklärung der Frage, wie ihre damals achtjährigenTöchter Julie Lejeune und Mélissa Russo entführt und misshandeltwurden. Sicher weiß man über das Schicksal der beiden Mädchen nur,dass sie nach ihrem Verschwinden am 24. Juni 1995 irgendwannverdurstet und verhungert sind. Die Leichen der Kinder wurden imSommer 1996 im Garten eines Dutroux-Hauses ausgegraben.
Im Fall von Julie und Mélissa hat der Hauptangeklagte Dutroux nurdas zugegeben, was ihm mit einiger Sicherheit nachgewiesen werdenkann: Das Einsperren der beiden Kinder in einem getarnten Verließseines Kellers. So verhielt sich Dutroux mit krimineller Intelligenzauch zu allen anderen Vorwürfen. Die Morde an zwei anderen Mädchenund einem Komplizen stritt er ebenso ab wie etliche Vergewaltigungen.Sexuellen Missbrauch, den er selbst gefilmt hatte, und dieGefangennahme von insgesamt sechs Mädchen räumte er ein.
«Manchmal dauerte es Stunden, bevor Dutroux etwas sagte», erzählteder Fahnder Michel Demoulin einer Reporterin der Zeitung «De Morgen».«So wie beim ersten Mal, als er plötzlich die Aussage macht: "Ichwerde Ihnen zwei Mädchen geben." Im Nachhinein erscheint das soeinfach, aber das hat unerträglich lange gedauert.» Tatsächlichbrachte Dutroux die Polizei drei Tage nach seiner Festnahme im Sommer1996 zu den beiden überlebenden Mädchen in seinem Keller. Aber häufiglog er auch und führte die Ermittler auf falsche Fährten.
Nun muss sich das Gericht durch einen Aktenberg von 440 000 Seitenkämpfen. 470 Zeugen sollen binnen 10 Wochen befragt werden. DerProzess in der Provinzhauptstadt Arlon wird schmerzhafte Erinnerungenwachrufen. Die Entdeckung des Kellerverstecks, der grausige Fund vonvier Mädchenleichen und des lebendig begrabenen Dutroux-KomplizenBernard Weinstein haben Belgien im Jahr 1996 zutiefst erschüttert.
Nach und nach wurden unglaubliche Polizeipannen bekannt: So wirdDutroux im Dezember 1995 unter dem Vorwurf der Geiselnahme und desAutodiebstahls festgenommen und Beamte durchsuchen sein Haus inMarcinelle. Die Polizisten hören Kinderstimmen, vermuten aber, dasssie von der Straße kommen. Als Dutroux dreieinhalb Monate späterfreikommt, sind zwei Mädchen in dem Kellerverlies verhungert.
Erst ein Versagen des Justizsystems hatte es dem einschlägigvorbestraften Täter überhaupt erlaubt, Mitte der 90er Jahre wiederMädchen zu entführen und zu vergewaltigen. Im April 1989 hatte einGericht in Mons den damals 32-Jährigen wegen solcher Delikte zu 13,5Jahren Haft verurteilt. Aber schon nach weniger als 3 Jahren istDutroux wieder auf freiem Fuß. Auch seine Frau und Komplizin MichelleMartin wird vorzeitig aus der Haft entlassen.
Als im Herbst 1996 noch Grabenkämpfe der Justizbehörden dieAufarbeitung des grausigen Geschehens behinderten, hatten die sonstso geduldigen Belgier die Nase voll: Rund 275 000 Menschen kommenbeim «Weißen Marsch» in Brüssel zur größten Demonstration derbelgischen Geschichte zusammen, um ihr Mitgefühl mit den Eltern zuzeigen. In Belgien sind diese Ereignisse nicht vergessen. Auch wenndie Wunde - wie von Regierungschef Verhofstadt erhofft - irgendwannverheilt, wird eine hässliche Narbe bleiben.