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Gesellschaft Demokratieberater: Jungen Neonazis Grenzen setzen

In den 1990er Jahren wurde in der Jugendarbeit rechtsextremes Verhalten oft toleriert. Beobachter fordern bei neu aufflammendem Rechtsextremismus unter Jugendlichen eine andere Herangehensweise.

Von dpa Aktualisiert: 23.06.2025, 12:15
Die Demokratieberater von Mobit appellieren, jungen Neonazis Grenzen zu setzen. (Symbolbild)
Die Demokratieberater von Mobit appellieren, jungen Neonazis Grenzen zu setzen. (Symbolbild) Christoph Reichwein/dpa

Erfurt - Die Mobile Beratung in Thüringen (Mobit) fordert klare Grenzen für junge Menschen mit rechtsextremem Gedankengut. „Es ist wichtig, dass man diese Entwicklung thematisiert und es nicht so eine akzeptierende Jugendarbeit gibt wie in den 1990ern“, sagte Felix Steiner, Sprecher der Demokratieberater, angesichts des zunehmenden Zuspruchs junger Menschen für rechtsextreme oder rechtspopulistische Positionen. 

Schulen bräuchten ausreichend geschultes Personal. Zudem müsse es außerschulische Projekte geben, um jungen Menschen zu zeigen, welche gesellschaftlichen Werte und Normen in Deutschland akzeptiert seien und welche nicht. In den 1990er Jahren wurde nach den Aussagen von Steiner rechtsextremes Verhalten in der Jugendarbeit oft toleriert.

Viele junge AfD-Wähler bei der Bundestagswahl

Bei der Bundestagswahl in diesem Jahr hatte jeder fünfte unter-25-jährige Wähler die AfD gewählt. Nur die Linke hatte einen noch höheren Zustimmungswert unter Wählern in der Altersgruppe der 18- bis 24-Jährigen: Etwa jeder vierte junge Wähler entschied sich für diese Partei. In Thüringen wird der AfD-Landesverband mit seinem Chef Björn Höcke vom Landesverfassungsschutz als gesichert rechtsextremistisch eingestuft und beobachtet.

Steiner forderte, auch jene zu schützen, die in den Fokus beispielsweise von jungen Rechtsextremen geraten. 

Thüringens Innenminister Georg Maier (SPD) sprach von einem relativ neuen Phänomen, dass diejenigen, die rechtsextreme Straftaten begehen, immer jünger werden. Als Beispiel nannte er die Gruppierung „Letzte Verteidigungswelle“. Im Mai wurden nach einer bundesweiten Razzia gegen diese mutmaßliche rechte Terrorzelle fünf junge Menschen zwischen 14 und 18 Jahren in Untersuchungshaft genommen. Die Gruppe habe mit Anschlägen auf Asylunterkünfte und linke Einrichtungen das demokratische System der Bundesrepublik zum Zusammenbruch bringen wollen, so die Strafverfolger. 

Maier sagte, in den vergangenen Jahren hätten Rechtsextremisten gezielt Jugendliche und Kinder angesprochen - auch im Bereich Kampfsport. Die Radikalisierung finde aber vor allem in sozialen Netzwerken statt, wo Gewaltvideos geteilt und damit Gewalt auch normalisiert werde. Es brauche gute Jugendarbeit, „um die Kinder da vom Handy wegzuholen“. Es gebe bereits gute Beispiele in größeren Städten, „aber offensichtlich müssen wir uns auch im ländlichen Raum der Sache widmen“, sagte er. 

Eltern tolerieren rechtsextremes Gedankengut

Steiner sagte, in den Beratungen von Mobit sei zuletzt ein Fall geschildert worden, in dem sich ein Schüler im Klassenraum als „junger Nationalsozialist“ bezeichnet habe. In einem anderen Fall habe ein Lehrer eine Mutter zu einem Gespräch eingeladen, weil ihr Sohn mit einem T-Shirt mit rechtsextremer Symbolik in die Schule gekommen war. Die Mutter habe dem Lehrer gegenüber dann zugegeben, ihrem Sohn das T-Shirt gekauft zu haben – verbunden mit der Aufforderung, es nicht in der Schule zu tragen. Viele der jungen Menschen, die sich rechtspopulistisch oder rechtsextrem äußerten, kämen aus Elternhäusern, die solche Werte entweder teilten oder tolerierten, sagte Steiner.

In einem Beitrag für die aktuelle Ausgabe der „Thüringer Zustände“ setzen sich eine Reihe von Autoren mit dem Wahlverhalten der Thüringer bei der Landtagswahl 2024 auseinander, darunter auch der Direktor des Zentrums für Rechtsextremismusforschung, Tobias Rothmund. Darin kommen sie auf Basis einer bevölkerungsrepräsentativen Befragung zu der Erkenntnis, dass ein erheblicher Teil der Wähler im Land die als rechtsextrem eingestufte AfD aus Überzeugung gewählt hat. Mit Blick auf alle Wähler habe sich zwar etwa ein Drittel von ihnen noch kurz vor der Wahl umentschieden, heißt es in diesem Aufsatz. Nur etwa zwei Drittel der Studienteilnehmer habe bei der Landtagswahl auch tatsächlich die Partei gewählt, die sie in einer Vor-Wahl-Befragung angegeben habe.

Anders sei dagegen die Lage bei den Wählern von AfD und auch Linke gewesen. „Die Wählerschaft von AfD und Die Linke zeigte die stärkste Entschiedenheit in ihrer Wahlabsicht: 82 Prozent der Befragten setzten ihre Wahlabsicht um, während sich nur ungefähr ein Fünftel kurzfristig für eine andere Partei entschied.“ Insgesamt zeigten die Befunde der Studie eine starke Parteibindung bei Anhängern von AfD und Linken, „während allgemein eine deutliche Wahlunentschlossenheit herrschte“. 

Politische Einstellungen bei Jüngeren nicht immer gefestigt

In einem weiteren Beitrag konstatieren zwei Autoren von Mobit - darunter Steiner -, dass es derzeit tatsächlich eine Hinwendung junger Menschen zu rechtsextremer Ideologie gibt. Sie warnen allerdings auch vor voreiligen Schlüssen. Rechtsextremisten und Rechtspopulisten würden einen solchen Rechtsruck auch gerne herbeireden, heißt es dort. Viele junge Menschen seien in ihren politischen Einstellungen noch nicht gefestigt. „Provokation spielt bei jungen Menschen ebenfalls eine nicht zu unterschätzende Rolle“, heißt es in der Ausgabe.

Bei den „Thüringer Zuständen“ handelt es sich um einen seit 2020 jährlich herausgegebenen Sammelband, der von Mobit, den Opferberatern von ezra, dem Institut für Demokratie und Zivilgesellschaft sowie dem Zentrum für Rechtsextremismusforschung, Demokratiebildung und gesellschaftliche Integration der Universität Jena gemeinsam herausgegeben wird.