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Handwerk „Das ist für mich Heimat“ – Leonie Schiemenz näht Trachten

Die Nachfrage nach Trachten ist da, doch das Wissen schwindet. Eine 24-Jährige aus Burg will das ändern – und stößt auf Hürden.

Von Anja Sokolow, dpa 26.12.2025, 05:00
Leonie Schiemenz näht nebenberuflich Trachten.
Leonie Schiemenz näht nebenberuflich Trachten. Patrick Pleul/dpa

Burg/Dissen/Lübbenau - Einige Stunden als Sorbisch-Erzieherin im Hort liegen bereits hinter Leonie Schiemenz, jetzt sitzt sie in ihrem kleinen Nähatelier und verziert ein Halstuch mit feiner Spitze. „An den Wochenenden nähe ich aufwendigere Sachen wie Röcke und Hauben“, erzählt die junge Frau aus Burg im Spreewald. Allein für einen Rock brauche sie rund drei Meter Stoff, bei kräftigeren Frauen auch schon mal vier.

Die 24-Jährige zählt zu den wenigen Frauen im Spreewald, die heute noch traditionelle Trachten schneidern – und sie gibt das Wissen ums Sticken an andere weiter. Auch Christa und Dieter Dziumbla aus Burg pflegen die Tradition seit Jahrzehnten. In ihrem privaten Trachtenmuseum zeigen sie mit Hilfe von Puppen die Vielfalt der regionalen Kleidung.

„Ohne Tracht ist man nur unbeteiligter Zuschauer“

Große Hauben, ausladende Röcke und farbenfrohe Stickereien – so kennen viele die Spreewaldtrachten. Für zahlreiche Frauen gehören sie zu bestimmten Festen und Bräuchen wie der anstehenden Fastnacht zwingend dazu: „Ansonsten ist man unbeteiligter Zuschauer und darf nicht mitmachen“, sagt Babette Zenker, die langjährige Leiterin des Heimatmuseums Dissen, in dem etwa 25 Trachten ausgestellt sind. 

„Rund 60 Varianten der Tracht haben wir hier in der Niederlausitz rund um Cottbus“, erklärt Zenker. Nicht nur zu Festen, sondern auch bei bestimmten Kirchgängen werde Tracht getragen. „Es gibt in der katholischen Oberlausitz auch noch Frauen, die tagtäglich Tracht tragen. In der Niederlausitz ist es, glaube ich, nur noch eine“, erzählt sie. 

Wenn Mädchen erwachsen werden: Die erste eigene Tracht

Traditionell erhält jedes Mädchen nach der Konfirmation oder Jugendweihe eine eigene Tracht. „Manchmal sind Teile dabei, die die Oma vorher schon getragen hat oder eine Tante oder die Mama. Und dann wird es auf das Mädchen umgeändert“, erklärt Babette Zenker. 

Leonie Schiemenz hat zwar keine sorbischen Wurzeln, ist aber mit der Kultur groß geworden, zum Beispiel mit der sorbischen Fastnacht. „Bei jeder Veranstaltung durfte ich Tracht tragen. Inzwischen ist das für mich Heimat“, erzählt sie. Ihr sei es wichtig, diese Tradition zu erhalten. „Wenn das nicht weiterläuft, wer wird das denn mal machen? Wenn sich da keiner herantraut und an diesen Aufgaben wächst, wird das nichts, dann werden wir das irgendwann verlieren“, sagt die Trachtenschneiderin. Im kommenden Jahr werde sie aber in eine sorbische Familie heiraten - natürlich in Tracht. 

Schon als Kind habe sie mit ihrer Mutter an der Nähmaschine gesessen und im Laufe der Jahre ihr Hobby ausgebaut. Sie nähte für Freunde, Bekannte und für sich. „Vor etwa eineinhalb Jahren habe ich mich damit nebenberuflich selbstständig gemacht“, sagt Schiemenz. Ihre Trachtenschneiderei sei lediglich auf Instagram präsent. Mehr Werbung benötige sie nicht. „Ich bin jetzt schon am Limit“, sagt sie. 

Stickkurse für die nächste Generation

In ihren Kursen bringt sie Interessierten das Zeichnen und Sticken der floralen Muster bei. „Meine jüngste Teilnehmerin im vergangenen Jahr war 14. Sie ist so gut, dass sie inzwischen auch für mich stickt“, erzählt Schiemenz. Gleichzeitig wächst ein Problem: Das Garn wird knapp. „Es wird teurer und die Produzenten schließen nach und nach“, so Schiemenz. „Wir brauchen Seidenstickgarn. Die Alternative ist Baumwollgarn, doch das glänzt nicht“, erklärt Schiemenz, die Restbestände von Produzenten aufgekauft hat und hofft, damit noch einige Zeit über die Runden zu kommen. 

Auch im Trachtenmuseum der Dziumblas wird regelmäßig gestickt. Am langen Tisch treffen sich Frauen aus dem Trachtenverein zum gemeinsamen Handarbeiten. „Es ist Entspannung und Erholung. Handarbeiten haben uns immer Spaß gemacht“, erzählt Christa Dziumbla. Ihr Mann Dieter teilt diese Leidenschaft. „So kann man sich beschäftigen, der Tag ist lang“, meint er. 

Ein 84‑Jähriger als Multitalent: Sticken, Spinnen, Stricken

Derzeit bestickt er ein Rockband für seine Frau - 2,70 Meter müssen mit Blumen verziert werden. Noch sind nur Blätter zu sehen. „Wenn man mit einer Farbe anfängt, geht es schneller“, erklärt der 84-Jährige, der vielseitig begabt ist: Unter anderem spinnt er auch und strickt Socken oder flicht Körbe aus Weidenholz. Auch den weihnachtlichen Drehboom, eine pyramidenähnliche Konstruktion, im Museum, hat er selbst gebaut. 

Etwa 20 Kilometer entfernt, in Lübbenau, hat sich Sarah Gwiszcz ebenfalls dem Trachten-Thema verschrieben. Allerdings verbindet sie traditionelle Muster mit zeitgenössischem Design. Sie gründete 2014 ihr Label Wurlawy. Aus dem Sorbischen übersetzt bedeutet Wurlawy so viel wie „wilde Spreewaldfrauen“ die in einer sorbischen Sage vorkommen. Der Name stehe für die Ungezwungenheit der Mode, heißt es auf den Seiten der Designerin.