Schärfere Maßnahmen zur Corona-Eindämmung? Corona-Risiko in Deutschland: Sieben-Tage-Inzidenz, R-Wert, Sterberate - Auf welche Kennzahlen kommt es an?
Halle (Saale) - Jeden Tag veröffentlicht Deutschlands oberste Gesundheitsbehörde, das Robert-Koch-Institut, einen Situationsbericht mit aktuell zusammengefassten Daten und Statistiken aus allen Gesundheitsämtern im Land. Auf dieser Grundlage entscheiden die Behörden, Bundes- und Landespolitiker, ob und inwieweit Maßnahmen zur Eindämmung des Virus erforderlich sind. Ein Überblick über die wichtigsten Kennzahlen:
Täglich: Die absolute Zahl der Neuinfektionen
Viel zitiert und ein wichtiger Marker für die Virusausbreitung ist die innerhalb von 24 Stunden gemeldete absolute Anzahl der Neuinfektionen mit Sars-CoV-2. Diese wird von den einzelnen Gesundheitsämtern in den Kreisen an die Landesgesundheitsbehörden und das RKI übermittelt. Wichtig dabei: Jeder einzelne Fall soll von den Gesundheitsämtern identifiziert und mögliche Kontakte verfolgt werden.
Es geht darum, Infektionsketten zu unterbrechen. Sprich: Potenziell ansteckende Personen schnellstmöglich zu isolieren, damit sich das Virus nicht weiter ausbreiten kann. Deshalb muss die täglich gemeldete Zahl so klein sein, dass die Nachverfolgung durch die Gesundheitsämter gewährleistet werden kann.
Zuletzt kam immer wieder Kritik auf, dass die Zahl der Neuinfektionen in Deutschland nur deshalb ansteige, weil die Anzahl der PCR-Tests zugenommen hat. Dem widerspricht das RKI. Es gebe zahlreiche Gründe dafür, weshalb die Fallzahlen derzeit ansteigen: viele kleinere Ausbruchsgeschehen in verschiedenen Landkreisen, die mit unterschiedlichen Situationen in Zusammenhang stehen. Darunter fallen zum Beispiel größere Feiern im Familien- und Freundeskreis, Freizeitaktivitäten, Infektionen am Arbeitsplatz, aber auch in Gemeinschafts- und Gesundheitseinrichtungen oder bei Reiserückkehrern.
Sieben-Tage-Wert: Infektionen regional pro Woche
Die Zahl der Neuinfektionen pro Woche, die sogenannte Sieben-Tage-Inzidenz, ist ein wichtiger Maßstab für die Gesundheitsbehörden in den Landkreisen und die politischen Entscheidungsträger. Ab einem Wert von wöchentlich gemeldeten 50 Neuinfektionen pro 100.000 Einwohner wird in einem Landkreis über erneute Maßnahmen wie Ausgangsbeschränkungen nachgedacht.
Die Zahl macht das Infektionsgeschehen auf regionaler Ebene sichtbar und vergleichbar. Außerdem sagt sie aus, wie viele Menschen sich in einer bestimmten Region infizieren – und zwar nicht in absoluten Zahlen, sondern in Bezug auf 100.000 Einwohner.
Divi-Zahlen: Wie viele Schwerkranke auf der Intensivstation?
Die Zahl der intensivmedizinisch behandelten Covid-19-Patienten hat seit Ende September leicht zugenommen, dieser Anstieg hat sich in den letzten Tagen etwas beschleunigt, heißt es im RKI-Situationsbericht vom 12. Oktober. Wer sich mit Sars-CoV-2 infiziert und in der Folge schwer an Covid-19 erkrankt, ist in vielen Fällen auf eine mehrwöchige Betreuung auf der Intensivstation angewiesen – und auf ein Beatmungsgerät. Deshalb kommt es während der Epidemie auch darauf an, die Kapazitäten von Intensivbetten, Geräten und Personal im Blick zu halten. Nur so kann sichergestellt werden, dass jeder Erkrankte behandelt werden kann.
Die Deutsche Interdisziplinäre Vereinigung für Intensiv-und Notfallmedizin (DIVI) führt gemeinsam mit dem RKI ein öffentlich einsehbares Intensivregister. Dieses erfasst intensivmedizinisch behandelte Covid-19-Patienten und Bettenkapazitäten auf Intensivstationen von Krankenhäusern in Deutschland und gibt einen Überblick darüber, in welchen Kliniken aktuell wie viele Kapazitäten zur Verfügung stehen. 1278 Klinikstandorte beteiligen sich, Stand 13. Oktober, an der Datenerhebung.
Case Fatality Rate: Höhe der Sterberate
Die Sterberate ist bei Covid-19 vor allem altersspezifisch: Bei bis etwa 50-Jährigen liegt der Fall-Verstorbenen-Anteil bei unter 0,1 Prozent und steigt dann zunehmend an. Bei Personen über 80 Jahren liegt die Sterberate laut RKI-Daten häufig über 10 Prozent. Und so wird sie berechnet: Für den Fall-Verstorbenen-Anteil teilen Statistiker die Zahl der gemeldeten verstorbenen Fälle durch die Zahl der gemeldeten Fälle in einer Population. Alternativ wird durch die Zahl der Fälle mit bekanntem Endpunkt (genesene und verstorbene Fälle) geteilt.
Ersterer Quotient würde den endgültigen Anteil unterschätzen, bei letzterem Quotient würde der endgültige Anteil überschätzt werden.
Die Letalität beschreibt die Anzahl der verstorbenen Fälle als Anteil der Zahl der tatsächlich erkrankten Fälle. „Dazu liegen keine verlässlichen Daten vor, weil die tatsächliche Anzahl erkrankter Menschen unbekannt ist“, heißt es im RKI-Steckbrief zum Coronavirus. Auch das individuelle Risiko eines schweren Verlaufs bis hin zum Tod kann anhand der statistischen Daten nicht abgeleitet werden.
Auch ohne bekannte Vorerkrankungen und auch bei jungen Menschen kann es zu schweren bis hin zu lebensbedrohlichen Krankheitsverläufen kommen. Langzeitfolgen, auch nach leichten Verläufen, sind derzeit noch nicht abschätzbar.
Reproduktionszahl: Effektivität der Maßnahmen schätzen
Die berichteten R-Werte liegen seit Anfang September überwiegend leicht über 1. Seit Ende September ist ein steigender Trend zu beobachten. Aber was meint das? Wissenschaftler sprechen beim Coronavirus Sars-CoV-2 von einer naturgegebenen Basis-Reproduktionszahl (R0) von etwa 3. Eine Person infiziert dann im Schnitt drei weitere. Das gilt unabhängig von Präventionsmaßnahmen und Zeithorizont.
Die täglich vermeldeten Werte werden als effektive Reproduktionszahl bezeichnet. Sie sind Ausdruck des Gleichgewichts zwischen dem infektionsvermeidenden Verhalten der Bevölkerung und der Infektiösität des Virus selbst. Ohne Gegenmaßnahmen würde die Zahl der Infektionen mit einem R-Wert von 3 rasch exponentiell ansteigen und erst stoppen, wenn bis zu 70 Prozent der Bevölkerung eine Infektion durchgemacht hätten.
Bei einer effektiven Reproduktionszahl von 1 – mit eingeführten Corona-Maßnahmen – infiziert eine Person im Schnitt eine weitere. Steigt der Wert langfristig an, steigen also höchstwahrscheinlich auch die Fallzahlen, weil eine infizierte Person mehr Leute ansteckt. Fällt er auf lange Sicht unter 1, infizieren sich im Schnitt auch weniger Menschen. Es handelt sich bei der Berechnung um eine statistische Größe, eine Trendschätzung. Sie fließt auch in Prognosen zu Krankenhaus- und Behandlungskapazitäten ein. Je niedriger das reale Infektionsgeschehen, umso höhere Ausschläge gibt es durch lokal größere Ausbrüche.
Berechnet wird der R-Wert mithilfe der sogenannten Nowcasting-Methode. Der Vorteil: Es werden nicht nur das Meldedatum, sondern auch das Erkrankungsdatum und erwartbare Fälle berücksichtigt – und damit Lücken durch einen zeitlichen Verzug bei der Übermittlung an RKI und Gesundheitsämter ausgeglichen. Der R-Wert ist damit näher am Infektionsgeschehen dran als Berechnungen, die sich ausschließlich an Meldezahlen orientieren.
Die Nachteile: Anders als gemeldete Neuinfektionen und Todesfälle berechnet sich die Reproduktionszahl nicht tagesaktuell, sondern mit Blick auf den Status von vor anderthalb bis zwei Wochen. Wir sehen also mit dem R-Wert von heute das, was wir vor mehr als zwei Wochen gut oder schlecht in der Vorbeugung gemacht haben. (dpa)