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China China: 6244 Babys durch vergiftetes Milchpulver erkrankt

Von Andreas Landwehr 17.09.2008, 05:59
Der zehnmonatige Zhang Yuxuan liegt neben Ultraschallaufnahmen auf einem Krankenbett. Ärzte suchen nach Nebenwirkungen durch Melamin-verseuchte Babynahrung. (Foto: dpa)
Der zehnmonatige Zhang Yuxuan liegt neben Ultraschallaufnahmen auf einem Krankenbett. Ärzte suchen nach Nebenwirkungen durch Melamin-verseuchte Babynahrung. (Foto: dpa) FEATURECHINA

Peking/dpa. - Bei 6244 Säuglingen wurdenbisher Nierenerkrankungen durch die Chemikalie Melamin in Milchpulverbestätigt. Tausende besorgter Eltern belagerten Hospitäler, um ihreKinder untersuchen zu lassen, weil sie Milchpulver von den bisher 22Herstellern getrunken hatten, in deren Produkten das Gift gefundenworden war. Mit der Festnahme von zwei Verkäufern der Chemikalie sindgegenwärtig sechs Personen in Haft.

«In Deutschland stellt der Skandal keine Gefahr dar», sagte derSprecher des Bundesamtes für Verbraucherschutz undLebensmittelsicherheit, Jochen Heimberg, am Freitag. «UnsereGesetzeslage verbietet es grundsätzlich, Milch- undMilchpulverprodukte aus China in die EU einzuführen.» Nach Ansichteines Experten seien die Kontrollen für Babynahrung in Deutschland sostreng, dass so etwas sofort auffliegen würde. Bei den bisherigenStichproben in China wurden 69 Lieferungen von 491 Fertigungsreihenbeanstandet.

Nach ersten Geständnissen scheint in der chinesischenMilchindustrie allgemein bekanntgewesen zu sein, dass Melamin denProteingehalt von minderwertiger oder mit Wasser verdünnter Milchkünstlich aufbessert. Obwohl sich die Chemikalie derartgewinnbringend einsetzen lässt, wurden Lieferungen von Milchhändlernnicht auf Melamin untersucht. Die Regierung in Peking ordneteumgehend an, dass Milch künftig auch auf diese Chemikalie hin geprüftwird, die in der Industrie als Bindemittel für Tisch- undArbeitsplatten oder in der Plastikverarbeitung eingesetzt wird.

Melamin ist nach Angaben des Lebensmittelchemikers ThomasWestermair eine «"null-acht-fünfzehn-Chemikalie", die in derHerstellung relativ billig ist.» Die Auswirkungen von Melamin auf denmenschlichen Körper sind kaum erforscht.

Chinas Regierung sichert erkrankten Kinder kostenlose medizinischeBehandlung zu. Mehr als 1300 vor allem Neugeborene lägen gegenwärtigin Krankenhäusern, berichtete Gesundheitsminister Chen Zhu. 158Kinder litten unter «ernsthaften Nierenproblemen». Die Zahl könntenoch steigen, wenn das Ausmaß des Skandals deutlicher wird. Ein fünfMonate alter Junge starb im Mai, ein acht Monate altes Mädchen imJuli. Erste Berichte über Erkrankungen erhielt der führendeMilchpulverhersteller Sanlu bereits im März. Der Skandal wurde langevertuscht - wenn nicht monatelang, dann aber mindestens seit AnfangAugust, als die Vergiftung des Pulvers durch Melamin zumindest beiSanlu bekannt war, ohne dass ein Rückruf gestartet wurde.

Der neuseeländische Hauptanteilseigner, die Fonterra Gruppe,stellte Sanlu als Opfer einer «kriminellen Verschmutzung» dar. Es seinicht ungewöhnlich, dass Milchpulver nicht auf Melamin getestetwerde, sagte Fonterra-Chef Andrew Ferrier in Wellington. «Es lässtsich nicht auf jedes Gift testen.» Chinesische Journalistenberichteten allerdings, dass Sanlu die Milchbauern in der Regel vollunter Kontrolle hat und jeden Schritt überwacht. Außer Sanlu sindauch andere chinesische Marken betroffen. Belastetes Milchpulverwurde auch ausgeführt. Die Unternehmen Yashili und Qingdao Suokanghätten nach Bangladesch, Jemen, Birma, Burundi und Gabun exportiert.Die Produkte würden zurückgezogen.

Außer der neuseeländischen Fonterra-Gruppe, die selbst in Chinahergestellte Produkte zurückzog, sind auch andere ausländischeMilchunternehmen betroffen. Der skandinavische Molkereikonzern Arla,der mit Mengniu in China kooperiert, rief alle Milchpulver-Produktevom chinesischen Markt zurück und stellt die Produktion ein. Wie einKonzernsprecher in Stockholm im Rundfunk sagte, wurde in drei von 28untersuchten Produktproben des Tochterunternehmens Mengniu Arla diegiftige Chemikalie gefunden.

Der Skandal hat auch erste personelle Konsequenzen. DieVorstandsvorsitzende und Parteichefin des Herstellers Sanlu wurdeentlassen. In Shijiazhuang in der Provinz Hebei, dem Sitz von Sanlu,verloren auch ein Vizebürgermeister, die Chefs der Viehverwaltung,der Nahrungs- und Arzneimittelaufsicht und der Qualitätsinspektionwegen Vernachlässigung ihrer Aufsichtspflicht ihre Posten.

Besorgte Mütter lassen ihre Kinder auf Schäden durch chemisch verunreinigtes Milchpulver untersuchen. (Foto: dpa)
Besorgte Mütter lassen ihre Kinder auf Schäden durch chemisch verunreinigtes Milchpulver untersuchen. (Foto: dpa)
EPA