Belgien Belgien: Tränen zu Beginn des Dutroux-Prozesses

Arlon/dpa. - Acht Jahre nach Aufdeckung der erschütternden Mädchenmorde in Belgien steht der Kinderschänder Marc Dutroux seit Montag vor Gericht. Die zum Prozessauftakt benannten Geschworenen werden mit der Verlesung der Anklageschrift am Dienstag die Vorwürfe gegen Dutroux und drei mutmaßliche Komplizen im Einzelnen erfahren. Auch Angehörige der Opfer verfolgten im südbelgischen Arlon den lange erwarteten Beginn des Jahrhundertprozesses. «Es war nicht einfach für die Eltern», sagte der Anwalt Joris Vercraeye, der die Interessen einer betroffenen Familie vertritt.
Dutroux ist angeklagt, Mitte der 90er Jahre sechs Mädchen im Alter von 8 bis 19 Jahren entführt und misshandelt zu haben. Vier seiner Opfern kamen während ihrer Gefangenschaft ums Leben. Zwei Mädchen wurden lebend aus einem Verlies in seinem Keller befreit. Im Fall von zwei der vier toten Mädchen sowie eines getöteten Komplizen wird dem vorbestraften Kinderschänder Mord vorgeworfen. Auch Drogenhandel und Bandenbildung wird Dutroux zur Last gelegt. Die drei Mitangeklagten sollen ihm bei seinen Taten in verschiedener Weise geholfen haben.
Weite Strecken des ersten Verhandlungstages verbrachte Dutroux in schlafender Haltung, den Kopf vornüber auf die Unterarme gelegt. Der Vorsitzende Richter Stéphane Goux rief Dutroux dafür am Vormittag zur Ordnung und ließ ihn per Gegensprechanlage im schusssicheren Glaskasten der Angeklagten wecken. Dutroux schlafe nachts schlecht, sagte dessen Anwalt Xavier Magnée der Presse zur Entschuldigung seines Mandanten.
Die drei Berufsrichter unter der Leitung des Vorsitzenden Stéphane Goux wählten zum Prozessauftakt je sechs Männer und sechs Frauen als Geschworene und ebenso viele Stellvertreter aus. Die Geschworenen werden in einigen Wochen über Schuld oder Unschuld der Angeklagten entscheiden.
Ein beispielloses Medieninteresse und ein großes Polizeiaufgebot begleiteten den Prozessauftakt in der Provinzhauptstadt. 1300 Medienvertreter aus Belgien und dem Ausland hatten sich zu dem Prozess angemeldet, darunter 99 Fernsehsender und Produktionsfirmen. Belgische Sender hatten ein Containerdorf vor dem Gerichtsgebäude errichtet und berichteten in Live-Sendungen aus Arlon. Einige Eltern warteten weinend auf den Beginn der Verhandlung.
Komplett abgeschirmt von der Öffentlichkeit waren Dutroux und zwei Mitangeklagte bereits rund zweieinhalb Stunden vor Prozessbeginn aus dem nahen Gefängnis von Arlon in das Gerichtsgebäude gebracht worden. Der 47-Jährige lehnte es ab, im Verhandlungssaal gefilmt oder fotografiert zu werden. Der vierte Beschuldigte, Michel Nihoul, ist für die Dauer des Prozesses nicht inhaftiert.
Verschiedene Angehörige zeigten sich zufrieden, dass der Prozess nach jahrelangen Untersuchungen und Tauziehen zwischen verschiedenen Instanzen der Justiz schließlich doch begann. An der Absperrung vor dem Gerichtsgebäude von Arlon brachte ein Komitee von Unterstützern der Hinterbliebenen weiße Schleifen und Bilder der Opfer an.
Nach der Befreiung der beiden überlebenden Opfer waren immer mehr Einzelheiten zur Tat und zu Pannen bei Polizei und Justiz bekannt geworden und hatten heftige Empörung in Belgien bis hin zur Staatskrise ausgelöst. Im Herbst 1996 gingen rund 300 000 Menschen in Brüssel aus Solidarität mit den Angehörigen auf die Straße. Der so genannte Weiße Marsch wurde zur größten Demonstration der belgische Geschichte.
Unter Beobachtern umstritten ist nun, inwieweit das ganze Ausmaß der Verbrechen und die Existenz möglicher Hintermänner vor Gericht aufgeklärt werden kann. Mehrere Zeugen waren teils unter mysteriösen Umständen ums Leben gekommen. Auch mehrere Personen aus dem Dutroux- Umfeld starben auf zum Teil nie völlig geklärte Weise. Der Rechtsanwalt Jan Fermon, der das befreite Dutroux-Opfer Laetitia Delhez vertritt, formulierte hohe Erwartungen an das Verfahren: «Laetitia erwartet Antworten auf das Wie und das Warum» ihrer Entführung vor fast acht Jahren.
Ein Teil der interessierten Öffentlichkeit musste unterdessen vor der Tür des Gerichtssaals ausharren. Auf den Stehplätzen für das Publikum kamen lediglich rund zwei Dutzend Zuschauer unter. Etwa drei Dutzend Schaulustige wurden von der Polizei abgewiesen.
