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Beerdigung in Wächtersbach Beerdigung in Wächtersbach: Tugces Tod soll eine Lektion sein

Von Bernhard Honnigfort 03.12.2014, 18:39

Wächtersbach - Es gibt Tage, die muss man aushalten, überstehen, hinter sich bringen. Mehr gar nicht. „Ich hoffe, alles geschieht ordentlich und würdevoll“, sagt Hakan Akbulut. Er ist der Vorsitzende des Türkisch-Islamischen Kulturvereins im hessischen Wächtersbach und er kommt gerade aus der Moschee der Kleinstadt.

Der Platz hinter dem Haus füllt sich langsam mit Menschen. Vor ihm und seinem Verein liegt ein großer und gleichzeitig trauriger Tag: Gleich beginnt die Trauerfeier für Tugce A., die junge Frau, die in der Nacht zum 16. November auf dem Platz vor einem Offenbacher Schnellrestaurant von einem 18 Jahre alten Mann erschlagen wurde. Weil sie einen Streit schlichten wollte, Mut gezeigt und dafür mit dem Leben bezahlt hat.

Botschafter unter den Gästen

Der Ort der Gedenkfeier für die junge Frau ist so trist und traurig und kalt und windig wie der Platz, an dem sie Mitte November ins Koma geprügelt wurde. Ein Parkplatz, graues und rosa Pflaster, zwischen Moschee, Dänischem Bettenlager, einem Baumarkt, einer Zufahrtsstraße und einer Bahntrasse.

An der Rückseite des Bettenlagers ist ein grauer Marmortisch aufgestellt, daneben flattern eine deutsche und eine türkische Flagge. In der Moschee spricht ein Imam das Mittagsgebet, ein silbergrauer Leichenwagen fährt vor, ein brauner und reich verzierter Sarg wird auf dem Tisch abgestellt. Es geht ein eiskalter Wind.

Im Fall Tugce A. soll zügig Anklage erhoben werden. „In Haftsachen, insbesondere mit Jugendlichen, sollte möglichst innerhalb von sechs Monaten angeklagt werden“, sagte ein Sprecher der Staatsanwaltschaft Offenbach am Mittwoch. Mit dem Obduktionsergebnis sei im Januar zu rechnen.

Die Staatsanwaltschaft ermittelt wegen Körperverletzung mit Todesfolge gegen den 18-jährigen mutmaßlichen Täter Senal M. Er ist bereits wegen Körperverletzung vorbestraft.

Nach Ansicht der Schwester des Berliner Prügelopfers Jonny K. hätte mit strengeren Urteilen von Jugendgerichten möglicherweise die Tat an Tugce A. verhindert werden können. Man hätte Senal M. klare Grenzen zeigen sollen, dann „wäre es vielleicht nicht zu dieser Tat gekommen“, sagte Tina K. dem RBB.

Die Totenfeier für die junge Frau ist ein mediales Weltereignis geworden. Sie ist eine Heldin, ein Engel, ihr Schicksal rührt Millionen. Fernsehteams aus Großbritannien, der Türkei, den USA beobachten die Feier vom erhöht liegenden Straßendamm aus, die New York Times hat jemanden nach Wächtersbach geschickt. Ungefähr 200 Journalisten beobachten das Geschehen.

Die Stadt Wächtersbach hatte mit 3000 Trauergästen gerechnet, aber die sind es dann doch nicht geworden, etwa 1400 sind gekommen, um Abschied zu nehmen, Familienangehörige, der türkische Botschafter, der Konsul, Freunde und die türkische Gemeinde. Man hatte mit viel mehr gerechnet, auch weil in Offenbach vor der Klinik so viele Leute gestanden hatten am vergangenen Freitag mit Blumen und Kerzen, als Tugces Hirntod festgestellt wurde und man die lebenserhaltenden Apparate abschaltete. An dem Tag, an dem sie 23 wurde und starb.

„Wir beten für unsere Freundin Tugce“

Der Imam spricht das Totengebet auf Türkisch, zwei mächtige Lautsprecher verbreiten Gesang und Worte über den Platz, ein junger Mann steht neben ihm und übersetzt dann auf Deutsch: „Wir beten für unsere Freundin Tugce“, beginnt er. Und irgendwann heißt es, ihr Tod solle eine Lektion für alle Lebenden sein. „Bezeugt ihr ein gutes Leben unserer Schwester?“, fragt er. „Ja, wir bezeugen“, antworten die Anwesenden.

Zwei Rentner ziehen über den Straßendamm und blicken kurz hinunter auf den Platz der Totenfeier. Sie bleiben nicht stehen, haben den Satz mit der Lektion allerdings mitbekommen. „Ei, welche Lektion denn?“, fragt der eine. „Sinnlos war ihr Tod, vollkommen sinnlos“, antwortet ihm der andere. Sie ziehen weiter.

Der Fall ist geklärt und auch nicht. Es gibt nichts Neues. Senal M., ein 18-jähriger Mann, polizeibekannt, weil er schon einmal gewalttätig geworden ist, schweigt. Kurz nach seiner Festnahme soll er gesagt haben, er habe der Frau doch nur eine Ohrfeige gegeben. Danach riet ihm sein Anwalt, den Mund zu halten.

Er war auf die junge Frau losgegangen, nachdem sie in jener verhängnisvollen Nacht zwei jungen Mädchen auf der Toilette des Restaurants zu Hilfe geeilt war, die von dem jungen Schläger bedrängt worden waren. Eigentlich war die Situation geklärt. Aber er gab keine Ruhe, passte sie draußen ab und schlug blitzartig zu.

In einigen Wochen soll es ein abschließendes Obduktionsergebnis geben. Es soll klären, ob die Lehramtsstudentin an den Folgen des Schlags gegen den Kopf starb oder an den Folgen des anschließenden Sturzes auf den Boden.

Eine Aufnahme einer Überwachungskamera vor dem Schnellimbiss, von der Bild-Zeitung ins Netz gestellt, zeigt, wie die Frau starb. Zeigt vor allem aber auch, wie aggressiv und aufgeladen der mutmaßliche Täter war, den ein Freund nicht davon abhalten konnte, auf die Frau loszugehen.

Tugces Eltern zeigten sich entsetzt über die Veröffentlichung des Videos. Die Staatsanwaltschaft ermittelt nun, wer das Video weitergab. Die beiden 13-jährigen Mädchen, denen Tugce A. in jener Nacht auf der Toilette des Restaurants zu Hilfe eilte, haben sich mittlerweile auch bei der Polizei gemeldet und Aussagen gemacht. Was sie sagten, wird bislang unter Verschluss gehalten, ebenso ihre Namen.

Gemeinde hält Abstand

Nach der Totenfeier in Wächtersbach wird Tugce A. in Bad Soden-Salmünster beerdigt. Dort ist sie geboren, dort wohnen ihre Eltern und Geschwister, sie lebte im benachbarten Gelnhausen. Der Buskonvoi hat den Friedhof mit der kleine, modernen Kapelle erreicht. Die Straße dorthin wurde von der Polizei abgesperrt. Angehörige tragen den Sarg langsam zum Grab, dann wird die in ein Tuch gehüllte Tote nach islamischem Ritus beerdigt.

Familie und Freunde stehen am Grab, Hessens Ministerpräsident Volker Bouffier ist gekommen, die Trauergemeinde hält wunschgemäß deutlich Abstand. Für Familie und Freunde wird anschließend ein traditionelles Essen in der Trauerhalle gereicht.

Dann, nach zweieinhalb Stunden, ist es vorbei, die Leute gehen. Jemand hat einen Blumenstrauß mit rosa Schleifen abgelegt. Es steht nur ein Satz darauf: „Es hätte auch meine Tochter sein können.“