Bayern Bayern: Der See, der niemals zufriert

Oberstdorf/dapd. - Marlene Hornik steht dick eingemummt vor ihremCafe im Trettachtal bei Oberstdorf. «So kalt hatten wir es hier nochnie», sagt sie. «Ich kann mich zumindest in den 25 Jahren, die ichschon in Oberstdorf bin, nicht dran erinnern, dass es jemals minus29 Grad hatte». Aber den geheimnisvollen kleinen See ganz in derNähe interessiert das nicht. Dort hinten in dem Gebirgstal, wo sichdie mächtigen Berge wie eine riesige Trennwand zwischen Österreichund Deutschland schieben, ist er: der See, der niemals zufriert.
Ein unscheinbarer Gebirgssee in 900 Metern Höhe
Drei Stunden dauert der Fußmarsch von Oberstdorf aus. Dann liegter vor einem der Christlessee im eisigen Gebirgstal auf 916 MeternHöhe. An sich ein unscheinbarer, dunkler Gebirgssee. Man sieht zweihell-türkisfarbene Stellen. Einige Bäume liegen im Wasser. SchonMitte des 19. Jahrhunderts, erzählt man, wurden sie bei einemLawinenabgang mitgerissen und landeten in dem kleinen See.
Immer wieder steigen leichte Dampfwolken auf. «Schaut's mal, inder Mitte ist der ganz schwarz», meint eine Frau aus München, die amRande des Sees steht. Eine Dame und ein Herr aus Stuttgart bleibenstehen, fragen wieso denn dieser kleine See nicht gefroren ist. Woes doch die vergangenen Tage fast 30 Grad minus hatte. KeineEisscholle, keine Spur von Zufrieren.
Die Tourismusdirektorin Heidi Thaumiller weiß eine Antwort. «Dashaben wir schon in der Schule gelernt, dass der Christlessee niemalszufriert», erinnert sie sich. «Da gibt es unglaubliche Höhlen unddie sind unterirdisch in mehreren Kammern und unter der Erdegefriert es ja nicht». Der Christlessee wird von diesenunterirdischen Quellen gespeist und so hat er - das ganze Jahr über,im Sommer wie im Winter - immer die gleiche Temperatur, nämlich vierbis sechs Grad.
Im Sommer ist der See mit den spektakulären Blau-Tönen extremkalt, viel zu kalt zum Baden. Im Winter ist er im Gegensatz zuseiner Umgebung relativ warm. Seinen Namen hat der Christlessee voneinem jungen Mann namens Christian, dessen Familie in der Mitte des18. Jahrhunderts hier lebte.
Legenden ranken sich um den See
Weit geheimnisvoller aber ist eine andere Geschichte vomChristlessee. Aber die kennt kaum mehr jemand. In einem altenSagenbuch wurde vor 120 Jahren ein Ereignis aufgeschrieben, das sichnicht genau datieren lässt. Von Murano aus sollen immer wieder malGlasbläser und ihre Helfer loszogen sein und nach besonderenMaterialien für ihre Glaskunst gesucht haben.
Es heißt, dass eines Tages ein hageres Männlein in sonderbarerTracht aus der Nähe von Venedig hier auftauchte. Fortan soll diesesMännlein jedes Jahr eine Schaufel aus dem nahe gelegenen Haus geholtund feinen Schlamm geborgen haben. Diesen trocknete es und packteihn dann in ein Taschentuch. Wenn es nach getaner Arbeit dieSchaufel zurückgab, sagte es meistens: «So, jetzt hab ich wieder aufein Jahr genug zum Leben.»
Gemunkelt wird, das sogenannte Venedigermännle habe nicht nurnach Goldschlamm, sondern auch nach Kobalt gesucht. Damit wirddieses fantastische Blau hergestellt, das seit langer Zeit zumFärben von Glas und Keramik verwendet wird. Im Trettachtal sagen dieLeute, dass er damals Goldschlamm gefunden habe. Das Kobalt hat derChristlessee aber scheinbar für sich behalten, das sieht man -besonders im Sommer - aus der Tiefe dieses Sees leuchten, der mitseinen Quellen übrigens das Wasserreservoir für Oberstdorf ist.