Bauwut in Spanien Bauwut in Spanien: Werden auch die letzten Küsten zubetoniert?
Madrid/dpa. - Vera hat knapp 9 500 Einwohner. Abseits der großenTouristenpfade gelegen, ist der kleine Ort an der Küste von Almeríaim Südosten Spaniens durch seine kilometerlangen Sandstrände bekanntund bei FKK-Anhängern beliebt. Nun hat Vera große Pläne: In denkommenden Jahren sollen in der Gemeinde fast 120 000 Wohnungenentstehen, ein Golfplatz ist schon fertig. «Wir haben wederLandwirtschaft noch Industrie. Die Zukunft liegt im Tourismus», meintBürgermeister Félix López. «Wir scheuen uns nicht, 75 Prozent unseres Territoriums zu bebauen», fügte er kürzlich in der Zeitung «El País»hinzu.
Umweltschützer sehen solche Vorhaben indes mit Schrecken. ZumalVera längst kein Einzelfall ist. Nachdem weite Teile der spanischenKüste bereits zubetoniert worden sind, sollen nun die letztenunberührten Streifen dem Bagger zum Opfer fallen, warnen dieKritiker. Allein in der Provinz Almería und im benachbarten Murciasind eine halbe Million Wohnungen geplant, nochmal so viele sind esSchätzungen zufolge in der Region Valencia. Als Abnehmer sind nichtnur Spanier im Visier, sondern auch Europäer, die von einerZweitwohnung oder einem Altersruhesitz an der Sonne träumen.
Während die Presse von einer regelrechten Bauwut spricht, fragensich Experten, wie dieser ganze Wohnraum belegt werden soll. Selbstwenn man die inländische und ausländische Nachfrage zu Grunde lege,blieben Hunderttausende leer stehende «Phantomwohnungen» übrig,rechnet der Wirtschaftsprofessor José García Montalvo vor. «Wirerleben eine alarmierende Spekulation», erklärt er das Phänomen. DerImmobilienbranche seien in den vergangenen Jahren Kredite in Höhe von124 Milliarden Euro für neue Projekte gewährt worden, weitaus wenigerGeld fließe in die Industrie.
Sollten in Murcia etwa alle Bebauungspläne umgesetzt werden, würdesich die Bevölkerung in nicht allzu langer Zeit verfünffachen. Unddies in einer Region, die unter akuter Wasserknappheit leidet - abertrotzdem zahlreiche Golfplätze plant. Doch für die großenWohnungsbaugesellschaften scheint das kein Problem mehr zu sein: IhreRundum-Projekte sehen inzwischen sogar den Bau von Meeresentsalzungs-Anlagen vor. «Wir stellen die Kellner, die Gärtner und selbst dieÄrzte im Hospital», heißt es bei einem der Branchenführer.
Umweltministerin Cristina Narbona äußert sich ob des Baufiebersbesorgt: «Wir laufen Gefahr, die Henne zu schlachten, die uns goldeneEier legt.» Viele fragen sich inzwischen, wie viel Beton ein Landverträgt, das bereits 50 Millionen Touristen im Jahr zählt und damitrund 30 Milliarden Euro verdient. Der Regierung sind jedoch die Händegebunden, denn der Wohnungsbau ist Angelegenheit der einzelnenRegionen.
Inzwischen regt sich auch Protest in der Bevölkerung. An der KüsteValencias, wo auch Tausende Briten oder Deutsche zeitweise oder festwohnen, unterschrieben rund 15 0000 besorgte Einwohner eine Petitionan das Europäische Parlament. Und dieses verabschiedete mit großerMehrheit eine Erklärung, in der von der Regionalregierung einsofortiger Baustopp verlangt wird. Die Aufforderung ist zwar nichtbindend, hatte aber Signalwirkung. Die Regierung Valencias sagte zu,den derzeit geltenden, großzügigen Wohnungsbauplan so schnell wiemöglich zu Gunsten einer restriktiveren Regelung abzuschaffen.
Anlass der Petition war, dass in Gegenden, wo es bislang nurkleinere Siedlungen oder vereinzelte Häuser gab, plötzlich riesigeWohnkomplexe entstehen sollen. Vielen Eigentümern erging es wie Soniaund William Gale, die sich vor Jahren in Benissa bei Alicante einHaus mit Pool und Garten gekauft hatten. Als die Gemeinde das Landrundherum zum Bau von Reihenhäusern freigab, wurde dem britischenEhepaar mitgeteilt, sein Grundstück stehe im Weg. Die Gales sollten800 Quadratmeter abtreten und 42 500 Euro Erschließungskosten zahlen.Der Fall beschäftigt seit längerem die Justiz. Doch mittlerweile istdas Haus von Baggern umgeben - und William Gale leidet anDepressionen.