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Badeunfall Badeunfall: Vater trauert um seine Tochter

Von Bernd Kaufholz 15.07.2011, 18:09

Slatni Pjassazi/Rietzel/VS. - Dienstag früh stirbt am Schwarzen Meer in Bulgarien ein 13 Jahre altes Mädchen aus dem Jerichower Land. Die Umwälzpumpe des Hotelpools ist ungesichert. Sarah aus Rietzel ist zwei Tage zuvor mit ihrem Vater in Slatni Pjassazi (Goldstrand) angekommen. Beide freuen sich auf Strand, Meer und Sonnenschein. Doch es kommt ganz anders: Statt Urlaubsfreuden stehen Tod und grenzenlose Trauer bevor.

Günther E. sitzt auf einem Gartenstuhl unter dem Terrassendach seines Nachbarn Tobias. Er versucht, sich eine Zigarette anzuzünden - raucht hastig. Seine Augen sind überschattet. Von grenzenloser Trauer und den Beruhigungstabletten, die ihn überhaupt erst in die Lage versetzen, einen halbwegs klaren Gedanken zu fassen. "Am Wochenende kommt Sarah nach Hause", sagt er mit leiser Stimme und seine Augen röten sich dabei. "Dabei sollte doch alles so schön werden. Und es fing doch auch so an ..."

Am Sonnabend der vergangenen Woche waren Sarah und ihr seit acht Jahren alleinerziehender Vater vom Flughafen Berlin Tegel nach Bulgarien geflogen. "Seitdem wir allein sind, haben wir immer einen gemeinsamen Sommerurlaub gemacht", erzählt der 52-Jährige weiter. "Frühbucher. Immer ins Warme. Tunesien, Griechenland, Spanien." Der erste Eindruck vom All-inklusive-Hotel "Berlin Golden Beach" sei prima gewesen. "Sarah hat gesagt: Oh, Papa, ein Superhotel."

Am Sonntag sei der erste Urlaubstag gewesen: "Wir sind im Pool und im Meer geschwommen, haben gelesen und haben es uns gut gehen lassen." Morgen finde ich hier bestimmt Freunde, habe die kontaktfreudige Sarah gesagt, erinnert sich Günther E. Später waren Vater und Tochter zwei Stunden am Strand spazieren gegangen. "Sarah war an diesem Abend nicht wie sonst - irgendwie erwachsener. Sie wollte nicht gleich shoppen gehen. Sie wollte sich nur unbedingt von dem Mann porträtieren lassen, der vor unserem Hotel malte." Was Günther E. nicht sagt, was man ihm jedoch ansieht, ist der Satz: Hätte sie es doch nur getan.

Am nächsten Vormittag lagen beide auf ihren Liegen am Strand. Bis Sarah gegen 10.30 Uhr sagte: Ich gehe rüber zum Pool. "Ich habe gelesen, aber ich konnte mich nicht richtig konzentrieren", so der 52-Jährige. "Ich habe gedacht es liegt an der Sonne. Aber es war wohl eine Art Ahnung. Ich hätte nie gedacht, dass es so etwas gibt."

Günther E. hörte wenig später ein Martinshorn und sah einen Rettungswagen mit Blaulicht vor das Hotel fahren. "Ich bin hingegangen und habe einen Animateur gefragt, was passiert ist. Dieser sprach deutsch: Einem kleinen Mädchen ist im Pool etwas passiert. Wie alt?, habe ich gefragt. Das wusste er nicht. Aber als er gesagt hat: Mit einer blauen Bikinihose, habe ich gewusst: Das ist Sarah."

Was Günther E. zu diesem Zeitpunkt noch nicht wusste, war, wie das Unglück im Hotelpool geschehen konnte: Am Ende eines im Durchmesser etwa 20 Zentimeter großen Ansaugrohrs der Umwälzpumpe auf dem Beckengrund fehlte wahrscheinlich die Abdeckung. So entstand über dem offenen Teil ein starker Sog. Dieser hatte das Mädchen wie ein Magnet unter Wasser festgehalten. Mehrere Hotelmitarbeiter hatten minutenlang versucht, den Körper von der Öffnung wegzuziehen, aber die Kraft im 1,40 Meter tiefen Wasser des Beckens sei kaum zu überwinden gewesen.

Wie Sarah in den Sog geraten war, ob sie gesprungen oder getaucht war, ist nicht bekannt. Die folgenden Stunden nach dem Unfall kann der tief in die Seele getroffene Vater nur schwer wiedergeben. Die Erinnerung blitzt nur bruchstückhaft auf.

Er sei ins Krankenhaus gebracht worden. Der Arzt habe nur den Kopf geschüttelt. "Da habe ich gewusst, es sieht schlecht aus." Ihm wurde übersetzt, dass die Tochter reanimiert worden sei, aber nicht selbst atmen kann. Sie habe keine Gehirnströme mehr, teilten die Ärzte dem Vater mit.

Günther E. organisierte mit Hilfe des Reiseveranstalters und seiner Versicherung, dass Sarah nach Deutschland ausgeflogen wird. Er wurde zum Hotel zurückgebracht, damit er packen kann. Die Polizei hatte währenddessen ein Verfahren eröffnet, um die genaue Todesursache zu ermitteln. Der Mann aus Rietzel wurde erst zur Polizei, dann zum Amtsgericht gebracht und befragt. "Die Aufregung und die Verständigungsschwierigkeiten ..." Er habe etwas unterschreiben müssen. Was? "Ich weiß es nicht mehr."

Die Nacht zum Dienstag. "Ich habe innerlich gewusst, dass Sarah gestorben ist. Und ich habe immer daran gedacht, was sie wenige Tage zuvor gesagt hatte. Wir haben einen Film über Organspende gesehen und Sarah meinte: Wenn ich mal tot bin, sollen meine Organe Kranke haben, damit sie weiterleben können." Und wenn ihn in Bulgarien jemand gefragt hätte, hätte er diesen Willen der Tochter auch respektiert.

Am nächsten Morgen wurde die Ahnung zur traurigen Wahrheit. "Ich musste mein Kind sehen und anfassen. Ich wollte wissen, ob es kalt ist, denn Sarah hat ausgesehen, als ob sie schläft." Das Mädchen sei zu lange unter Wasser gewesen, habe der Arzt gesagt und den Untröstlichen versucht, ein wenig zu trösten: Selbst wenn sie überlebt hätte, wäre sie nie wieder der Mensch geworden, den Sie gekannt haben.

Günther E. verschaffte sich fast gewaltsam Zutritt vom nun gesperrten Innenpool im Hotel "Berlin Golden Beach". Das Wasser war abgelassen worden. Dort erfuhr er die Tragödie mit dem Saugrohr. Eine Stunde saß er am leeren Becken. Allein mit sich und seinem Seelenschmerz.

Sarah war beliebt im Dorf. Sie machte bei der Feuerwehr mit und mit der Schultanzgruppe hatte sie viele Auftritte - auch bei Sachsen-Anhalt-Tagen. Die gute Schülerin - Lieblingsfach Mathe - habe "etwas mit Menschen" machen wollen, so der Vater. Am liebsten im Krankenhaus. Wenige Meter neben dem Trauerhaus steht eine junge Buche. An dieser Stelle war vor sechs Jahren eine junge Frau ermordet worden. Auf dem Gedenkstein steht: "Erinnerungen sind wie kleine Sterne, die tröstend in das Dunkel unseres Traums leuchten."