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Vor Gericht Kein Vorsatz, aber heftig: Cabriofahrer fährt Schüler an

Der Fall macht bundesweit Schlagzeilen: Ein Autofahrer fährt auf der Insel Rügen einen 13-Jährigen aus Bremen an. Aber nicht mit Absicht, wie das Amtsgericht Bergen befindet.

Von dpa Aktualisiert: 16.06.2025, 14:17
Geldstrafe für Angeklagten (re.)
Geldstrafe für Angeklagten (re.) Stefan Sauer/dpa

Bergen - Rund zehn Monate nach einem Verkehrsunfall auf Rügen mit einem schwer verletzten 13-jährigen Schüler ist der Autofahrer wegen fahrlässiger Körperverletzung und Fahrerflucht zu einer Geldstrafe von 12.000 Euro verurteilt worden. 

„Sie haben alles falsch gemacht, was man als Fahrzeugführer falsch machen kann“, sagte der Vorsitzende Richter Harald Nolte am Amtsgericht Bergen in seiner Urteilsbegründung. Allerdings spreche nichts dafür, dass der Mann den Jungen gezielt oder bewusst habe anfahren wollen. 

Der 47 Jahre alte Unternehmer und fünffacher Vater wurde deshalb nicht wie angeklagt wegen gefährlicher, sondern wegen fahrlässiger Körperverletzung verurteilt. 

Zudem bleibt sein seit November vorigen Jahres eingezogener Führerschein für eineinhalb Jahre weiter gesperrt. Der Angeklagte sei charakterlich nicht geeignet, ein Fahrzeug zu führen, so der Richter. Die Staatsanwaltschaft hatte eine Freiheitsstrafe von zwei Jahren auf Bewährung gefordert. 

Mittelfinger gezeigt

Mehrere Klassenkameraden des heute 14 Jahre alten Schülers hatten am ersten Prozesstag ausgesagt, dass der Mann am 14. August vorigen Jahres sein Auto gedreht und den Jungen mit einer gezielten Lenkbewegung angefahren und schwer verletzt habe. Zuvor hatte der damalige Achtklässler, der auf Klassenfahrt in Prora war, nach eigenen Angaben dem Fahrer einen Mittelfinger als provozierende Geste gezeigt. 

Der Angeklagte selbst widersprach mehrmals vor Gericht dem Vorwurf, er habe den 13-Jährigen damals in Prora auf Rügen mit Absicht angefahren. Das entbehre jeder Grundlage, auch habe er gar kein Motiv dafür gehabt, so der Angeklagte. Den Mittelfinger habe er überhaupt nicht wahrgenommen. 

Auf Klassenfahrt in Prora

Der Schüler, der an dem Prozess mit seinen Eltern als Nebenkläger teilnahm, war im August 2024 auf Klassenfahrt auf Rügen und in der Jugendherberge in Prora (Gemeinde Binz) untergebracht. Am Unfallabend wollte er in einer Gruppe von sieben Schülern gegen 21.00 Uhr zu Fuß zu einem Supermarkt gehen. An einer Straßenkreuzung machte der Junge ein paar Faxen, laut unterschiedlichen Zeugenaussagen soll er aus Jux auf der Straße getanzt oder gehockt oder Liegestütze gemacht haben, als der 47-Jährige mit seinem Cabrio vorbeifuhr.

Der Mann wendete kurz danach und fuhr wieder zurück, weil er nach eigenen Angaben etwas zu Hause vergessen hatte, das Gericht stufte dies als glaubwürdig ein. Dann sei der Junge plötzlich auf die Straße gesprungen, und er habe nicht mehr rechtzeitig ausweichen können, nach rechts gesteuert und gebremst, sagte der Angeklagte. Der 13-Jährige sprang zunächst hoch und prallte dann auf Motorhaube und Windschutzscheibe. Danach stand er auf und lief mit seinen Freunden zurück zur Jugendherberge. Er erlitt ein Schädelhirntrauma, ein Bauchtrauma und mehrere Wunden. 

Mit mindestens 25 Kilometer in der Stunde

Der Autofahrer stieg damals aus, verließ aber den Unfallort, ohne die Polizei zu informieren oder Hilfe zu holen. Er habe einen Jungen angefahren und angesichts der starken Schäden an der Windschutzscheibe von erheblichen Verletzungen ausgehen müssen. Es sei aber weitergefahren. „Das ist wirklich heftig“, befand der Richter. 

Laut technischem Sachverständigen betrug die Geschwindigkeit des Cabrios beim Aufprall mindestens 25 Kilometer pro Stunde. Nach Vorlage mehrerer Varianten sagte der Gutachter, es könne nicht der Schluss gezogen werden, dass der Autofahrer den Fußgänger mit Absicht habe anfahren wollen. Das könne technisch nicht nachgewiesen werden. Laut Gericht hat auch der Schüler eine „gewisse Mitverantwortung“ für den Unfall, weil er auf der Straße „rumgehampelt“ sei.

Unfallauto unter Planen versteckt

Die Polizei hatte nach dem Unfall wochenlang nach dem Fahrer und dem Unfallauto gesucht. Das Cabrio wurde am 5. September bei einer Hausdurchsuchung auf dem Betriebsgelände des Angeklagten sichergestellt, wo es in einer Garage unter Planen und Decken hinter Möbeln stand. Er habe das Fahrzeug relativ sorgfältig versteckt, so der Richter. Der Angeklagte argumentierte, dies habe er auf Anraten seines damaligen Anwalts getan, was auch zum Verteidigerwechsel geführt habe.