Amoklauf Amoklauf: Gewaltfantasien gegen Demütigungen
HALLE/MZ. - Amokläufer werden häufig als männliche Einzelgänger charakterisiert, die eine Vorliebe für Waffen und gewaltverherrlichenden Computerspiele haben. Ist das ein Klischee?
Hoffmann: Nein, da ist etwas dran. Häufig sind diese Täter junge Männer, die Kontaktprobleme haben. Von außen betrachtet, müssen sie nicht unbedingt auffällig sein. Die Zurückgezogenheit eines Täters und die Schwierigkeiten, ein soziales Netz zu knüpfen, werden häufig erst im Nachhinein wahrgenommen. Die Täter entwickeln Gewaltfantasien, die häufig mit Computerspielen ausgelebt werden. Typisch ist zudem ein leichter Zugang zu Waffen.
Im Elternhaus des Amokläufers von Winnenden waren Waffen vorhanden. Kann das die Hemmschwelle gesenkt haben, eine Waffe gegen Menschen zu richten?
Hoffmann: Wenn jemand des öfteren eine Waffe in die Hand nimmt, ist das natürlich etwas Vertrauteres, es ist kein Fremdkörper, so wie für andere Menschen, die noch nie mit Waffen zu tun hatten. Dabei kann die Hemmschwelle sinken, die Waffen auch zu gebrauchen.
Welche Rolle spielt Mobbing bei der Entwicklung der Gewalt-Fantasien der Täter?
Hoffmann: Das kann eine Rolle spielen. Zumindestens neigen die Täter zu einem sehr empfindlichen Selbstwertgefühl. Sie sind leicht zu kränken. Kleine Sticheleien empfinden sie als große Demütigung. Als Kompensation entstehen die Gewaltfantasien, in denen sie sich zu einem Helden stilisieren, der einmal im Mittelpunkt steht und von allen bewundert wird.
Ist dieser Wunsch nach Aufmerksamkeit ein Hauptmotiv?
Hoffmann: Der Wunsch im Mittelpunkt zu stehen und bewundert zu werden ist ein wichtiges Motiv. Aber auch Rache spielt eine Rolle, zum Beispiel wegen alter Kränkungen, die der Täter erlebt hat.
Nicht zum ersten Mal ist die ehemalige Schule des Täters der Tatort eines Amoklaufs. Ist das ein Zufall?
Hoffmann: Nein, das ist sicher kein Zufall. Von dem Amokläufer in Erfurt 2002 wissen wir ja, dass er in die Schule ging, die er zuvor ohne Abschlusss verlassen hatte. Der Täter in Winnenden hat, so vermute ich, auch ein Kränkungserlebnis aus seiner Schulzeit mitgenommen. Von außen betrachtet können die Erlebnisse auch unbedeutsam wirken. Aber für den Amokläufer sind zum Beispiel Kränkungen durch Lehrer oder Ausgrenzung durch Mitschüler ein Motiv.
Können gesellschaftliche Krisen wie etwa die momentane Wirtschaftskrise ein Auslöser von Amokläufen sein?
Hoffmann: Statistisch ist das nicht zu beweisen, weil es sich hier ja um Einzelfälle handelt. Aber denkbar ist, dass ohnehin verunsicherte Menschen, wie die Täter, durch die momentane Situation noch stärker verunsichert werden und ihre Ängste mit Allmachtsfantasien bekämpfen, sich also stark träumen.
Wie kann man potentielle Amokläufer erkennen? Gibt es so etwas wie ein Krankheitsbild, das ein Fachmann diagnostizieren könnte?
Hoffmann: Das ist nicht einfach zu beantworten. Aus fachlicher Sicht liegt bei den Tätern eine Persönlichkeitsstörung vor. Die Grenzen dazu, was krankhaft ist, sind aber fließend. Bei einem jungen Menschen von 17 Jahren, wie es der Täter in Winnenden war, ist zudem der Charakter noch nicht so gefestigt. Oft gleichen sich Störungen in der Persönlichkeit im Laufe der Jahre noch aus. Man ist nicht unbedingt geneigt, einen so jungen Menschen auf eine krankhafte Störung festzulegen.
Der Täter in Winnenden hat sich nach dem Amoklauf nicht selbst umgebracht, sondern wurde später erschossen. Ist das untypisch?
Hoffmann: So weit ich die Fälle überblicke, sind die Taten meist darauf angelegt, dass der Amokläufer ums Leben kommt. Das muss aber kein Selbstmord im engeren Sinn sein. Das "Drehbuch", dass der Täter hatte, sah eventuell vor, dass er sich erschießen lässt. Eine Rolle können hier Filme spielen, die der Amokläufer gesehen hat, und deren Handlung er nachahmt.
Könnte der Täter in Winningen auch den Amoklauf in Alabama nachgeahmt haben, der gestern Morgen bekannt wurde?
Hoffmann: Ich halte es für möglich, dass dies ein Auslöser war, allerdings nicht der Grund. Der Täter plant einen Amoklauf in der Regel über Monate. Aber ein Ereignis wie die Tat in Alabama kann einen Nachahmungseffekt haben im Sinne von "jetzt mache ich das auch".
Gibt es Möglichkeiten, Amokläufe zu verhindern?
Hoffmann: Aus meiner Sicht gibt es zwei wichtige Ansatzpunkte in dieser Frage: Erstens müssen wir die Jugendlichen, die in Gewaltfantasien abdriften, ernst nehmen und rechtzeitig reagieren. Zweitens ist es wichtig, Kinder zu selbstbewussten Persönlichkeiten zu erziehen, die nicht leicht zu kränken sind und die gut eingebunden sind in die Familie, in den Freundeskreis und in Vereinen.