Adelsarchiv wird 60 Adelsarchiv wird 60: Dem blauen Blut auf der Spur

Marburg/dpa. - Graf Moritz Strachwitz hat schon manchen Traum von der Blaublütigkeit platzen lassen. Den Mitarbeiter des DeutschenAdelsarchivs ziehen regelmäßig eifrige Ahnenforscher zu Rate, diesich mit einem «von» im Namen schmücken wollen. «Aber auch wenn schondie Großmutter erzählt hat, dass die Familie eigentlich adelig sei:In den allermeisten Fällen stimmt es nicht», sagt der Archivarschmunzelnd. Das Marburger Archiv, das persönliche Daten rund um dieAngehörigen des historischen Adels sammelt, feiert an diesem Samstag(12. November) sein 60-jähriges Bestehen.
Hauptaufgabe der bundesweit einmaligen Sammelstätte ist dieHerausgabe der «Genealogischen Handbücher des Adels», dem «Who isWho» des Standes. Wer in die fürstlichen, gräflichen, freiherrlichenund adeligen Werke aufgenommen werden darf, ist strikt reglementiert,wie Archivdirektor Christoph Franke berichtet. «Aufnahmefähig sindalle Geschlechter des historischen Adels aus dem früheren 'HeiligenRömischen Reich Deutscher Nation' - also nur, wer von einem adeligenMann in legitimer Ehe abstammt.» Die Bücher stehen in der Traditiondes bereits seit 1764 veröffentlichten «Gotha».
Seit dem Wiederaufleben der Tradition im Jahr 1951 hat das Archiv138 Bände publiziert. Herzstück ist die 20 000 Bände umfassendeBibliothek mit Familiengeschichten des deutschstämmigen Adels. Darinwerden etwa Geburts-, Hochzeits- und Todesdaten, Berufe sowieAdressen von knapp 4500 Familien edler Herkunft auf den neuestenStand gebracht. Obwohl «Durchlaucht» und «Hoheit» für dieVeröffentlichung ihrer Daten pro Manuskriptseite 50 Euro zahlenmüssen, stoßen die Nachschlagewerke laut Franke auf reges Interesse:«Es bringt Prestige.» Außer beim Adel selbst fänden die Handbüchervor allem in Bibliotheken Platz.
Auch wenn ihre Privilegien längst abgeschafft sind: Dass Herzögeund Fürsten, Prinzessinnen und Freiherren nach wie vor weite Teileder Bevölkerung faszinieren, führt Franke vor allem auf den «Glamour»zurück. «Und vielleicht fehlen auch Vorbilder in der Gesellschaft.»Die Anziehungskraft des Adels bekomme das Archiv besonders beiHochzeiten, unehelichen Kindern der Edelleute oder spektakulärenTodesfällen zu spüren, erzählt Strachwitz. Nach dem Tod von Lady Dietwa sei die Einrichtung regelrecht überrannt worden. Im Normalfallbearbeiten die vier Mitarbeiter mindestens 20 Anfragen pro Tag.
Das Archiv erhält keine öffentlichen Mittel, sondern finanziertsein jährliches Budget von rund 250 000 Euro überwiegend aus Spendensowie aus Gebühren von Adelsfamilien und Benutzern. Wer etwa wissenwill, ob er selbst adeliger Abstammung ist oder wie Mitglieder desStandes korrekt angesprochen werden, muss für die Auskünfte zahlen.Träger der Einrichtung ist eine Stiftung von Angehörigen des Adels.
Umstritten sei allerdings, wer angesichts der «fortschreitendenVerbürgerlichung» heute überhaupt zum Adel zähle, sagt Strachwitz. AmNamen sei die Zugehörigkeit nicht mehr abzulesen, zu viele adoptierteoder eingeheiratete Adelige schmückten sich - zu Recht - mit einem«von» im Briefkopf. «Bei dem hohen Prozentsatz von Eheschließungenmit Bürgerlichen kann man eher von einer Auflösung des Standessprechen.» Diese Entwicklung lasse eine neue Schicht entstehen,betont der Wirtschafts- und Sozialhistoriker Franke: «Sie ist nichtmehr traditionell adelig, aber auch nicht traditionell bürgerlich.»