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Absturz über dem Bodensee Absturz über dem Bodensee: Fluglotse warnte zu spät vor der Kollision

04.07.2002, 14:25
Mindestabstände im Luftraum
Mindestabstände im Luftraum dpa

Überlingen/Zürich/dpa. - Drei Tage nach der Flugzeugkatastrophe am Bodensee konzentrieren sich die Ermittler auf den sekundengenauen Ablauf vor der Kollision bei der Schweizer Flugsicherung skyguide. Der Schweizer Lotse habe die Tupolew-Crewlediglich 44 Sekunden vor dem Zusammenstoß zum Sinkflug aufgefordert, sagte der Direktor der Bundesstelle für Flugunfalluntersuchung (BFU), Peter Schlegel, am Donnerstag in Braunschweig. Ein sanfter Sinkflug erfordere jedoch 90 Sekunden.

Medienberichten, nach denen die russische Crew bereits zuvor die Lotsen vor der Gefahr gewarnt haben sollen, könne er nicht bestätigen, sagte Schlegel. Weitere Ergebnissesollen die Auswertung von Stimmrekordern und Flugdatenschreibern bringen. Am Ort der Katastrophe trauerten 150 Angehörige um die 71 Opfer. Die meisten Leichen wurden geborgen.

Um 23.34 Uhr und 49 Sekunden - 44 Sekunden vor dem Zusammenstoß - habe der Pilot der russischen Maschine den Funkspruch des Lotsen empfangen. Da die Besatzung nicht reagiert habe, sei der Spruch 14 Sekunden später wiederholt worden. Die Crew bestätigte und leitete den Sinkflug ein. Die dafür verbliebenen 30 Sekunden hätten laut Schlegel dem russischen Piloten noch gereicht, um einen Zusammenstoßzu verhindern. Zur selben Zeit habe Zürich einen Funkspruchempfangen, dass eines der bordeigenen TCAS-Warnsysteme einen Sinkflug eingeleitet hat. Mit großer Wahrscheinlichkeit sei dieser Spruch von der entgegenrasenden Boeing gekommen. Beide Maschinen haben nach den Unterlagen die modernsten Warnsysteme an Bord gehabt.

Nach ersten Erkenntnisse der BFU hatte es, anders als in Medien berichtet, zuvor keine Warnungen aus der russischen Maschine an die Lotsen gegeben. Die russische Nachrichtenagentur RIA-Nowosti hatte unter Berufung auf einen nicht näher bezeichneten russischen Expertender Untersuchungskommission berichtet, der Pilot habe die Gefahr bereits 90 Sekunden vor dem Zusammenstoß an skyguide gemeldet. In deutschen Medien wurde zudem darüber spekuliert, dass der Anti-Kollisions-Radar der Tupolew dem Piloten sogar empfohlen habe, nach oben auszuweichen und er in Sekundenschnelle zwischen den widersprüchlichen Anweisungen des Systems und des Lotsen entscheidenmusste. Der Lotse hatte laut Schlegel zum Zeitpunkt des Unglücks fünf Maschinen zu betreuen. Nach Angaben eines BFU-Mitarbeiters ist dies keine außerordentliche Belastung.

Die Staatsanwaltschaften in Konstanz sowie in Bülach bei Zürich nahmen Ermittlungen auf. Wie ein Sprecher in Konstanz betonte, werde routinemäßig untersucht, ob Fehlverhalten von Personen zu der Katastrophe führte. Für den Fall von Regressansprüchen bei einem bewiesenen Fehlverhalten ist skyguide nach eigenen Angaben mit 500Millionen Franken (341 Millionen Euro) versichert.

Die BFU begann mit der Auswertung der Flugdatenschreiber und der Rekonstruktion der Stimmenrekorder. Ergebnisse seien frühestens in einigen Tagen zu erwarten. Die Magnetbänder aller bisher geöffneten Rekorder seien zerrissen. «Die Bänder sind in einem schlimmenZustand, bevor wir reinhören können, müssen wir sie restaurieren», sagte Axel Thiel von der BFU. Außerdem sei der Datenschreiber am Unfallort gefunden worden und auf dem Weg nach Braunschweig. Die Unfallursache wird von den deutschen Behörden zusammen mit russischen und Schweizer Experten untersucht. Bundesverkehrsminister KurtBodewig (SPD) sagte in Braunschweig: «Es geht nicht um eineSchuldzuweisung.»

Die Bergung der Opfer ist nach Angaben des baden-württembergischen Innenministers Thomas Schäuble (CDU) «im wesentlichen abgeschlossen». Nach Angaben der Botschaft der Republik Weißrussland sind darunter auch 4 Weißrussen. Bis zum Nachmittag seien 68 der 71 Opfer geborgen worden. Ein Team aus Spezialisten begann mit der Identifizierung derLeichen.

Wrackteile der Tu 154 bei Überlingen am Bodensee. (Foto: dpa)
Wrackteile der Tu 154 bei Überlingen am Bodensee. (Foto: dpa)
dpa
Karte zur Flugzeugkollision über dem Bodensee
Karte zur Flugzeugkollision über dem Bodensee
dpa