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Absturz des Germanwings-Flugs 4U9525 Absturz des Germanwings-Flugs 4U9525: "Wir alle stehen hier unter Schock"

Von Petra Pluwatsch 24.03.2015, 17:01
Leere Wartehallen, beängstigende Stille: der Düsseldorfer Flughafen am Dienstagnachmittag
Leere Wartehallen, beängstigende Stille: der Düsseldorfer Flughafen am Dienstagnachmittag Max Grönert Lizenz

Düsseldorf - In der Ankunftshalle des Düsseldorfer Flughafens herrscht an diesem Dienstagnachmittag gespenstische Stille. In den Schnellimbissen, Restaurants und Bistros sitzen kurz nach 14 Uhr nur wenige Gäste. Gebannt starren sie auf TV-Bildschirme und Infotafeln, über die Bilder eines aufsteigenden Flugzeugs flimmern. „Sondersendung“, melden die Nachrichtensender unisono. Infobänder mit Zahlen und ersten Statements ziehen in Endlosschleifen über die Bildschirme. „Deutsches Flugzeug über Frankreich abgestürzt. Viele Tote befürchtet.“

Da ist der Germanwings/Flug 4U-9525 von Barcelona nach Düsseldorf bereits seit drei Stunden von den Radarbildschirmen verschwunden, der Düsseldorfer Flughafen hat routiniert eine Hotline für die Angehörigen der Flugzeugkatastrophe eingerichtet und Germanwings hat in knappen Worten getwittert: „Alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Germanwings und der Lufthansa sind in tiefer Betroffenheit.“ Polizisten führen mit betretenen Gesichtern weinende Angehörige durch die Halle. Ein junger Mann tupft sich mit einem zerfledderten Papiertaschentuch immer wieder die Augen ab. Sein Mund ist zu einem festen Strich zusammengekniffen. Wen mag er verloren haben an diesem schrecklichen Dienstag?

16 Schulkinder aus Haltern

Alle paar Meter stehen Beamte der der Landespolizei als Ansprechpartner bereit. Die Kollegen von der Bundespolizei sind ebenfalls verstärkt im Einsatz. „Das ist eine besondere Lage“, sagt einer von ihnen. „Da sind wir natürlich alle an der Front, um zu helfen, wo wir nur können.“

150 Menschen, so weiß man inzwischen, sind bei dem Flugzeugabsturz in der Nähe von Barcelonette im Department Alpes-de-Haute-Provence, 100 Kilometer nordwestlich von Nizza, ums Leben gekommen, sechs von ihnen gehörten zur Besatzung des Airbus A320. Zu den 144 Passagieren soll auch 16 Kinder einer Schulklasse aus Haltern (Westfalen) gehören, auch zwei ihrer Gymnasiallehrer. Über die Absturzursache sei noch nichts bekannt, ist zu hören. Die französische Zeitung „La Provence“ hatte am späten Vormittag als erste den Absturz gemeldet. Bereits kurz vor 12 Uhr sprach der französische Staatspräsident François Hollande sein Bedauern über diese Flugzeugkatastrophe aus, die auch sein Land involviert; und er wagte bereits da zu sagen, was viele befürchteten, und was sich erst später bewahrheitete: „Vermutlich gibt es keine Überlebenden.“

Ganz schrecklich sei das, sagt Camille D., die an diesem Tag an einem der Imbissstände in der Ankunftshalle in Düsseldorf Sandwiches, frischen Orangensaft und Frozen Joghurt verkauft. „Wir alle hier stehen komplett unter Schock. Wie kann so etwas überhaupt passieren?“ Die junge Frau will am Freitag nach Wien fliegen. Ein wenig bange sei ihr schon, sagt sie und schaut sich ratlos um. Niemand will ein Sandwich kaufen, die Flaschen bleiben im Regal stehen. Sonst sei hier um diese Zeit wesentlich mehr los, sagt sie. „Aber wer will in so einer Situation schon etwas essen.“

Um 14.55 Uhr landet an Gate 4 Flug VY 1894 der spanischen Vueling Airlines - aus Barcelona. Lesen Sie mehr im nächsten Abschnitt.

Wie kann so etwas passieren? Das fragt sich auch Werner K. Er wartet an diesem Nachmittag auf seine Enkelin, die gleich aus Amsterdam in Düsseldorf landen wird, und versucht, ruhig zu bleiben. Leicht fällt ihm das nicht. „An so einem Tag hat man schon ein komisches Gefühl, wenn ein lieber Mensch mit dem Flugzeug unterwegs ist,“, sagt er. „So viele Tote. Auch wenn täglich Menschen bei Autounfällen sterben. Das hier ist doch etwas anderes. Normalerweise passiert so etwas über Afrika oder Asien. Aber das hier ist im europäischen Luftraum geschehen. Und dann auch noch ein deutsches Flugzeug.“ Neben ihm steht ein junger Mann mit Blumen in der Hand. Er wartet auf seine Freundin. Ja, sagt er, auch er sei etwas beunruhigt und sehr froh, wenn das Flugzeug aus Amsterdam endlich wohlbehalten gelandet sei.

Von den 18 Schaltern von Germanwings in der ersten Etage sind nur vier oder fünf besetzt. Es ist totenstill in dem weitläufigen Raum. Einige wenige Passagiere geben schweigend ihr Gepäck auf, vor einer Absperrung stehen zwei Polizisten und halten jeden, der nicht hier hingehört, höflich zurück. „Haben Sie bitte Verständnis dafür, dass die Mitarbeiter von Germanwings nicht angesprochen werden möchten und keine Auskünfte geben können.“ Die Gesichter der jungen Frauen und Männer, die das Gepäck der Reisenden entgegennehmen, sind nahezu versteinert. Allenfalls ein kleines, höfliches Lächeln stiehlt sich auf ihre Gesichter.

Es gebe Gerüchte über einen Flugzeugabsturz, hatte Germanwings noch kurz vor 12 Uhr fast ungläubig getwittert. Noch gebe es keine Bestätigung dafür. Sobald man definitive Informationen habe, werde man die Öffentlichkeit informieren. Da war die Website der Fluggesellschaft bereits nicht mehr erreichbar und ein User namens Sam twitterte verzweifelt: „My Brother on plane. Help.“ Ein anderer schrieb: „Meine Gedanken sind bei euch und bei eurer Crew.“ Jemand namens Konta Conde hoffte, „dass das alles nicht wahr ist.“ Der Internetauftritt des Düsseldorfer Flughafens war ebenfalls nicht verfügbar – es wurden nur die Hotlines für Angehörige angezeigt.

Im VIP-Raum der Ankunftshalle hat die Flughafenleitung inzwischen einen Raum für die Angehörigen eingerichtet, eine Hotline ist geschaltet. Vor dem Eingang steht ein Wagen der Einsatzleitung der Flughafenfeuerwehr, dahinter wartet ein Polizeiwagen. Polizisten errichten eilig einen Sichtschutz aus einer weißen Plastikplane vor dem Eingang. Vor einem Mäuerchen gegenüber haben sich Kameraleute und Fotografen positioniert und richten ihre Kameras auf den Eingang des VIP-Bereichs. Wohl ist niemandem dabei.

Immer wieder führen Flughafenmitarbeiter weinende Menschen über die Straße in das Gebäude. Ein alter Herr muss gestützt werden. Sein Begleiter hält ihm zum Schutz vor neugierigen Blicken eine Mütze vor das Gesicht. Langsam, mit gesenktem Kopf verschwindet der alte Mann in dem Gebäude. Kurz vor 14 Uhr eilen fünf Notfallpsychologen in roten Schutzwesten in den Warteraum der Angehörigen. Ihre Gesichter sind besorgt. Jeder von ihnen hat eine schwarze Tasche in der Hand. Langsam schließt sich hinter ihnen die Tür, während auf der Straße Reisende mit Koffern und schweren Handgepäck Richtung Abflughalle eilen.

Um 14.55 Uhr landet an Gate 4 Flug VY 1894 der spanischen Vueling Airlines. Es ist der erste Flug aus Barcelona, der heute nach dem Absturz des Germanwings-Fluges in Düsseldorf ankommt. Die meisten Passagiere wussten bereits vor dem Abflug um das Schicksal von Flug 4U 9525. Nicht jeden hat die Nachricht geschockt. Ein spanischer Passagier ist auf dem Weg zur Messe in Köln. Er hat es eilig. „Ich habe mich noch nie so sicher gefühlt wie auf diesem Flug“, sagt er. Das klingt zynisch, doch er erklärt, was könne schon passieren an einem Tag, an dem bereits ein Flugzeug abgestürzt sei? „Die Wahrscheinlichkeit für einen zweiten Absturz ist gleich null.“ Daher habe er sich seine Kopfhörer aufgesetzt und sei ganz ruhig geblieben.

Ein zweiter Geschäftsreisender aus Deutschland scheint ebenfalls unberührt von dem Geschehen. „Ich fliege jeden zweiten Tag“, sagt er. „Ich kann es mir nicht leisten, mir über die möglichen Gefahren beim Fliegen Gedanken zu machen.“

Ein Ehepaar aus den Niederlanden hingegen erfährt erst nach der Landung von der Katastrophe. Zutiefst geschockt lassen sich die beiden auf die nächstbeste Sitzgelegenheit fallen. So haben sie sich ihre Ankunft in Deutschland nicht vorgestellt.

Die Angehörigen der Absturzopfer sind inzwischen an einen anderen Ort gebracht worden. Schon bald werden irgendwo vor dem Flughafengebäude die ersten Blumen liegen. Und auf einen handgemalten Schild wird nur ein Wort stehen: „Warum?“ (mit bce)

Ein Mann verfolgt die Pressekonferenz von Germanwings und erhofft sich Neuigkeiten.
Ein Mann verfolgt die Pressekonferenz von Germanwings und erhofft sich Neuigkeiten.
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Immer wieder führen Flughafenmitarbeiter weinende Menschen über die Straße in das Gebäude. Die Fluggäste sind konsterniert.
Immer wieder führen Flughafenmitarbeiter weinende Menschen über die Straße in das Gebäude. Die Fluggäste sind konsterniert.
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Von den 18 Schaltern von Germanwings in der ersten Etage sind nur vier oder fünf besetzt.
Von den 18 Schaltern von Germanwings in der ersten Etage sind nur vier oder fünf besetzt.
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