Aachener Ausbrecher nehmen Geisel
Aachen/dpa. - Ein Mörder und ein Geiselgangster sind aus dem Aachener Gefängnis geflohen - vermutlich mit Hilfe eines Wärters. Auf ihrer Flucht nahmen sie am Freitag anscheinend eine Geisel, die sie in Essen wieder freiließen.
Der Wärter wurde unter dem Verdacht der Gefangenenbefreiung festgenommen, wie die nordrhein-westfälische Justizministerin Roswitha Müller-Piepenkötter (CDU) in Düsseldorf sagte. Die beiden extrem gefährlichen Schwerverbrecher hatten am Donnerstag fünf Gefängnistüren mit einem Schlüssel geöffnet.
Gesucht werden der 50 Jahre alte Geiselgangster Michael Heckhoff und der 46-jährige Mörder Peter Paul Michalski. Beide sind zu lebenslangen Haftstrafen und Sicherungsverwahrung verurteilt. Der festgenommene Beamte saß zur Tatzeit an der Pforte, sagte eine Sprecherin des Landesjustizministeriums.
Die beiden Ausbrecher nahmen in Köln offenbar eine Frau als Geisel und fuhren mit ihr in ihrem Auto nach Essen. «Dort sind sie wegen Spritmangels stehen geblieben», sagte der Essener Polizeisprecher Peter Elke. Ihr Opfer ließen sie frei. «Die Frau sitzt hier bei uns im Präsidium und ist unverletzt», sagte Elke und bestätigte damit einen Bericht der «Bild»-Zeitung.
Nun werde in den südlichen Essener Stadtteilen nach den Geiselnehmern gefahndet. Es sei nicht hundertprozentig sicher, dass sie auch die beiden Ausbrecher seien. Frühere Hinweise, wonach die Schwerverbrecher in Dierdorf (Rheinland-Pfalz) gesehen worden seien, bestätigten sich nach Angaben der Polizei Koblenz nicht.
In der Justizvollzugsanstalt Aachen gelten besonders hohe Sicherheitsstandards. Es ist der erste Ausbruch aus diesem Gefängnis überhaupt und der erste in Nordrhein-Westfalen in diesem Jahr. Nach Angaben des Justizministeriums sitzt Heckhoff seit gut einem Jahr im Aachener Gefängnis. Michalski war Anfang 2006 von der JVA Wuppertal nach Aachen verlegt worden.
Wärter überwältigt
Heckhoff und Michalski hatten an der Außenschleuse des Gefängnisses gegen 20.00 Uhr einen weiteren Wärter überwältigt, der gerade von einer Kontrollfahrt zurückkam. Sie fesselten den Mann mit Handschellen und knebelten ihn. Aus einem Tresor in der Pforte der Anstalt raubten die zu Höchststrafen verurteilten Verbrecher zwei Pistolen und je acht Schuss Munition.
Mit einem Taxi, das nach ersten Erkenntnissen zufällig vor der Anstalt hielt, entkamen die Männer. Gegen 20.20 schlugen zwei Justizvollzugsbeamte Alarm, als sie das Gefängnis nicht verlassen konnten, weil der Beamte in der Pforte nicht ansprechbar und verwirrt gewesen sei. Er stand möglicherweise unter Schock und wurde in eine Klinik gebracht.
Per Taxi nach Kerpen und Köln
Die Gewalttäter fuhren mit dem Taxi nach Kerpen und stiegen dort mitsamt dem Fahrer in ein zweites Taxi um, das sie nach Köln brachte. Dort verlor sich auf dem Bahnhofsplatz ihre Spur. Für die Fahrt nach Köln hätten die Männer bezahlt und die Fahrer auch nicht bedroht, sagte der Aachener Polizeipräsident Klaus Oelze. Warum der erste Fahrer freiwillig mit nach Köln gefahren sein soll, konnte Oelze nicht erklären.
Die Polizei verteilte Fotos der beiden Flüchtigen an Taxi- Zentralen, informierte Krankenhäuser und verschärfte die Kontrollen an Bahnhöfen und Flughäfen. «Das sind zwei hochgefährliche Männer, gewalttätig und bewaffnet. Bitte keine Heldentaten!», warnte Oelze die Bevölkerung.
Bislang habe die in den 1980er Jahren gebaute Anstalt in Aachen als absolut ausbruchsicher gegolten, sagte Gefängnis-Leiterin Reina Blikslager. Zur Zeit des Ausbruchs hätten sich die Gefangenen noch in ihren Abteilungen bewegen können. Die 771 Häftlinge seien zur Tatzeit von 42 Beamten bewacht worden.
Gefährlicher Geiselgangster Heckhoff
Heckhoff gehört zu den gefährlichsten Geiselgangstern Deutschlands. Der 50-Jährige sitzt seit Anfang der 1980er Jahre mit kurzen Unterbrechungen im Gefängnis. Er war 1992 an einer Geiselnahme in Werl beteiligt. Heckhoffs damaliger Komplize - ein Mehrfachmörder - übergoss einen Wärter und eine junge Arzthelferin mit Benzin und zündete sie vor dem Zugriff der Polizei an.
Der 50-Jährige sei wegen versuchten Mordes zu lebenslanger Haft mit besonderer Schwere der Schuld und anschließender Sicherungsverwahrung verurteilt worden, hieß es aus dem Justizministerium. Das Landgericht Köln habe die Mindesthaftzeit für ihn unlängst auf 21 Jahre festgesetzt.
Michalski wegen Mordes verurteilt
Michalski sei 1988 festgenommen worden und seither nach bisherigen Erkenntnissen ununterbrochen in Haft. Das Landgericht Bielefeld habe gegen ihn 1995 wegen Mordes ebenfalls lebenslange Haft verhängt sowie die besondere Schwere der Schuld festgestellt und die anschließende Sicherungsverwahrung angeordnet.
Heckhoff gilt als Mann, der schnell schießt. «Wenn er sich angegriffen fühlt und eine Schusswaffe hat, dann wird er von dieser Waffe wahrscheinlich Gebrauch machen», sagte der frühere Leiter der JVA Werl, Klaus Koepsel, der Heckhoff aus den 90er Jahren kennt. «Der hat nichts zu verlieren.» Der Schwerverbrecher habe nicht eingesehen, dass er sein Leben hinter Gittern verbringen müsse.
Justizministerin Müller-Piepenkötter antwortete auf Fragen nach ihrer persönlichen Verantwortung: «Ich halte den Fehler eines Bediensteten nicht für einen Fehler im System.»