1. MZ.de
  2. >
  3. Mitteldeutschland
  4. >
  5. Zwangsverwaltung: Zwangsverwaltung: Der Alleinunterhalter

Zwangsverwaltung Zwangsverwaltung: Der Alleinunterhalter

Von Ralf Böhme 16.05.2013, 19:42
Frank Müller hat nicht nur den Schlüssel zum Rathaus, sondern auch den Zugriff auf alle Akten der Stadt. Er besitzt das alleinige Entscheidungsrecht, um die Geschäfte bis zur Übergabe an den neuen Bürgermeister und den neuen Stadtrat zu führen. Das ist frühestens im September.
Frank Müller hat nicht nur den Schlüssel zum Rathaus, sondern auch den Zugriff auf alle Akten der Stadt. Er besitzt das alleinige Entscheidungsrecht, um die Geschäfte bis zur Übergabe an den neuen Bürgermeister und den neuen Stadtrat zu führen. Das ist frühestens im September. Torsten Biel Lizenz

Stössen/MZ - Tatsächlich, hier weht eine steife Brise. Davon zeugen nicht nur die rund 100 Windräder im Umkreis von Stößen (Burgenlandkreis). Viel mehr sind es in dieser Gegend immer wieder solche Fragen, die für mächtigen Wirbel sorgen: Hat der Bürgermeister das Multicar der Gemeinde gegen eine Wand gefahren? Wer hat den Schlüssel für die Rathaustür versteckt? Kippt die Kommune ihren Grünschnitt auf illegale Komposthaufen? Probleme dieser Art haben über Jahre die Gemüter erhitzt - bis zur völligen Erschöpfung der Hauptakteure. Das Ergebnis: Bürgermeister und Stadträte, die nicht mehr miteinander reden wollen, haben im April das Handtuch geworfen - gleichzeitig. Und das ist ein Novum in Sachsen-Anhalt.

Nunmehr regiert in der kleinen Stadt an der B 180 der Zwangsverwalter - Frank Müller. Vor ihm auf dem Schreibtisch liegen Blätter mit langen Zahlenkolonnen. Auf dem Stapel daneben findet sich unerledigte Post. Ringsum stehen Regale mit dicken Ordnern - Verträge, Protokolle, Schriftwechsel. Es gehört viel Liebe dazu, sagt er, damit seine freie Zeit zu verbringen. Frohe Pfingsten jedenfalls sehe für ihn anders aus, auch wenn er als Chef der Liegenschaftsverwaltung der Verbandsgemeinde Wethautal akribische Büroarbeit gewöhnt ist.

Akten wälzen am Feiertag

Andere sitzen gemütlich im Biergarten oder gehen als Pfingstburschen auf fröhliche Wanderschaft, bedauert der 56-Jährige. Er hingegen werde wohl auch an den Feiertagen Akten wälzen müssen - für seinen nächsten öffentlichen Auftritt als Zwangsverwalter. Er werde sich alle Mühe geben, damit wenigstens etwas Zeit für seine vier Enkel bleibe. Aber der Termin drücke nun mal. Gleich am Dienstag ist es soweit: Der Stadtrat tagt. „Unter erschwerten Bedingungen“, wie Müller lakonisch sagt. Im Klartext verbirgt sich hinter dieser Bemerkung ein Riesenproblem: Der Beauftragte, wie ihn die Kommunalaufsicht des Landkreises nennt, sitzt allein im Ratssaal - ganz allein. Aber ohne ihn, daran gibt es nach gängiger Rechtsauffassung auch keinen Zweifel, wäre die Kommune völlig handlungsunfähig.

Vergleichbares ist in Sachsen-Anhalt noch nie passiert. Auch wenn sonst vieles, so der Retter in der Not, bis ins Kleinste geregelt sei, gebe es in diesem Fall offenbar eine echte Gesetzeslücke. Das erkläre, warum er zuweilen die Drähte zur Kreisverwaltung und bis ins Innenministerium glühen lasse. Trotzdem, sagt Müller, bleibe das Ganze ein Balanceakt - juristisch ohnehin, aber auch im Verhältnis zwischen einer „von oben“ eingesetzten Amtsperson und den gerade einmal 1 000 Einwohnern.

Dazu müsse man sich nur vorstellen, wie eine Ratssitzung ohne Bürgermeister und ohne Stadträte abläuft. Da dürfe sich niemand einer Illusion hingeben: „Ich bin da als Alleinunterhalter am Werk.“ Zuschauer seien willkommen, aber eine Aussprache? Fehlanzeige. Auch die Einwohnerfragestunde entfällt. Müller, der sich an dieser Stelle mit dem weltberühmten russischen Clown Popow vergleicht, sieht sich schon etwas ratlos vor 50 leeren Stühlen. „Ich verlese die Tagesordnung, ich verlese die Vorlagen zu den verschiedenen Themen, dann entscheide ich.“ Damit alles seine Ordnung habe, schreibe eine Protokollantin alles Gesagte auf.

Wahl wird vorbereitet

Was indes auf der Tagesordnung steht, sei der ganze Kanon der Kommunalpolitik. So geht es um die anstehende Neuwahl des Stadtrats bis zur Ausschreibung der Bürgermeisterstelle. Wenn alles klappt, dann können die Wahlberechtigten in Stößen am 1. September abstimmen, wer nach Müller das Sagen haben soll.

Jedoch: Der Teufel steckt im Detail. So dürfe der neue Bürgermeister dann sieben Jahre amtieren. Der Stadtrat hingegen trete lediglich die Nachfolge an, bis die jetzige Wahlperiode 2014 endet. Der Verwaltungswirt, der in einem Nachbarort selbst zwei Jahrzehnte die Geschicke eines Dorfes gelenkt hat, hofft: „Egal, wer es macht, aber dann ist Zusammenarbeit die erste Bürgerpflicht.“ Drei Jahre Stillstand inklusive finanzieller Schieflage, aufgeschobener Planungen und Bauprojekte, das könne sich der Ort nicht noch einmal leisten.

Jetzt heißt Müllers Anspruch zunächst kurz und bündig: „Die Kommune muss flüssig bleiben.“ Die Energierechnungen für Rathaus und Kindergarten sollen bezahlt werden. Bedienstete erwarten zurecht, dass ihre Gehälter pünktlich auf den Konten sind. Reparaturen an der Technik des Bauhofes, die nicht aufschiebbar sind, gilt es zu erledigen. Auf den Punkt gebracht, bedeutet das laut Müller: „Ich muss den Haushalt absegnen.“

Allerdings gibt es ein Hindernis. Bislang sind die Ausgaben viel höher als die Einnahmen. Abwägen und neu rechnen ist angesagt. Müller setzt der Kämmerei eine Frist: Ende Juni. Gegen diese Herausforderung erscheint ihm der überfällige Abbau der längst nicht mehr genutzten Bushaltestelle in Stößen, den der Zwangsverwalter nun anweisen will, fast als ein Klacks.

Das Rathaus von Stößen ist Schauplatz der Ein-Mann-Vorstellung.
Das Rathaus von Stößen ist Schauplatz der Ein-Mann-Vorstellung.
Torsten Biel Lizenz