Zirkus Probst Zirkus Probst: Ins wirtschaftliche Abseits durch Mindestlohn

Magdeburg - Atemlose Stille. Jetzt ein Tusch. Brausender Applaus. Helmut Büttner kennt den Programmablauf. Gleich müssen die Kamele in die Manege gebracht werden. Der Mann, der seit 18 Jahren Stallarbeiter bei Zirkus Probst ist, greift nach zwei Zügeln. Die anderen Tiere führt der Chef selbst - Unternehmer und Dompteur Rüdiger Probst.
Eine Alltäglichkeit, sagt Probst. „Ob Direktor, Clown oder Helfer - hier packt jeder mit an.“ Sonst würde der ganze Laden gar nicht rund laufen. Mit diesen Worten bringt Ostdeutschlands erfolgreichster Dresseur, berühmt für seine Auftritte mit acht sibirischen Tigern, zugleich die vielleicht größte Eigenart der Branche auf den Punkt: Ein Zirkus auf Tournee kennt einfach keine festen Arbeitszeiten, erst recht keinen geregelten Acht-Stunden-Tag. Da könne der Zoll kontrollieren wie er wolle.
Minutengenaue Dokumentation der Arbeitszeit
Mit dem Gesetz über den Mindestlohn, das ab 1. Januar in Kraft tritt, soll sich das ändern. Neben dem gesetzlich festgesetzten Mindestlohn von 8,50 Euro pro Stunde zwingt es, so Probst, vor allem zu einer minutengenauen Dokumentation der Arbeitszeit. „Das kann ein Reisebetrieb nie und nimmer erfüllen.“ Es gehe in aller Frühe mit dem Ausmisten und Füttern der Tiere los. Und Feierabend ist für die bisweilen bis zu 80 Mitarbeiter erst spätabends, lange nach der letzten Vorstellung.
Befragt nach der bisherigen Geschäftsgrundlage des Zirkusbetriebes sagt Probst: „Es ist wie in einer Familie. Da wird geteilt, was da ist.“ Und das verstehe eigentlich auch jeder - außer Arbeitsministerin Andrea Nahles (SPD), empört sich Probst. Gemeinsam mit dem Schaustellerverband habe man um eine Ausnahmegenehmigung gebeten. Doch so etwas werde bislang ohne jede Erklärung abgelehnt.
Wirtschaftlich, so Geschäftsführer Andreas Bleßmann, bedeutet diese negative Entscheidung eine Wende um 180 Grad. Monatliche Mehrkosten von 28 000 Euro seien nicht zu schultern. So gastiere der Zirkus zwar heute und am Mittwoch noch einmal in Calbe/Saale. Und auch der traditionelle Saisonausklang im Staßfurter Winterquartier (Salzlandkreis) finde statt. Aber die lange angekündigte Jubiläumstournee 2015 durch 50 Städte - der Betrieb besteht 70 Jahre - falle definitiv aus. Bleßmann, dessen Büro sich in einem der 40 Zirkuswagen gleich neben dem Kassenhäuschen befindet, sagt: „Wir machen das natürlich nicht freiwillig. Es ist eine staatlich verordnete Zwangspause. Um künftig überleben zu können, muss der Betrieb völlig neu strukturiert werden.“ Nach allem, was er so von den Zirkusgästen und seinen Geschäftspartnern erfahre, hätten sehr viele kleine und mittelständische Unternehmen ähnliche Probleme mit dem Mindestlohn-Gesetz und seinen Folgen. „Alle rechnen und merken, dass es ohne Preiserhöhungen und Entlassungen kaum abgehen kann.“
Mehr Informationen zur Zukunft des Zirkus lesen Sie auf Seite 2.
Alexandra Probst, die quasi als Vertreterin der nächsten Zirkus-Generation am Start steht, ist skeptisch: „500 zahlende Gäste am Tag sind schon jetzt Pflicht, um finanziell über die Runden zu kommen.“ So viele Menschen müsse man erst einmal ins Zelt locken. Höhere Eintrittspreise werden den Zuspruch nicht fördern. Deshalb probt sie insgeheim an einer Weltpremiere, einer Dressur mit Erdmännchen. Die ersten Kunststücke habe sie den kleinen Raubtieren aus dem südlichen Afrika bereits beibringen können, aber noch stehe sie damit am Anfang. Den beheizten Wagen mit den Erdmännchen nehme die 26-Jährige demnächst auch mit nach Dresden. Dort tritt die junge Tierlehrerin mit anderen, bereits erfolgreichen Nummern mit Ziegen und Ponys im Weihnachtszirkus auf. So sehr sie auf eine neue Tournee im Jahre 2016 oder 2017 hoffe, unter den gegebenen Umständen seien Gastspiele immerhin eine Alternative.
Auftritte im Ausland
Geschäftsführer Bleßmann: „Jetzt kommt es auf den richtigen Absprung an.“ Um Attraktionen auch im kommenden Jahr zeigen zu können, verhandele man mit großen Zirkushäusern in Skandinavien und Frankreich über Auftritte im Ausland. Außerdem überlegt der Manager, ob und wie sich Projekt-Zirkus an Schulen oder exklusive Dschungelnacht-Veranstaltungen im Winterquartier auszahlen könnten. Spruchreif sei noch nichts - bis auf die Antwort auf die neuerdings häufig gestellte Frage: Wird der Zirkus angesichts der steigenden Kosten seine Tiere verkaufen? Schon der Gedanke treibt Tiger-Bändiger Rüdiger Probst die Zornesröte ins Gesicht: „Nein, nein und nochmals nein. Die 80 Tiere sind nicht nur Kapital, sie sind uns heilig wie unsere Kinder.“ (mz)