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Zirkus ohne Wildtiere?

Von Ralf Böhme 08.11.2011, 20:05

Halle/MZ. - Tusch! Der Lichtkegel fällt allein auf den Mann in der Manege. Dann kommen die Könige der Taiga, die sibirischen Tiger, aus dem vergitterten Zulauf. Einer nach dem anderen, jeder strebt dem Platz zu, der ihm zugewiesen ist. Magische Momente: Erste Verbeugung, erster Applaus - die große Show beginnt. Staunen, träumen und die Luft anhalten: Dompteur Rüdiger Probst , ein internationaler Star, kennt seine Tiere, kennt auch die Zuschauer. Und er zieht immer alle Register seines Könnens - am Wochenende noch in Halle, heute schon in Zerbst.

Mit dieser schönen, bunten und vor allem spektakulären Zirkuswelt könnte es möglicherweise bald vorbei sein. Die Initiative dafür geht von Hamburg aus. Ihr Ausgangspunkt: Ständiges Umherziehen, lange Transporte, zu wenig Platz - wilde Tiere sind im Zirkus kaum artgerecht zu halten. Die Hansestadt schlägt deshalb eine Verbotsliste vor. Aktuell geht es dabei um Affen, Elefanten, Großbären, Giraffen, Nashörner und Flusspferde, wobei diese Reihe erweitert werden kann.

Die erste Hürde ist jedenfalls schon genommen. Es gibt ein positives Votum des Agrarausschusses des Bundesrates : 15 Bundesländer unterstützen die Hamburger Idee. Lediglich Sachsen enthält sich vorerst der Stimme. Voraussichtlich auf der nächsten Bundesratssitzung, die am 25. November stattfindet, fällt die Entscheidung. Wenn die Ministerpräsidenten den Beschluss fassen, dann ist die Bundesregierung gefordert und muss einen entsprechenden Gesetzentwurf ausarbeiten.

Verhandlungspoker

Wie immer liegen die Probleme im Detail, so Detlef Thiel, Sprecher des Landwirtschaftsministeriums gestern in Magdeburg. "Keinesfalls wollen wir, dass der Zirkus stirbt." Insofern sei es nicht sicher, ob Sachsen-Anhalts Ministerpräsident Reiner Haseloff (CDU) mit Ja stimmt. Das hänge unter anderem von einer Einschränkung ab, die bislang nicht im Text berücksichtigt sei. Danach könnten Zirkus-Unternehmen auch künftig wilde Tiere halten, wenn sie sehr hohe Anforderungen für eine artgerechte Haltung erfüllten.

Damit baut Sachsen-Anhalt vor allem Sachsen eine Brücke. wo man sich zuerst Sorgen um die Zukunft der Dompteure und Zirkusse macht. Diese Rücksichtnahme kommt unter anderem der European Circus Association (ECA) entgegen, einem Bündnis von etwa 90 Unternehmen. Die ECA streitet gerade vor dem österreichischen Verfassungsgericht gegen ein Verbot von Wildtieren im Zirkus.

Protest gegen die Hamburger Initiative meldet die Gesellschaft der Zirkusfreunde an, ein Verein mit immerhin 3  000 Mitgliedern in Deutschland, Österreich, der Schweiz und den Niederlanden. Ihr Sprecher für den mitteldeutschen Raum, Gert Richter aus dem vogtländischen Reichenbach, stellt die Frage: "Wissen die Herrschaften denn, wovon sie da reden?" Eine Jahrhunderte alte Kultur werde so ruiniert, gegen den Willen des Publikums. Nach seinen Angaben wären bundesweit letztlich rund 300 größere und kleinere Reise-Zirkusse, zumeist Familienbetriebe, von dem Verbot betroffen. Wenn man darunter auch einige wenige schwarze Schafe finde, die es mit der Tierhaltung nicht so genau nehmen, dürfe deshalb nicht gleich die ganze Branche in Verruf gebracht werden. Schließlich würden Zirkusleute ihre Tiere schon deshalb nicht quälen, weil sie doch ihr wichtigstes Kapital seien.

Sogar ein Zirkus, der ganz auf Tier-Attraktionen verzichtet, sieht Probleme. Lars Wasserthal aus Soltau in Niedersachsen, der mit seinem Team "Phantasia" als Projekt-Zirkus an Schulen unterwegs ist, meint: "Artgerechte Tierhaltung im Zirkus ist ungeheuer aufwendig, aber möglich." Als Beispiel führt der Manager Zirkus Probst an, der seit 66 Jahren in Staßfurt (Salzlandkreis) beheimatet ist. Probst punktet Wasserthal zufolge unter anderem mit ständiger tierärztlicher Aufsicht, auch während der Dressurarbeit. Darüber hinaus würden permanent Überprüfungen der Tierhaltung erfolgen. Tierlehrer und Tierpfleger besäßen zudem anerkannte fachliche Qualifikationen. Selbst die Kraftfahrer verfügten über einen speziellen Sachkundenachweis.

Zirkus Probst selbst wirbt mit der internationalen Anerkennung seiner Arbeit. So habe Prinzessin Stephanie von Monaco, eine ausgewiesene Tierschützerin, Mercedes und Alexandra Probst mit ihren Dressuren vom 19. bis zum 29. Januar zum Internationalen Circus-Festival in Monte Carlo eingeladen, freilich mit einer Pony- und Haustierdressur.

Für den Deutschen Tierschutzbund zählen Zirkus-Erfolge freilich wenig. Pressesprecher Marius Tünte: "Der Vorstoß aus dem Bundesrat ist ein starkes und klares Signal an die Bundesregierung." Der dringende Handlungsbedarf sei offenkundig. Dazu sollte die Liste der Tierarten, die nicht in den Zirkus gehören, erweitert werden.

Tiger und Co. im Visier

Das gelte vor allem für Tiger, Löwen und andere Großkatzen sowie für Krokodile oder Robben. Sofern ein Gesetz zustande komme, so Tünte, werde es vermutlich auch Übergangsfristen geben. Zwei bis drei Jahre dürften aber genügen. Allerdings lehnten noch viele Zoos die Aufnahme von ehemaligen Zirkustieren aus verschiedenen Gründen ab. Häufig gehe man sogar davon aus, dass sie infolge der Dressur schwierig zu halten seien. Einen wirtschaftlichen Nachteil für den Zirkus sehen die Tierschützer nicht. Schon jetzt würden etliche Unternehmen ganz ohne Tiere auskommen und dennoch viele Zuschauer ins Zirkuszelt locken.