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Chemie Billige russische Dünger-Importe: SKW aus Wittenberg droht mit Produktionsverlagerung

Wegen hoher staatlicher Umlagen und russischer Importe könnte das große Düngemittelwerk in Wittenberg Produktion verlieren. Wie brenzlig die Situation ist.

Von Steffen Höhne Aktualisiert: 05.09.2023, 16:03
Der Düngemittel-Hersteller SKW in Wittenberg hat die Dünger-Produktion bereits halbiert.
Der Düngemittel-Hersteller SKW in Wittenberg hat die Dünger-Produktion bereits halbiert. Hendrik Schmidt/dpa

Wittenberg/MZ - Wegen Absatzrückgängen infolge hoher Gaspreise und russischer Düngemittelimporte hat der große Düngerhersteller SKW Piesteritz aus Wittenberg seit Monaten die Produktion gedrosselt. Nur eine von zwei Ammoniakanlagen zur Herstellung von Düngemittel läuft regelmäßig. Jetzt warnt Geschäftsführer Petr Cingr vor der Verlagerung von Produktion an andere Konzernstandorte, selbst eine Werksstilllegung schließt er nicht aus. „Entweder akzeptieren unsere Kunden höhere Preise, oder wir müssen die Produktion kontinuierlich herunterfahren und gegebenenfalls Deutschland verlassen“, sagte Cingr der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“.

Erdgas ist ein wichtiger Rohstoff für die Wittenberger

SKW mit mehr als 1.500 Mitarbeitern am Standort in Wittenberg gehört zum tschechischen Agrarkonzern Agrofert. Dieser hat das mitteldeutsche Werk im vergangenen Jahrzehnt zum größten Düngemittel-Produzenten in Deutschland ausgebaut. Doch seit infolge des Ukraine-Krieges die Gaspreise stark gestiegen sind, funktioniert das Geschäftsmodell nicht mehr wie gewohnt.

Um die Situation zu verstehen, ist es hilfreich, den Herstellungsprozess von Stickstoffdünger zu kennen. SKW ist einer der größten industriellen Erdgasverbraucher Deutschlands. Das Gas wird nicht zur Energieerzeugung benötigt, sondern als Rohstoff. Aus Erdgas (CH4) wird zunächst Ammoniak (NH3) hergestellt. In einem chemischen Prozess wird Stickstoff (N), das Pflanzen zum Wachsen benötigen, aus der Luft gebunden.

Nur eine von zwei Ammoniakanlagen in Wittenberg läuft.
Nur eine von zwei Ammoniakanlagen in Wittenberg läuft.
Foto: Thomas Klitzsch

Zwar sind die Gaspreise seit Jahresbeginn deutlich gesunken, doch SKW produziert weiter teurer als die Konkurrenz. Cingr macht dafür unter anderem sogenannte Gasumlagen in Deutschland verantwortlich. So müssen Verbraucher beispielsweise die Lagerung von Gas in Speichern über eine sogenannte Speicherumlage mitbezahlen. Vor allem stören den Geschäftsführer jedoch wachsende Düngemittel-Importe aus Russland. „Die Politik sagt, man müsse von Russland unabhängig werden. Tatsächlich aber ersetzen wir die Abhängigkeit vom Gas durch eine andere: Düngemittel“, so Cingr. Um 612 Prozent seien die deutschen Harnstoffimporte aus Russland von Januar bis Mai geklettert

Die MZ berichtete bereits im Mai über diese Importe.Die MZ berichtete bereits im Mai über diese Importe. Damals sagte Martin May, Geschäftsführer des Industrieverbandes Agrar: „Damit liefert Russland über den Umweg Düngemittel doch wieder mehr Energie nach Deutschland.“

Dass Düngemittel, anders als Öl und Gas, nicht sanktioniert werden, ist laut Marktexperten Teil des Getreide-Deals zwischen Russland und der Ukraine. Moskau erlaubte weiter ukrainische Getreideexporte per Schiff über das Schwarze Meer, im Gegenzug wurden russische Agrarprodukte nicht sanktioniert. Aber Russland hat den Getreide-Deal nun aufgekündigt. Bei SKW herrscht Unverständnis, warum die Importe dennoch weiter erlaubt sind.

In Österreich ist Erdgas 20 Prozent günstiger als in Deutschland

SKW-Geschäftsführer Cingr, der gleichzeitig Vize-Agrofert-Chef ist, denkt über Konsequenzen nach. So könnten zehn bis 20 Prozent der Wittenberger Produktion ins neue Agrofert-Werk nach Linz (Österreich) verlagert werden. Dort sei Erdgas um bis zu 20 Prozent günstiger. So gebe es in Österreich niedrigere Umlagen, zudem bezieht das Land weiter russisches Pipelinegas. Ähnliche Verlagerungen seien auch nach Frankreich und in die Slowakei denkbar.

Bisher hat SKW trotz der Produktionsdrosselung keine Mitarbeiter am Standort Wittenberg entlassen. Das Unternehmen will die Fachkräfte halten. Zudem soll das Werk umgebaut werden, grüner Wasserstoff soll Erdgas schrittweise ersetzen. Doch nach Cingrs Ansicht muss dazu das Werk profitabel arbeiten. Seine Aussagen sind vor allem an die Bundesregierung adressiert: Sollte die Gaskosten weiter hoch bleiben und durch russische Importe Marktanteile verloren gehen, dann würde man das Engagement in Wittenberg einstellen.