Bildung ist der Schlüssel Wir helfen: Was kann man tun, damit Kinder gesund bleiben?

Halle (Saale) - Wie hängen Ernährung und Gesundheit zusammen? Welchen Stellenwert hat Sport wirklich? Antworten darauf gibt der Medizin-Soziologe Matthias Richter. Das Gespräch führte MZ-Redakteurin Silvia Zöller.
Gesundheit wünschen sich wohl alle Eltern für ihre Kinder. Jedoch geht es nicht allen Kindern gut. Woran liegt das?
Matthias Richter: Der Kern des Problems in Sachsen-Anhalt ist der soziale Unterschied. Hier leben viele Menschen in Armut, es geht ihnen schlechter als in wohlhabenderen Bundesländern in Deutschland. Vor allem den Kindern. Gesundheit hat eine soziale Dimension.
Was heißt das?
Es gibt einen klaren Zusammenhang zwischen dem Bildungsstand der Eltern und der Gesundheit ihrer Kinder. Höhere Bildung bedeutet auch bessere Ernährung, mehr Sport, weniger Alkohol- und Nikotinmissbrauch. Je ärmer die Eltern sind, umso höher ist die Gefahr, dass Kinder eine schlechtere Gesundheit aufweisen und im Erwachsenenalter an vielen chronischen Krankheiten leiden.
Welche genau sind das in Sachsen-Anhalt?
Das erforschen wir gerade mit einer speziellen Untersuchung, die im Kontext der HBSC-Studie stattfindet und in der wir über 3 500 Schüler der Klassen fünf, sieben und neun in ganz Sachsen-Anhalt befragt haben. Wir haben nach dem Wohlbefinden, der Ernährung, der Bewegung gefragt, aber auch nach sozialen Konflikten, Krankheiten und Konsum von Drogen, Alkohol und Nikotin. Dieses ist die erste Studie dieser Art, die sich mit dem Bundesland Sachsen-Anhalt beschäftigt und diese Altersgruppe abdeckt. Bisher gab es nur deutschlandweite Erhebungen.
Wann ist diese Studie abgeschlossen?
Wir wollen im Frühjahr 2020 die Ergebnisse für Sachsen-Anhalt vorstellen.
Der 48-jährige Wissenschaftler ist Leiter des Instituts für Medizinische Soziologie an der Uni Halle. Über Stationen an den Universitäten Bielefeld und Bern kam der gebürtige Lübecker 2011 als Professor nach Halle. Nach dem Studium der Soziologie, Psychologie und Volkswirtschaftslehre promovierte er 2004 im Fachbereich Soziologie und habilitierte 2009. Bereits seit fast 20 Jahren begleitet er die europaweite Health Behaviour in School-aged Children (HBSC)-Studie der Weltgesundheitsorganisation, die die Gesundheit und das Gesundheitsverhalten von Heranwachsenden beleuchtet. Seit fast fünf Jahren ist Richter Leiter der deutschen Forschungsgruppe, an der fünf Universitäten beteiligt sind.
Welche Erkenntnisse haben Sie aus den deutschlandweiten Erhebungen gezogen?
Je früher vorgebeugt wird, um so besser. Auch die Politik ist hier gefragt, denn Gesundheitsförderung ist Strukturförderung. So wie das Strukturförderungsprogramm zum Kohleausstieg nicht zum Nulltarif möglich war, so müssen auch bei der Gesundheitsförderung neue finanzielle Spielräume entwickelt werden, sonst stirbt die Region aus. Und es stellt sich auch die Frage, warum Hartz-IV-Sätze so niedrig sein müssen.
Was müsste konkret gefördert werden?
Zum Beispiel mehr kostenlose Sportangebote für alle Altersgruppen, angefangen vom Spielplatz über den Basketballplatz bis hin zur Joggingstrecke. Und es müssen Anreize geschaffen werden, damit Kinder sich bewegen - am besten geht das, wenn die ganze Familie eingebunden wird. Am besten umzusetzen ist das mit einer Beteiligung der Menschen: Was braucht ihr? Dann ist die Wahrscheinlichkeit auch höher, dass die Angebote angenommen werden.
Und in Sachen Ernährung?
Die gesunde Verpflegung gerade in Schulen mit vielen Kindern aus benachteiligten Familien ist wichtig. Der Clou ist, es zu schaffen, dass das Essen gut und günstig ist. Die Finanzierung solcher Angebote ist eine Investition in die kommende Generation.
Diese Erkenntnisse sind nicht überraschend. Muss nicht das Thema Gesundheit noch mehr Platz in der Schule finden?
Genau! Im Unterricht sollte nicht nur Sexualkunde und Suchtprävention eine Rolle spielen, sondern das Thema Gesundheit generell: Was ist Gesundheit, wie hält man sich gesund? Warum ist eine gute Beziehung zu den Eltern wichtig und ein gutes Schulklima um gesund zu bleiben? Der Zusammenhang zwischen Stress und Sitzenbleiben kann ebenso Thema sein wie die Frage, wie und ob Arbeitslosigkeit krank macht.
Wie stehen Jugendliche aus Deutschland eigentlich im Vergleich zu jungen Menschen aus anderen europäischen Ländern in Gesundheitsfragen da?
Interessant ist, dass deutsche Jugendliche früher in Sachen Rauchen europaweit Erste waren. Das hat sich mittlerweile erledigt. Heute rauchen nur noch sechs Prozent der deutschen Gymnasiasten. Fast in allen Bereichen der Gesundheit sind Jugendliche in Deutschland im Vergleich zu anderen europäischen Ländern Mittelmaß, es gibt keine Punkte, die besonders schlecht oder gut sind.
Können Sie Beispiele nennen?
Der jüngste vorliegende HBSC-Report für die Jahre 2013/14 zeigt zum Beispiel, dass das Zähneputzen mehr als einmal am Tag zwar für 86 Prozent der 15-jährigen Mädchen in Deutschland und für 73 Prozent der gleichaltrigen Jungen in Deutschland üblich ist - aber diese Zahl wird von den 15-Jährigen in der Schweiz, England, Schweden, Frankreich und Dänemark übertroffen. Auffällig ist, dass in wirtschaftlich schwachen Ländern wie Armenien, Rumänien oder Moldavien die Zahlen deutlich niedriger sind. Moldavien ist Schlusslicht, hier putzen sich nur 41 Prozent der 15-jährigen Mädchen und 28 Prozent der Jungen in diesem Alter mehr als einmal pro Tag die Zähne.
Wobei ist Deutschland besonders schlecht?
Nur gut die Hälfte aller Kinder im Alter von 11 und 13 Jahren sowie nur rund 40 Prozent der 15-Jährigen sitzen zum Abendessen gemeinsam am Tisch mit ihren Eltern. In südlichen Ländern ist das viel häufiger üblich - bei bis zu 80 Prozent etwa in Portugal. Dabei ist das gemeinsame Essen für das Familienleben so wichtig.
(mz)