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Wiedergutmachung Wiedergutmachung: «Ich habe nur geheult»

Von MICHAEL FALGOWSKI 25.01.2010, 21:32

HALLE/MZ. - Das glaubte Heinz Bastek. Die Heimeinweisung traf 1953 einen fröhlichen Jungen, wie ein kurz zuvor entstandenes Kommunionsfoto belegt. Doch nun begann ein vierjähriges Martyrium.

Wie derzeit mehr als 500 ehemalige DDR-Heimkinder in Sachsen-Anhalt hat Heinz Bastek einen Antrag auf Wiedergutmachung gestellt. Er lebt in Rottenau, einem Ortsteil von Loburg im Jerichower Land. "Mit dem Antrag sind alle Erinnerungen wieder da", sagt er. "Ein anderer Junge hat mir damals gleich erklärt, dass keiner aus dem Heim rauskommt. Ich habe nur geheult vor Heimweh und tagelang am Fenster gestanden."

Wenn er diese ersten Tage schildert, kommen ihm wieder Tränen. Sein Stimme zittert, manchmal gerät er ins Schreien. "Ich war zehn Jahre alt. Wie konnten sie das tun?" Als Bastek nach zwei beinahe schlaflosen Nächten ins Bett nässte, schlug und trat ihn die Erzieherin. Und sie rieb sein Gesicht mit dem nassen Laken ab. Sein Erklärung, warum er aus der Familie herausgerissen wurde: "Wenige Wochen vorher ist meine ältere Schwester in den Westen abgehauen. Man wollte verhindern, dass wir weggehen."

Nach fünf Monaten kam der Junge in ein Spezialheim bei Schwerin. "Wir durften das Gelände nicht allein verlassen. Zwei Mal bin ich ausgerissen. Dafür gab es Schläge. Und die Gruppe wurde durch stundenlanges Stillstehen bestraft. Die anschließende Kloppe von den anderen, das war das Schlimmste", berichtet Bastek. Die Kinder seien am Tag drei mal gezählt, die Post sei streng kontrolliert worden. In die Schule gingen sie am Nachmittag, getrennt von den Dorfkindern. Besuche waren verboten, nur einmal in diesen vier Jahren konnte der Junge seine Eltern besuchen. Jeden Monat schickte seine Mutter ihm ein Paket.

Höchstrichterliche Entscheidung

Wenn die zuständige Kammer des Landgerichts Magdeburg den Antrag auf Rehabilitierung dieser Jahre bewilligt, würde der 66-jährige Rentner eine Entschädigung für die gestohlene Lebenszeit bekommen, rund 14 000 Euro. Denn seit Sommer vergangenen Jahres ist auch eine strafrechtliche Rehabilitierung von rechtsstaatswidrigen Heimunterbringungen zu DDR-Zeiten möglich. Das Bundesverfassungsgericht hatte eine Entscheidung des Oberlandesgerichts Naumburg zurückgewiesen. Das hatte, wie zuvor schon das Landgericht Magdeburg, den Rehabilitationsantrag eines Mannes abgelehnt, der in den 60er Jahren in mehreren Heimen war.

Seither werden die Reha-Kammern der Landgerichte Halle und Magdeburg mit Anträgen früherer Heimkinder überschüttet. "Seit August gibt es allein in Halle rund 270 Verfahren wegen Heimunterbringung", sagt Landgerichtssprecher Wolfgang Ehm. Rund 30 Prozent seien bisher entschieden. Doch: Nur maximal vier Anträge waren bisher erfolgreich. Denn nur wenn die Einweisung aus politischen Motiven erfolgte und unverhältnismäßig gewesen sei, können die Richter die Unterbringung als rechtsstaatswidrig erklären. Und nur dann ist eine Entschädigung möglich. "Ein Problem ist, dass die Rehabilitierungskammern oft nicht wissen, wie die Heime zu bewerten sind", sagt Gerhard Ruden, der Landesbeauftragte für die Staatssicherheitsunterlagen. Zu seiner Behörde kommen die Antragsteller meist, um sich beraten zu lassen. "Wir werden ein Gutachten zu den verschiedenen Heimen und Unterbringungs-Kriterien anfertigen lassen. Damit soll auch eine Art Fragen-Spiegel entwickelt werden, der die Entscheidungen der Richter erleichtert", so Ruden. Die Untersuchung werde aber wohl bis Ende des Jahres andauern. In den Blickpunkt rücken dabei vor allem die sogenannten Spezialheime. Im heutigen Sachsen-Anhalt waren das laut Wolfgang Laßleben von der Stasi-Unterlagenbehörde das Käthe-Kollwitz-Heim in Sandersleben (Landkreis Mansfeld-Südharz), das Adolf-Reichwein-Heim in Pretzsch (Landkreis Wittenberg) und die Einrichtung in Loitsche (Börde). Einstige Insassen der fünf DDR-Jugendwerkhöfe in Sachsen-Anhalt können bereits seit Jahren Anträge auf Rehabilitation stellen.

Flucht in den Westen

Im August 1957 wurde Heinz Bastek aus dem Heim entlassen. "Meine Mutter hatte eine Lehrstelle besorgt und im Jugendamt eine verständnisvolle Mitarbeiterin gefunden." Heimlich hatte Heinz Bastek ihr geschrieben, als ihn eine Erzieherin gewarnt hatte: "Ich sollte in einen Jugendwerkhof kommen, weil auch mein Vater und meine andere Schwester Republikflucht begangen hatten." Bereits drei Monate nach seiner Entlassung verließ auch Bastek die DDR. Seine Mutter folgte wenig später.

In den 60er Jahren ist er zurück in den Osten gekommen - aus persönlichen Gründen und weil es ihm im Westen nicht gelang, Fuß zu fassen. Seit 45 Jahren ist er verheiratet, hat vier Kinder. Die Erinnerungen an die Jahre im Kinderheim aber bleiben lebendig. "Ich träume schlecht. Und ich habe Wut", sagt der herzkranke 66-Jährige. Wütend blieb der spätere Kranführer und Baggerfahrer immer, nicht sozialismusfähig, wie er heute sagt. Wegen "staatsgefährdender Hetze" saß Heinz Bastek später 28 Monate in Bautzen in Haft.