Wein auf Leinwand Wein auf Leinwand: Erfolgreiche "ArtNight" gibt es nun auch in Leipzig

Hasenschulter aus der Pfanne. Die Leipziger „Vodkaria“ im westlichen Stadtzentrum ist bekannt für ihre Spezialitäten aus Russland, Polen und Skandinavien. An diesem Dienstagabend steht Wild in der Wochenkarte, Hasenschulter gebraten und Wolfsfell - gemalt. Dafür stellt Joanna Grzybek 15 kleine Holz-Staffeleien auf die Tische und verteilt Pinsel und Farbe.
Sie leitet in Leipzig mehrere Malabende in verschiedenen Bars. Seit neun Jahren lebt die polnische Kunstpädagogin in der sächsischen Großstadt und gehört zum Team von „ArtNight“, ein junges Veranstaltungsunternehmen, das einmalige Malkurse in Restaurants und Bars mit lokalen Künstlern organisiert. Das Konzept geht auf.
Malkurse von „ArtNight“: 34 Euro für den Abend
Eine Woche zuvor war der Kurs in der Szene-Bar bereits ausgebucht. Wer mitmachen will, bucht online und zahlt für den Abend 34 Euro. Und Trinken und Tupfen scheint dabei im Trend zu liegen. 2016 startete die damals zweiköpfige Berliner Firma, bestehend aus Gründerin Amie-Sarah Henze und David Neisinger, auf dem Markt. Mittlerweile veranstaltet „ArtNight“ in 26 deutschen Städten und in Österreich regelmäßig das Event.
Zuletzt erreichte die junge Firma im Oktober 2017 bundesweit Aufmerksamkeit durch die TV-Sendung „Die Höhle der Löwen“. Dort konnten die Gründer Investor Georg Kofler überzeugen, 150 000 Euro in das Unternehmen zu investieren. Inspiriert wurden die Initiatoren von amerikanischen Malpartys, die in Übersee bereits seit Jahren stattfinden.
Kurz vor 19 Uhr füllen sich langsam die leeren Plätze der langen Tafel in der Gottschedstraße. Zwischendurch kommen Gäste in die rustikal eingerichtete Bar und schauen verwundert auf die Farbpaletten während sich die Teilnehmer des Malabends neugierig und ein wenig ehrfürchtig vor die weißen Leinwände im A-3-Format setzen. Am Ende der Tafel hat eine amerikanische Mutter mit ihrem zwölfjährigen Sohn Jim Platz gefunden. Schräg gegenüber sitzt Franziska Oehmichen mit einem Glas Weißwein neben ihrem Freund, der sich gerade ein Pils bestellt.
Entspannte Stimmung beim Malen in der Bar
Die junge Frau hat ihre blonden Haare zu einem Dutt hochgesteckt, auf der Innenseite ihres rechten Handgelenks ist ein kleiner Stern tätowiert. Während sie malt, schaut sie konzentriert auf die Leinwand. Die 30-Jährige und ihr Freund sind zum ersten Mal dabei. Die Stimmung ist entspannt, die Bar fast voll. Gemalt wird ein Motiv einer ArtNight-Künstlerin aus dem Unternehmenskatalog: ein Wolf in dessen Konturen Gletscher vor einem See mit schneebedeckten Tannen zum Vorschein kommen.
Alle malen das gleiche Motiv und alle Teilnehmer wissen vor der Online-Anmeldung, welches Bild entsteht: kalkulierbare Kreativität? Ein Stück kalkubierbar wird das Ergebnis allein schon durch die Themenvorgabe. Am Ende entstehen 15 unterschiedliche Bilder. „Wer möchte, kann auch ein komplett anderes Motiv malen“, erzählt die Kursleiterin. Es komme letztendlich darauf an, Spaß zu haben.
Das Prinzip scheint gemäß Joseph Beuys Philosophie: Jeder ist ein Künstler. Diesem Prinzip setzen Künstlerkollegen aus Joanna Grzybeks Umfeld hin und wieder entgegen, ob sie als international anerkannte Künstlerin eine solche Tätigkeit wirklich ausüben wolle. „Ja, warum nicht!“ Sie sei schließlich auch Kunstpädagogin.
Joanna Grzybek erklärt, wie Formen und Farbe zusammenwirken
Zwei Tage in der Woche unterrichtet die 41-Jährige an einem Gymnasium in Leipzig, die restliche Zeit arbeitet sie freischaffend, veranstaltet „ArtNights“, stellt in der Spinnerei aus und gewann in diesem Jahr den Züricher WBB-Award für ihre Skulpturenserie zum Thema Mensch, Rhythmus, Licht. Sie ist bodenständig und sieht vieles als Experiment. Die meisten Experimente haben in ihrem Leben zum Erfolg geführt, vielleicht, weil sie sich nicht zu wichtig nimmt.
Sie kommt gut an und wird immer öfter für die Malabende in ungewöhnlicher Atmosphäre gebucht, auch für Unternehmensveranstaltungen. „Ich mag den Dialog mit Menschen und deswegen gefällt es mir auch in diesem Rahmen, Kunst zu vermitteln.“ Bezahlt wird die gebürtige Polin pauschal. Dafür müssen sich mindestens fünf Teilnehmer anmelden. Wenn mehr kommen, bekommt sie mehr. Die rothaarige Wahl-Leipzigerin organisiert den Veranstaltungsort, baut alles auf und ab und bekommt die Materialien von der Firma per Post zugeschickt.
„ArtNight„ - Malkurse in Restaurants und Bars
Jim malt einfach, wie es ihm gefällt. Das vorgegebene Motiv interessiert ihn wenig, sein Wolf wird am Ende des Abends violettblau leuchten. Die Erwachsenen halten sich da schon eher an die Vorlage und versuchen sich unter anderem der Herausforderung zu stellen, auf einer zweidimensionalen Fläche, Dreidimensionalität durch Schattierungen und Farbabstufungen zu schaffen. Franziska Oehmichen setzt auf Farbspiele. Sie mischt die kalten Farben der gefrorenen Seeoberfläche mit Rottönen, so dass ein fliederfarbener Schimmer auf dem See durchscheint. Joanna Grzybek läuft zwischendurch zu den Tischen und gibt erklärt, wie Formen und Farbe zusammenwirken.
Mittlerweile ist es 20 Uhr. Die Konturen des Wolfs sind gezeichnet, der See hat seine umringenden Gletscher und eine dünne Eissschicht bekommen, erste Anzeichen eines Tannenwaldes sind auf vielen Leinwänden erkennbar. Nun geht es ums Detail: aus hellen Grau- und Blautönen die Gletscherspitzen filigran hervorheben und die Tannen mit einer schmalen Schneeschicht bedecken. Am anderen Ende des Tisches sitzt eine Fünfergruppe Mittvierziger, die die erste Raucherpause einlegt.
Franziska Oehmichen und ihr Freund essen einen Snack und auch Jim hat Hunger bekommen. Nach 15 Minuten geht es weiter. Eine dunkelblonde Frau im grünen Kleid verleiht ihrem Wolf mit Spachtel und viel Farbe ein rosafarbenen Struktur-Hintergund. Selbst die Tannenzapfen bekommen einen pinken Anstrich. Am Ende sind alle irgendwie zufrieden und entspannt. Neben dem Spaß scheint die Malerei einen meditativen Effekt zu haben.
Foto mit dem Smartphone
Franziska Oehmichen schaut nochmal prüfend auf ihr Bild. Nach einigen Blicken wird das Ergebnis von ihr für gut befunden. „Ich bin gespannt, wie es bei Tageslicht aussieht.“ Ihr Freund macht ein Foto von seinem Kunstwerk mit dem Smartphone und ist überrascht, wie gut die Dreidimensionalität und die Farben auf dem Foto wirken. Dann macht Joanna Grzybek noch schnell ein Gruppenbild von ihren Kursteilnehmern, einige tragen sich noch in das Gästebuch ein, bedanken sich bei der Künstlerin und verabschieden sich mit ihren Kunstwerken.
Auch Franziska Oehmichen und ihr Lebensgefährte machen sich auf den Weg. Beide haben nach Jahren das erste Mal wieder vor einer Leinwand gesessen. Und warum hier in dieser Bar und nicht in der Volkshochschule? „Die Atmosphäre ist entspannter und es ist eine coole Location.“ Auf die „ArtNight“ wurde das Paar durch eine Freundin aufmerksam. Ihre 16-jährige Sitznachbarin hat durch die bekannte TV-Sendung von der etwas anderen Malstunde erfahren und sich dann angemeldet.
„Viele kommen auch regelmäßig alleine und lernen sich als Gruppe dann hier kennen oder treffen sich privat weiter zum Malen“, erzählt Joanna Grzybek. Auch sie gönnt sich jetzt ein Glas Weißwein, packt ihre Staffeleien wieder ein und lässt den Abend ausklingen. Die Hasenschulter hat an diesem Abend keiner gegessen. Dafür wird in ein Dutzend Wohnungen nun ein Wolfsfell aus Acryl hängen. (mz)
