Weil Mutti nicht helfen kann? Weil Mutti nicht helfen kann?: Sachsen-Anhalts Fahrschüler fallen am häufigsten durch

Halle (Saale) - Anfangs nimmt es Nico Heilemann (Name geändert) locker. Mächtig lässt der Hallenser die E-Zigarette qualmen. Dann aber sitzt der Endzwanziger hinterm Steuer. Und los, erst einmal zur Paracelsusstraße.
Gas geben, einordnen, da die Ampel - nach 150 Meter ist das Examen vorbei. Einparken. Das war es schon.
Was der Prüfer in Halle dann moniert, tut weh. Erstens: Andere Autofahrer auf der Vorfahrtsstraße gezwungen, auf die Bremse zu gehen. Zweitens: Auf der falschen Spur wie ein Rennfahrer beschleunigt, um bei Rot noch über die Kreuzung zu flitzen.
Rätselhaft ist dabei nur noch, wie auf einer so kurzen Strecke derartig grobe Fehler unterlaufen können. Eins steht freilich fest wie das Amen in der Kirche: Da gibt es kein Pardon. Durchgefallen.
Heilemann, der eigentlich schon den automobilen Sommerurlaub plant, protestiert auch gar nicht. Er räumt die Fehler ganz ruhig ein - wie ein Profi.
Doch ein Prüfungsprofi ist er offenbar nicht. Sein Versagen ist ihm irgendwie selbst ein Rätsel. Das Hemd ist durchgeschwitzt. Aufregung, die Nerven? Schulterzucken.
Er braucht erst einmal was zu rauchen. Zwei Anläufe in der Theorie liegen nun hinter ihm, jetzt der erste Fehlstart an der Praxis-Hürde. Auf zur nächsten Prüfungsrunde in vier Wochen!
In Sachsen-Anhalt schaffen 44,8 Prozent Fahrschul-Theorie nicht
Heilemann ist alles andere als ein Einzelfall. Seine Prüfungserlebnisse bestätigen quasi den Trend, ganz besonders in Sachsen-Anhalt. Nach den jüngsten Zahlen des Kraftfahrt-Bundesamtes in Flensburg bleiben hierzulande 44,8 Prozent (2012: 39,1) der Fahrschüler in der Theorie hängen. Das ist fast jeder Zweite - und damit ein trauriger Rekordwert.
In zweierlei Hinsicht: Nirgendwo in Deutschland gibt es mehr Durchfaller. Und nie zuvor haben in Sachsen-Anhalt so viele Leute die Prüfungsfragen falsch beantwortet. Kaum besser sieht es dann in der Praxis. Da gehört das Land ebenso zu den Absteigern, amtliche Durchfallerquote 36,4 Prozent (2012: 35,5).
Was das Amt nicht liefert, ist eine Antwort auf die Frage, warum ausgerechnet Sachsen-Anhalt deutschlandweit das Schlusslicht ist. Sind hier die dümmsten Fahrschüler zu Hause? Der deutsche Kraftfahrzeug-Überwachungsverein (Dekra), der sämtliche Prüfungen im Lande abnimmt, hält sich bedeckt und verweist auf die Fahrlehrer.
Im Dunkeln tappt nach eigener Aussage aber auch der Bundesfahrlehrerverband. „Nach wie vor gibt es für unterschiedliche Erfolgsquoten in den Bundesländern keine schlüssige und nachvollziehbare Erklärung.“ Möglicherweise wirke es sich aus, dass in mehreren Regionen nicht immer ausreichend viele Prüfer verfügbar wären.
Hohe Durchfall-Quote durch nichtdeutschsprachige Fahrschüler?
Gerhard von Bressensdorf, Vorsitzender der Bundesvereinigung der Fahrlehrerverbände, führt die Steigerung in erster Linie auf den größeren Anteil nichtdeutschsprachiger Bewerber zurück. „Fahrschülern, die aus einer ganz anderen Verkehrskultur kommen, fällt es schwer.“
Oft brauchten sie drei bis fünf Anläufe, bis sie bestünden. Praktiker, die nicht genannt werden wollen, schätzen deren Beitrag zur Durchfaller-Quote in Sachsen-Anhalt auf sieben bis zehn Prozent. Nicht wenige Ausländer verfügen bereits über eine Fahrerlaubnis aus ihren Heimatländern, die in Deutschland jedoch nicht gültig ist.
Inzwischen wisse man, heißt es im Fahrlehrerverband, dass diese Prüflinge häufig nur geringe Fahrkenntnisse besitzen. Und theoretisches Wissen, das den hiesigen Anforderungen genüge, fehle mitunter gänzlich. Ein Verständnis-Problem scheint es nicht zu sein. Den Fragen-Katalog gibt es in zwölf Sprachen, seit 2016 auch auf Hocharabisch.
Näheres würde man gerne dazu erfahren, ob mehr Frauen oder mehr Männer patzen? Doch in diesem Punkt fehlt es offenbar an belastbaren Daten. So bleiben die Aussagen diffus. Günther Helbig aus Zörbig, Fahrlehrer mit 30-jähriger Berufserfahrung, glaubt wenigstens: „Es sieht fast so aus, als hätten die weiblichen Prüflinge die besseren Nerven.“
Den inoffiziellen Landesrekord halte jedenfalls ein Mann aus dem Landkreis Anhalt-Bitterfeld. Er unternahm sieben Anläufe bis zum Führerschein. Dazu passt, dass immer Witze über Aussetzer bei männlichen Fahrschülern kursieren. So soll ein 23-Jähriger aus Magdeburg den Tipp des Prüfers, gefühlvoll zu schalten, missverstanden und dann aufgeregt den Hebel abgebrochen haben.
„Wer die Prüfung bestehen will, muss pauken“
Für die vielen Pannen in Theorie und Praxis macht Fahrlehrer Helbig, der auch als Experte für den ADAC arbeitet, ein nicht scharf zu definierendes, rätselhaftes „Mami-Syndrom“ verantwortlich. „Die Fahrprüfung ist oft die erste große Prüfung im Leben.“
Anders als in Kindergarten oder Schule helfe da keine Mami. Da sei man auf sich allein gestellt und das löse wohl, so seine Erklärung, völlig ungewohnten Stress aus.
Inzwischen reicht es nicht, wenn der Prüfling eine von mehreren Antwortmöglichkeiten ankreuzt. Der Glücksfaktor ist weitgehend ausgeschlossen. Es geht um konkretes und abrufbares Wissen. Eingespielte Videoschnipsel, die ausgewählte Verkehrssituationen zeigen, fordern zur Analyse und Entscheidung heraus - wie im wahren Autofahrerleben.
Wolfgang Prescher vom Landesfahrlehrerverband, sagt: „Das ist aber kein unlösbares Rätsel. Wer die Prüfung bestehen will, muss pauken.“ Ohne Fleiß sei Scheitern programmiert. Immerhin stünden Hunderte von Fragen zur Auswahl. Nicht alle könnten während des Unterrichts behandelt werden.
„Updates des Prüfungskatalogs erfolgen ungefähr halbjährlich.“ Neue Fragen, die vermutlich nicht einfacher würden, seien schon wieder avisiert - gültig voraussichtlich ab Oktober.
Fahrschulkosten in Sachsen-Anhalt besonders niedrig
Vor diesem Hintergrund bemängelt Prescher: „Es wird geschludert. In punkto Hausaufgaben passiert viel zu wenig.“ Zudem würden Führerschein-Kandidaten oft an der falschen Stelle sparen, auf die empfohlenen Lehrmaterialien verzichten. Kostenlose, aber oft nicht mehr aktuelle Internet-Seiten seien dann leider kein guter Ersatz.
Dabei kommen die Interessenten in Sachsen-Anhalt, wenn es um die Fahrschulkosten geht, sehr günstig weg. Die Tarife in allen anderen Bundesländern liegen höher. Müssen in Bayern und Baden-Württemberg zwischen 2.000 und 2.500 Euro für die Ausbildung gezahlt werden, sind Fahrschulen zwischen Arendsee und Zeitz echte Schnäppchen.
Die Untergrenze des Machbaren liegt bei 1.300 Euro. Und wer scheitert, darf laut Gesetzgeber beliebig oft wiederholen. Strafbar ist nur das Fahren ohne Führerschein. (mz)