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Vom Trabant zum Elektrowagen Vom Trabant zum Elektrowagen: Trabi der Zukunft

Von Felix Knothe 16.04.2015, 17:50
Holger Klingenstein hat an seinem Trabi den Zweitaktmotor durch einen Elektromotor ersetzt.
Holger Klingenstein hat an seinem Trabi den Zweitaktmotor durch einen Elektromotor ersetzt. Andreas Stedtler Lizenz

Halle (Saale) - Auch nach 25 Jahren erwartet man ihn noch: den Sound, dieses Rengdengdeng des Trabi. 26 Pferdestärken im Zweitakt, der Klang eines ganzen Landes. Ein Knattern, weich und ruppig zugleich, immer irgendwie holprig, immer irgendwie zuverlässig, ja fast vertrauenserweckend, aber eben irgendwie auch lächerlich schwächlich. Wer konnte, wollte mehr, wollte ein anderes Auto.

Holger Klingenstein ist zum Trabi zurückgekehrt. Nicht weil er ein Ostalgiker ist, sondern aus der Not heraus. Doch wenn er den Zündschlüssel umdreht, hört man - erstmal nichts. Die Füllstandsanzeige zeigt „voll“, ein orangenes Licht leuchtet im Tacho. „Jetzt kann es losgehen“, sagt Klingenstein. Und zunächst lautlos ruckt der Wagen an. Klingenstein fährt einen selbst umgebauten Trabi mit Elektromotor. Um das zu dürfen, dafür hat er lange gekämpft.

Zu Besuch in Helbra im Mansfelder Land. Klingenstein, 55, Agraringenieur, wohnt mit seinen Eltern unter einem Dach. Er ist arbeitslos. Eine schmale Einfahrt führt in einen Hof mit einer kleinen Doppelgarage. Wäsche trocknet auf der Leine, die quer über den Hof gespannt ist. Man muss den Kopf einziehen, was eine gute Vorbereitung für das Einsteigen in den weiß-gräulichen Sachsenring Trabant 601 S ist. Auf dem Autodach steht ein Solarkoffer, der die Hilfsbatterie lädt, für Blinker, Licht und Hupe. „Irgendwann baue ich mir da noch richtige Paneele drauf“, sagt Klingenstein, in Arbeitshose, Jogging-Jacke und mit einer Sonnenbrille über seiner normalen. „Irgendwann“ heißt für Klingenstein: wenn er Geld dafür hat.

Mit 110 Volt bis zu 70 Kilometer weit

Zwar ist Klingensteins Trabi einerseits ein Hobby. Doch ausschlaggebend dafür, dass er vor gut zwei Jahren begann, einen verrückten Gedanken in die Tat umzusetzen, war, so sagt er, dass er schlicht ein Auto brauchte, sich aber keines leisten konnte. „Hier auf dem Land geht es einfach nicht ohne.“ Zum Einkaufen, in den Garten oder auch mal nach Halle fährt er nun elektrisch. Rund 70 Kilometer Reichweite hat er.

Unter einer laubgesägten Holzplatte hinter Fahrer- und Beifahrersitz steckt die Hauptbatterie. 60 Amperestunden, 32 in Reihe geschaltete Zellen und 110 Volt. So wird der Elektromotor knapp 18 PS stark. Höchstgeschwindigkeit: 70 km/h. Die Batterie wird über einen normalen Schuko-Stecker geladen, den Klingenstein aus dem Kofferraum holt. Vier bis sechs Stunden dauert der Vorgang. Die Batteriezellen sind aus China, Batteriesteuerung und Motor aus Holland. Klingenstein hat sie sich übers Internet besorgt. Ein tschechischer Händler hatte das beste Preis-Leistungs-Verhältnis. Dennoch, die Batterie war das Teuerste am ganzen Trabi: mehr als 100 Euro pro Zelle, das macht also rund 3 500 Euro.

Probefahrt durch Helbra. Langsam rollt Klingenstein vom Hof. Das erste, was man hört, ist ein leises Sirren. „Das ist der Motor. Wenn ich durchs Dorf fahre, muss ich manchmal hupen, damit die Hunde von der Straße gehen“, sagt er. Elektromotoren sind sehr leise, weil sie nichts verbrennen. Doch auch ohne Rengdengdeng: Der Trabi klingt immer noch wie ein Trabi. Je schneller man wird, desto lauter wird dieses Heulen. Unverwechselbar, als würde man permanent im Rückwärtsgang fahren. „Das ist das Getriebe“, sagt Klingenstein.

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Er hat einfach das alte benutzt, den Zweitaktmotor ausgebaut und den E-Motor dranmontiert. Für Elektroautos ist das unkonventionell, sie bräuchten gar kein Mehrganggetriebe. Aber es funktioniert. Und es ist die einfachste Lösung. „Da ist noch das 20 Jahre alte Getriebeöl drin. Irgendwann muss ich das mal wechseln.“ Irgendwann - bei Klingenstein ist die Ökonomie die Grundlage aller Erwägungen.

Je schneller es wird, desto mehr klingt es nach Trabi: „Das Geklapper und Geschepper - typisch“, sagt Klingenstein. Jahrelang stand die Karosse auf einem Schrottplatz bei Berlin, gammelnd, aber technisch intakt. Nachdem Klingenstein sich belesen und ausgerechnet hatte, wie leicht ein Auto sein muss, um mit einer günstigen Batterie weit zu fahren, kamen nur ein Trabi, ein Twingo und ein Fiat 500 in Frage. „Beim Trabi kannte ich mich technisch aus“, sagt Klingenstein. Also Trabi, umsonst, aber mit Fahrzeugbrief. „Ohne kriegen sie die Zulassung nie. Denn dann existiert das Auto quasi nicht mehr.“

Vorreiter der Energiewende

Der Rest war Internetrecherche, Bastelei - und viel Überzeugungsarbeit. Denn zu einer Tüv-Abnahme für seinen Eigenbau konnte er in Mitteldeutschland niemanden bewegen. Er sprach monatelang bei Technikern vor. „Zuerst dachten die, ich will jetzt in Kleinserie produzieren. Dabei wollte ich nur eine Zulassung für mein Einzelexemplar“, sagt Klingenstein. Erst in Bayern half ihm ein Spezialist. „Der rüstet normalerweise Porsche auf E-Antrieb um.“ In Bayern bekam Klingenstein die entscheidenden Tipps und einen Tüv-Mann für die Abnahme. Klingenstein musste seinen Trabi auf ein Auto laden und in die Nähe von Passau bringen. „Als ich die Plakette hatte, war ich froh“, sagt er.

Der Ausflug nach Bayern hat ihm ein wenig die Ökonomie verhagelt. 5 000 Euro hatte er sich als Limit gesetzt. Trotzdem ist sein E-Trabi immer noch unschlagbar günstig. Klingstein führt Statistik. „Beim derzeitigen Strompreis zahle ich zwei Euro pro hundert Kilometer - Versicherung und alles sonst mit eingerechnet.“

Seit Herbst hat er nun seine Zulassung. Damit ist Holger Klingenstein als Arbeitsloser zu einem kleinen Vorreiter der Energiewende im Mansfeldischen geworden. Am Ortsrand von Helbra biegt er mit dem Trabi in einen Feldweg ein. Hier drehen sich mächtige Rotoren. „Unser Kreis hat Windräder, Solarfelder - eine Menge erneuerbarer Energie“, sagt Klingenstein. Was es aber nicht gebe, sei eine Elektro-Tankstelle. Ein Autohändler habe zwar eine, lasse ihn aber nicht tanken. Klingenstein hält seinen Trabi für einen gelungenen Einstieg in die Elektromobilität auf dem Land. „Gerade hier brauchen die älteren Menschen so etwas. Aber wenn es mit der Infrastruktur so schleppend weitergeht, kann sich die Kanzlerin die eine Million Elektroautos, die sie bis 2020 in Deutschland haben will, knicken.“

Die naheliegende Idee, mit seinen Hobby-Kenntnissen nun in Serie zu gehen, verweist Klingenstein kopfschüttelnd ins Reich der Phantasie. „Ich bin kein Profi“, sagt er. Er ist Agraringenieur, spezialisiert auf Versuchsreihen für große Saatguthersteller. Heute denkt er eher alternativ, aber auch auf dem eher mageren Bio-Arbeitsmarkt wolle man ihn nicht, weil er zu alt sei. „Dabei ist fachlich alles da“, sagt er. Also war er Kurierfahrer, Taxifahrer, ABM-Kraft. Seit acht Jahren war er gar nichts mehr. Billig fahren zu können, war der Antrieb für dieses Abenteuer. Wenn aber die Phantasie doch mal mit ihm durchgeht, dann träumt Holger Klingenstein von einem BMW, einem elektrischen. „Wenn der losfährt, hören Sie fast gar nichts mehr.“

Mit einfachen Mitteln zum Elektromobil: Die Zellen der Hauptbatterie des E-Trabis sind in Reihe geschaltet. Sie bringen das Gefährt bis zu 70 Kilometer weit.
Mit einfachen Mitteln zum Elektromobil: Die Zellen der Hauptbatterie des E-Trabis sind in Reihe geschaltet. Sie bringen das Gefährt bis zu 70 Kilometer weit.
Andreas Stedtler Lizenz