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Vermisstenfälle in Sachsen-Anhalt Vermisstenfälle in Sachsen-Anhalt: Wenn ein Kind verschwindet

Von Katrin Löwe 08.05.2015, 20:25
Heidi Stein 2007 bei einer ihrer öffentlichen Suchaktionen vor der Heimkehle in Uftrungen
Heidi Stein 2007 bei einer ihrer öffentlichen Suchaktionen vor der Heimkehle in Uftrungen Stedtler Lizenz

Halle (Saale) - Es war ein verschneiter März-Tag, der Heidi Steins Leben für immer verändert hat - der vorletzte Tag eines Familienurlaubs im Südharz. Das Datum hat sich der heute 63-Jährigen förmlich eingebrannt: Am 10.März 1979 verschwand ihr damals dreieinhalbjähriger Sohn Dirk Schiller während eines Ausflugs zur Heimkehle bei Uftrungen (Mansfeld-Südharz). 36 Jahre ist das her, 36 Jahre, in denen Heidi Stein nie loslassen konnte. „Heute brennt hier zu Hause und bei meinen Töchtern eine Kerze, für ihren Bruder und unseren Sohn“, schreibt sie auch vor wenigen Wochen am Jahrestag von Dirks Verschwinden.

Junge kehrt nicht zurück

Mit seiner damals sechsjährigen Schwester spielte Dirk 1979 auf einem Feld, während die Eltern etwas im Auto vor der Heimkehle umluden. Bis zur Öffnung der Schauhöhle war noch etwas Zeit. Nur wenige Minuten hatten Stein und ihr Mann die Kinder nicht im Blick - entscheidende Minuten. Vom Feld zurück kam nur das Mädchen, von Dirk fehlt seitdem jede Spur. Suchaktionen von Polizei und Feuerwehr blieben erfolglos.

Die Behörden erklärten irgendwann, Dirk sei wohl in einem Bach ertrunken - eine Theorie, die Heidi Stein bis heute nicht teilt. Eine Leiche wurde nie gefunden. „Ich glaube, Dirk lebt noch“, sagt sie. „Er ist irgendwo und weiß nicht, wer er ist.“ Die heute in Niedersachsen lebende Frau vermutet eine Verstrickung der DDR-Staatssicherheit in den Fall und hat nie aufgegeben, nach ihrem Kind zu suchen. 1988 erschien ein Buch über Dirks ungelöstes Schicksal. Noch heute versucht Stein mit Hilfe von Medien, neue Hinweise zu erhalten.

Tägliche Herausforderung

Der Fall Dirk Schiller ist derzeit „der älteste in unserer Vermisstendatei“, sagt Andreas von Koß, Sprecher des Landeskriminalamtes (LKA) in Magdeburg. Für die Polizei sind verschwundene Minderjährige eine fast tägliche Herausforderung. Zwischen 205 und 261 Vermisstenanzeigen im Zusammenhang mit Kindern hat es seit 2010 jährlich in Sachsen-Anhalt gegeben.

Allerdings: Die meisten klären sich schnell, wie auch eine Statistik aus dem vergangenen Jahr zeigt. 30 Prozent der Kinder tauchten in den ersten drei Tagen nach ihrem Verschwinden wieder auf, weitere 48 Prozent noch innerhalb der ersten Woche. Am häufigsten hat die Polizei es mit Dauerausreißern und Heimkindern zu tun. Nur ein Prozent der unter 14-Jährigen ist länger als ein halbes Jahr verschwunden. „Es sind seltene Fälle, in denen ein Kind auf Dauer vermisst wird“, sagt von Koß.

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Aktuell stehen unabhängig von der fünfjährigen Inga aus Schönebeck 15 Kinder in der Vermisstendatei des Landes. In acht Fällen davon wurden die Kinder von einem Elternteil mitgenommen. Über das Schicksal der übrigen sieben gibt es, wenn überhaupt, maximal Vermutungen. Zwei der Kinder könnten 1986 beziehungsweise 1994 ertrunken sein, heißt es beim LKA. Völlig unklar ist derzeit das Schicksal einer jungen Mutter und ihres Kindes, die im vergangenen Jahr in Italien spurlos verschwunden sind.

Mandy Schmidt aus Halle wird noch immer vermisst

Auch der wohl bekannteste Vermisstenfall Sachsen-Anhalts ist bis heute ein Rätsel: der von Mandy Schmidt aus Halle. Die 13-Jährige verschwand bereits 1998. Ihr Schwager wurde zwar später wegen sexuellen Missbrauchs des Mädchens verurteilt. Dass er auch etwas mit seinem Verschwinden zu tun hat, konnte aber nie nachgewiesen werden. Die Ermittler glauben nicht daran, dass Mandy noch lebt - offiziell hat die Familie sie inzwischen vom Gericht für tot erklären lassen. Zu den Akten gelegt ist die Akte Mandy Schmidt aber nicht. „Für uns ist das immer noch ein offener Fall, der unter Kontrolle bleibt“, sagt Staatsanwaltschaftssprecher Klaus Wiechmann. Bei ungelösten Fällen werden die Akten in regelmäßigem Abstand neu durchgesehen - von Ermittlern, die mit ihnen noch nichts zu tun hatten. Sie könnten mit unvoreingenommenem Blick auf etwas stoßen, was anderen verborgen blieb.

Der Fall Dirk Schiller ist zuletzt ins Blickfeld der Gifhorner Polizei gerückt, zuständig für Steins heutigen Wohnsitz. Ermittelt wird auch im Zusammenhang mit Drohungen, die Stein unter anderem per Internet - offenbar wegen ihrer Suche - erhielt. Heidi Stein gibt die Hoffnung nicht auf, dass der Fall noch geklärt wird. „In meinem Leben“, sagt sie, „dreht sich alles um Dirk und vermisste Kinder.“

Am 25. Mai, dem Internationalen Tag der vermissten Kinder, wird sie in Berlin Luftballons steigen lassen. (mz)