Unterwasserwelt in Nordhausen Unterwasserwelt in Nordhausen: Eine Stadt taucht ab

nordhausen/MZ - Der Ort Nordhusia wächst immer weiter. Seit 2013 gibt es auch eine Kirche. Mit allem, was dazu gehört: Am Eingang baumelt eine Glocke. Über dem Altar hängt ein Kruzifix, die Wände zieren Skulpturen und Bilder. Auf Holzbänken kann die Hochzeitsgesellschaft Platz nehmen. Denn ab diesem Jahr soll in dem geweihten Gotteshaus auch kirchlich geheiratet werden können. Was zunächst klingt wie eine ganz alltägliche Geschichte, ist in Wahrheit eine vermutlich einmalige Attraktion in Deutschland. Denn die Kirche befindet sich in zwölf Metern Wassertiefe. Nordhusia ist eine Unterwasserstadt - und damit ein Paradies für Taucher aus aller Welt.
Die Dimensionen sind beeindruckend. Allein das neue Kirchengebäude misst zehn mal zehn Meter und ist sechs Meter hoch. „Wir waren etwas größenwahnsinnig“, sagt Wolfgang Tröger. Er ist Erfinder und heute sozusagen Bürgermeister der Unterwasserstadt. „Wir hätten die Kirche vielleicht eine Nummer kleiner bauen sollen“, sagt er in der Rückschau. Doch gebaut ist gebaut, nun steht das Gotteshaus.
Keine antiken Tempel
Die Idee zu Nordhusia kam ihm vor gut fünf Jahren. Er wollte eine Unterwasserstadt bauen, die an die alte Stadt Nordhausen (Thüringen) angelehnt sein sollte - also keine antiken Tempel errichten, die an Atlantis erinnern sollten, sondern ein Abbild einer mittelalterlichen Stadt schaffen. „Die erste Aufgabe war es damals, eine Stelle zu finden, die relativ eben und auch für Tauchanfänger erreichbar ist“, berichtet der 63-Jährige. Einen geeigneten Platz fand er letztlich im Sundhäuser See in Nordhausen, wo er seit acht Jahren selbst auch eine Tauchbasis betreibt.
Vom Projekt hatte Tröger klare Vorstellungen. „Wir wollten keinen Schrott versenken“, sagt er. In anderen Tauchgewässern würden Telefonzellen stehen, Autos und sogar Flugzeuge liegen. Doch das kam für ihn nicht in Frage. Er wollte etwas Neuartiges schaffen. Und das scheint ihm gelungen zu sein. Denn Nordhusia ist deutschlandweit einzigartig. In Ibbenbüren (Nordrhein-Westfalen) existiert zwar ein Unterwasserpark mit einem versunkenen Tempel. Doch es gibt einen entscheidenden Unterschied: Die Anlage wurde erst gebaut und dann geflutet. Die Unterwasserstadt in Nordhausen dagegen wurde in einem See errichtet, der natürlich entstanden ist.
Der Bau der Unterwasserwelt gestaltete sich dabei schwieriger als gedacht. Aus handelsüblichem Beton konnte der passionierte Taucher die Wände der Häuser nicht gießen, da diese sonst zu schwer gewesen wären. Ein Kran hätte die tonnenschweren Elemente vielleicht noch ins Wasser heben können. Das aber hätte nicht gereicht. Sie hätten auch noch an die richtige Stelle bewegt werden müssen. Gemeinsam mit einem benachbarten Zement- und Betonwerk tüftelte er also an einem Leichtbeton. „Wir brauchten aber auch noch einen Schwimmponton, an den wir die Teile dranhängen und absenken können“, sagt er. Und auch dieses Mal setzte er auf die Unterstützung eines Unternehmens aus Nordhausen.
Bauantrag genehmigt
Was noch fehlte war die Baugenehmigung. Denn die ist auch für Unterwasserstädte nötig. Stadtbauamt und Untere Wasserbehörde haben den Bauantrag schließlich genehmigt. „Sie waren sehr kooperativ“, sagt Tröger. Im Sommer 2011 bauten er und sein Mitarbeiter Olaf Voigt an Land die ersten Segmente für die Unterwasserstadt. Los ging es mit der 15 Meter langen Stadtmauer und einem fünf Meter hohen Turm. Wichtigste Bedingung: „Es müssen genug Öffnungen vorhanden sein, damit die Taucher problemlos rein und raus kommen“, sagt der Stadtherr.
Ein Jahr später bekam Nordhusia einen Friedhof mit Kreuz, Grabsteinen und Skelett. Außerdem zogen die ersten Bewohner aus Holz ein: Das waren ein Ritter und eine angekettete Frau, die wegen Hexerei angeklagt ist.
Wer tauchen will, muss nicht erst in die Karibik fliegen, nach Thailand oder ans Rote Meer. Auch in Deutschland gibt es eindrucksvolle Unterwasserwelten. So sind der Bodensee und der Starnberger See wegen ihrer Steilwände beliebt. Ostsee und Nordsee locken mit Wracks.
Einer der beliebtesten Tauchspots befindet sich in Löbejün (Saalekreis). Sichtweiten von bis zu 25 Metern und Überreste aus der Zeit des Bergbaus machen die dortigen Steinbrüche, die nach ihrer Stilllegung mit Wasser vollgelaufen sind, zu einem Eldorado für Taucher. Im dritten Kessel führen Schienen zu einer Drehscheibe. Auf den Gleisen stehen Loren mit Gesteinsbrocken. Sie erinnern an die Ära des Porphyrabbaus.
Zu Deutschlands schönsten Tauchgewässern gehört auch der Kulkwitzer See bei Leipzig. In dem gefluteten Tagebaurestloch tummeln sich 17 Fischarten. Dazu gehören stattliche Spiegelkarpfen und Welse. Auf dem Grund des Sees liegt der Rumpf eines versenkten Kleinflugzeugs.
Ein Unterwasserwald und rötlich schimmernde Steilwände machen den Tiefen See bei Pretzien (Salzlandkreis) zu einem eindrucksvollen Tauchspot. Da das Wasser recht sauer ist, leben in dem Steinbruch keine Fische.
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Liebe zum Detail bewiesen Wolfgang Tröger und Olaf Voigt im Sommer 2012 auch beim Bau der zwei Fachwerkhäuser. Ihre Wände bestehen nicht einfach nur aus Beton, sondern auch - wie es sich für richtige Fachwerkhäuser gehört - aus Holz. In diesem Fall Lärchenholz. Auch beim Dach hat das Team viel Finesse bewiesen: Es bekam echte Ziegel. Die Bäuerinnen Brunhilde und Gerlinde zogen ein. Mittlerweile hängt auch Geschirr an der Wand. Dass es angeschraubt wurde, hat einen Grund, erklärt Tröger: „Taucher sind Trophäenjäger.“
Der 63-Jährige hat aber nicht nur die Unterwasserstadt errichtet, sondern seine Tauchbasis an der Nordseite des Sundhäuser Sees zu einem beliebten Treffpunkt für Taucher ausgebaut. Das Interesse ist groß. Anfangs kamen an einem Wochenende 75 Taucher. Heute sind es fünfmal so viele. Getaucht wird das ganze Jahr. Zu entdecken gibt es einiges.
Gut erhaltene Wracks
Auf dem Grund des Sees liegen die Wracks Charlotte I, II und III. Die Charlotte III ist mit einer Länge von 14 Metern das größte der noch gut erhaltenen Schiffe. Es handelt sich um einen Fischkutter, der mittels Polizeieskorte von der kleinen Küstenstadt Barth (Mecklenburg-Vorpommern) nach Nordhausen gebracht und dort in 21 Metern Tiefe versenkt wurde. Das Wrack ist groß genug, um an ihm das nötige Rüstzeug fürs Wracktauchen zu erlernen. Um die entsprechende Ausbildung kümmert sich Trögers Ehefrau Charlotte. Sie ist die Namensgeberin der Wracks.
Doch nicht nur die Schiffe, sondern auch die Tier- und Pflanzenwelt des rund 55 Hektar großen Tagebaurestlochs ziehen viele Taucher an. Spiegelkarpfen, Barsche und Hechte sowie Aale, Rotfedern und Krebse tummeln sich in dem See, der Sichtweiten von bis zu 20 Metern bietet - beachtlich im Vergleich zu anderen Gewässern. Und so lockt der See Taucher aus ganz Deutschland, aus den Niederlanden und der Schweiz, aus Tschechien und Polen an.
Rund 100 000 Euro hat die Unterwasserstadt bisher gekostet. Den Großteil der angefallenen Arbeiten hat der 63-Jährige selbst erledigt und aus eigener Tasche bezahlt. Den Rest der Kosten haben Sponsoren beglichen. Doch fertig ist Nordhusia noch nicht. In diesem Jahr soll ein Stadtpark mit Bäumen, einem Brunnen und Skulpturen folgen. „Dann haben wir ein buntes Ensemble“, sagt Wolfgang Tröger.
Mehr Infos im Internet unter: www.actionsport-nordhausen.de