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Ungewöhnliches Projekt Ungewöhnliches Projekt: Zukunft wird auf Stroh gebaut

Von Harald Lachmann 01.02.2004, 17:07

Salzwedel / MZ. - Die Bewohner des Öko-Dorfs Sieben Linden verfolgen ein ehrgeiziges Ziel: Sie wollen helfen, dass Stroh als Baustoff bundesweit anerkannt wird.

In den Jahren, die weniger trocken sind als das letzte, herrscht auf deutschen Feldern Überschuss - an Stroh. Jeder fünfte Ballen bleibt laut Statistik ungenutzt. Er könnte also anderweitig zum bäuerlichen Umsatz beitragen. "Etwa für 350 000 Einfamilienhäuser, wenn man sie in der sehr kostengünstigen Strohballenbauweise errichtet", behauptet Eva Stützel.

Die 38-Jährige ist Vorstand einer Wohnungsgenossenschaft, sie sollte also wissen, wovon sie spricht. Zudem ist sie im bundesweit bekannten Öko-Dorf Sieben Linden bei Salzwedel daheim: Hier lebt bereits eine Handvoll Menschen in einem zweistöckigen Wohnhaus, das sie eigenhändig aus Waldholz, Strohballen und Lehmputz errichteten.

Nun baut sogar ganz Sieben Linden seine Zukunft auf Stroh: Für 20 Mieter entsteht hier das erste regulär genehmigte dreigeschossige Strohballenwohnhaus Deutschlands. In dem seit 1998 wiederbelebten Waldweiler sind keine Aussteiger zu Hause, eher Visionäre. Zumeist verdienten sie hier auch ihren Lebensunterhalt, so als Handwerker, Pizzabäcker, Designer, Verleger und Seminarleiter, erläutert Eva Stützel, die mit ihrer 7-jährigen Tochter eine Wohnung in einem Ökohaus mietete.

"Wir wollen kostengünstig aus ökologischen Materialien Niedrigenergiehäuser fertigen", erzählt die aus dem Saarland stammende Psychologin. So biete sich die Strohbauweise geradezu an. Zumal in der Altmark, die auf dem Weg sei, sich zum bundesweiten Vorreiter für die Nutzung nachwachsender Rohstoffe zu profilieren.

Die Bewohner des Öko-Dorfes haben freilich noch mit Gesetzesbarrieren und landläufiger Skepsis zu kämpfen. Häuser aus Stroh gelten als kurzlebig, instabil, leicht entflammbar, anfällig für Schimmel und Nager. Genau hier setzt nun im Öko-Dorf ein Projekt an, für das auch Geld vom Bundesverbraucherschutzministerium kommt: Stroh soll allgemein als Baumaterial salonfähig werden. Denn zu den zugelassenen Baustoffen, wie in Dänemark und den USA, gehört es hierzulande nicht. "Dabei lassen sich mit Strohballen auf einfache Weise sehr umweltfreundliche, regional produzierte Wohnhäuser, Stallungen und Lagerräume erstellen", sagt der Lüneburger Architekt Dirk Scharmer, Leiter des Fachverbands Strohballenbau Deutschland.

Um sich jedoch für künftige Strohballenhäuser nicht stets aufs Neue von einer Ausnahmegenehmigung zur nächsten hangeln zu müssen, soll nun Rechtssicherheit her. Ein allgemeines bauaufsichtliches Prüfzeugnis erreichte Scharmer bereits. Vor kurzem beantragte er beim Deutschen Institut für Bautechnik eine allgemeine bauaufsichtliche Zulassung. Sie ist die rechtliche Grundlage für eine reguläre Verwendung von Stroh als Dämmstoff überall in Deutschland.

Immerhin ergab bereits ein Feuer-Test an der Materialprüfungsanstalt Braunschweig, dass Flammen selbst nach 90 Minuten einer lehmverputzten Strohballenwand nichts anhaben können. Als nächstes stehen Versuche zur mechanischen Belastbarkeit von Strohballen und ein Schimmeltest an. Zudem überwachen Messfühler während des Baus in Sieben Linden beziehungsweise nach Einzug der Bewohner, wie sich der Baustoff verhält und wie er sich auf das Raumklima auswirkt.

Aus Stroh selbsttragende Wände zu errichten, ist indes nicht geplant. Die Altmärker zimmern ein hölzernes Fachwerk, füllen es mit Strohballen aus und verputzen diese mit Lehm. "Das ist preislich akzeptabel, zumal für diese Top-Ökoqualität", so Eva Stützel.

Das bundesweite Interesse sei groß - auch an den Strohbauseminaren. Ein Dozent ist Martin Stengel. Der Energieingenieur vom Bodensee richtete sich das Obergeschoss im ersten kleinen Strohballenhaus des Öko-Dorfes ein. Zum Inventar gehört auch ein Klavier - es nimmt sich gut aus zwischen Fachwerk und Lehmputzwänden.