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Truppenübungsplatz Truppenübungsplatz: Krieg und Frieden - Ausnahmezustand in Letzlingen

Von HENDRIK KRANERT-RYDZY 12.09.2012, 12:51

LETZLINGEN/MZ. - In Letzlingen hat in der vergangenen Woche eine neue Bankfiliale eröffnet. In Sachsen-Anhalt, in dem seit Jahren nach und nach die soziale Infrastruktur auf dem flachen Land verschwindet, klingt so eine Meldung, als würde in der Sahara ein Stand mit Halberstädter Würstchen eröffnet. Denn Letzlingen hat gerade mal 1300 Einwohner und liegt mitten in der Altmark. Auf sehr flachem Land sozusagen. Doch in Letzlingen ist vieles anders: Sämtliche Häuser sind saniert, es gibt einen Kindergarten und eine Schule, 17 Vereine und 35 Gewerbetreibende, ein Schlosshotel und sage und schreibe fünf Kneipen. Zudem eine Arztpraxis, eine Apotheke und einen tagsüber durchgehend geöffneten Supermarkt. Sowie einen Friseur und einen Blumenladen, bei denen der Freitag zu den umsatzstärksten Tagen der Woche zählt. Denn dann fahren viele Soldaten zu ihren Liebsten. Die Soldaten sind der Grund für den Wohlstand - und den Ärger, den sich Letzlingen derzeit einhandelt.

Das Dorf ist Standort des drittgrößten Übungsplatzes Deutschlands, der gleichzeitig der modernste Europas ist. 1 200 Arbeitsplätze gibt es beim Gefechtsübungszentrum Heer (GüZ), davon 500 zivile. Die kümmern sich um das Wohl der Soldaten in der Kantine und bei der Instandhaltung, bestücken die Werksfeuerwehr und arbeiten als Angestellte des Übungsplatz-Betreibers Rheinmetall Defense.

Es dürften noch ein paar mehr werden, wenn demnächst für 62 Millionen Euro eine Übungsstadt auf dem Gelände gebaut wird - Schnöggersburg. Ein heiß umstrittenes Projekt. "Wir haben kaum Arbeitslose im Ort, wir leben gut und mit der Bundeswehr", sagte Bürgermeisterin Regina Lessing. So wie sie sehen das viele im Dorf und in der Nachbarschaft.

Die 58-Jährige steht unter Strom; die Toilette im Dorfgemeinschaftshaus ist kaputt, wird aber dringend von Dutzenden Polizisten gebraucht. Nur ein Bruchteil der bis zu 1000 Beamten, die seit dieser Woche die Letzlinger Idylle bewachen. Es herrscht Ausnahmezustand. Denn in Letzlingen und Umgebung wird demonstriert. Zum Beispiel von Gregor Schultz. Er ist - wie viele seiner Mitstreiter - aus dem Wendland gekommen, wo jedes Jahr die Castoren rollen. "Berufsrevolutionäre - kampferprobt und argumentationssicher", sagt Bürgermeisterin Lessing. Vergangenen Sonntag sind sie angerollt, mit Traktoren und Wohnwagen.

Auch Reiterstaffel im Einsatz

Schultz, 28 Jahre alt, Tischler und Familienvater, zeltet seither mit etwa 40 Mitstreitern auf dem Marktplatz von Letzlingen. Seither ist auf allen Zufahrtsstraßen das Parken verboten, außer für Polizeifahrzeuge. Rund um den Markt dreht die niedersächsische Reiterstaffel ihre Runden; am Tag zuvor war es die sächsische. Auf dem Markt ist eine Mahnwache genehmigt worden, mit der Schultz und Freunde gegen Kriegstreiberei im Allgemeinen und die Bundeswehr in Letzlingen im Besonderen protestieren.

"War starts here" heißt die Kampagne, die europaweit ins Leben gerufen wurde. Der Krieg beginne hier. Hier in Letzlingen, wo im GüZ Soldaten ihr Abschlusstraining für Afghanistan ablegen. "Wir wollen vor Ort den Finger in die Wunde legen", sagte Kampagnen-Sprecherin Caroline Puls. Vor Ort ist allerdings ein großer Begriff, denn den Markt dürfen die Demonstranten nicht verlassen.

Um den 250 Quadratkilometer großen Übungsplatz ist eine Bannmeile verhängt worden. Und kein Bauer in Letzlingen will die Demonstranten auf seinem Grundstück zelten lassen. "Die sind unter Druck gesetzt worden", sagt Schultz und schnipst den Rest seiner selbstgedrehten Zigarette auf das Marktpflaster. Andererseits hat er Verständnis dafür, dass die Letzlinger Angst um ihre Jobs haben. Aber man hätte die Heide ja auch touristisch nutzen können. Dafür und die zivile Nutzung des Areals demonstriert seit Jahren auch jeden ersten Sonntag im Monat die Bürgerinitiative "Offene Heide". Bei "War starts here" aber macht sie nicht mit.

Vielleicht, weil zwölf Kilometer westlich von Letzlingen gerade Plakate aufgehängt werden, auf denen Sprüche stehen wie: "Soldaten sind Mörder" und "Gegen Mord und Vergewaltigung - Bundeswehr wegtreten." Hier hat die Kampagne doch noch einen Landwirt gefunden, der nahe des Fleckens Potzehne seine Wiese als Zeltplatz zur Verfügung stellt.

Dort entsteht jetzt das Protestcamp, von dem am Sonnabend ein - noch verbotener - Demonstrationszug zum GüZ starten soll. Vielleicht lehnt die Initiative "Offene Heide" eine Teilnahme an der Kampagne auch ab, weil aus deren Reihen immer wieder angekündigt wird, auf den Truppenübungsplatz vorzudringen und die Ausbildung stören zu wollen.

Feuerlöscher mit Farbe

"Wir erwarten das gleiche wie in Gorleben oder am Bombodrom Wittstock - mit allen Auswüchsen", sagt Oberst Dieter-Uwe Sladeczek, der Chef des Truppenübungsplatzes. Und meint Krawalle. Sladeczek hat die Alarmbereitschaft erhöhen lassen und die Zahl der Feldjäger genannten Militärpolizei auch - Zahlen nennt er jedoch nicht. Wegen befürchteter Übergriffe sind auch sämtliche Hinweisschilder zum Truppenübungsplatz in Folie eingewickelt.

"Wir haben im Sommer ein paar Leute auf dem Gelände gestellt, die haben mit Farbe gefüllte Feuerlöscher vergraben", sagt Sladeczek und schiebt nach: "Die denken echt, wir sind Amateure." Der 58-Jährige stammt aus Soltau und wohnt seit sechs Jahre in Letzlingen. Nach seiner Pensionierung will er dem Ort treu bleiben. "Es ist eine freche Behauptung, dass sich die Bevölkerung im Würgegriff des Militärs befindet", sagt der Oberst.

Im Not-Camp bei Potzehne ist das ein Standard-Argument: "Das ganze Dorf ist gekauft und vom Militär durchdrungen", sagt ein junger Mann beim Zeltplatz-Bau. Derweil telefoniert daneben der Camp-Organisator: "Geld spielt keine Rolle. Und wir zahlen bar."

Einsatzkräfte der Polizei sichern am Dienstag in Letzlingen (Altmarkkreis Salzwedel) eine Mahnwache von Militär-Gegnern ab. (FOTO: DPA)
Einsatzkräfte der Polizei sichern am Dienstag in Letzlingen (Altmarkkreis Salzwedel) eine Mahnwache von Militär-Gegnern ab. (FOTO: DPA)
dpa-Zentralbild