Traumschiffe auf Rädern Traumschiffe auf Rädern: Mit dem Straßenkreuzer durch die DDR

Teutschenthal/Halle (Saale) - Es ist dieses Sofa-Gefühl. Ein Empfinden wie sanftes Wiegen in weichen Wonnewolken. Aus dem Autoradio säuselt Elvis einen Schmusesong. Ist das wirklich noch Fahren oder einfach nur Träumen? Sind wir im 21. Jahrhundert oder mindestens fünfzig Jahre zurück? Oh ja, unterwegs in so einem amerikanischen Straßenkreuzer kommt man sich schon mal vor wie aus der Zeit gefallen. Auch, wenn man nur über die schotterigen Landstraßen irgendwo im Mansfeldischen fährt. Falsch: Man gleitet. Die Leute unterwegs gucken, lächeln, viele winken. Das ist ja auch ein Anblick! Geschmeidige Stromlinienkurven, blitzender Chrom, schimmernder Lack. . . Kein Allerweltsauto im heutigen Einheitsdesign, sondern ein rasantes Traumschiff auf Rädern. Mit so einem Schlitten unterwegs, wähnt man sich unwillkürlich in den Weiten amerikanischer Highways - wenigstens auf Zeit.
Es ist ein Gefühl, von dem Wilko Hündorf und seine Partnerin Kerstin Galander einfach nicht genug bekommen können. Und das sie sich immer wieder gönnen, sobald sie mit ihren heißgeliebten, sorgsam gepflegten Ami-Autos unterwegs sein können. Eine 69er Corvette und ein 70er Pontiac Firebird sind seit zwanzig Jahren die Favoriten im Besitz des Paares. Mit diesen traumschönen Autos und vielen anderen Reminiszenzen an die „golden Fifties“ lebt es seit langem auf seine Weise ein Stückchen vom amerikanischen Traum - mitten in der ostdeutschen Provinz.
Rock’n’Roll, Petticoat, Nierentisch und Tütenlampen: All das findet man bei den beiden in Teutschenthal. In dem Ort nahe Halle lassen Hündorf und Galander auch in ihrem Eiscafé diese Zeit wieder aufleben. Mit stilechtem Mobiliar und ebensolcher Deko an den Wänden. Aus den Jukeboxen tönen Bill Haley und die Platters. Die Chefin, die das Café von ihren Eltern übernommen hat, trägt Kleider im Retro-Look. Auch die Eismaschinen sind von damals. Da rührt der Chef noch selbst mit dem Spatel in der kühlen Masse. Alles handgemacht und Bio. Darauf legen beide Wert.
Nachhaltigkeit mit Ami-Schlitten
Nachhaltig heißt das im Neuzeit-Sprech. Ein Lebensstil, den Wilko Hündorf, einer von drei Söhnen einer halleschen Metzger-Dynastie und selbst gelernter Fleischer, von Jugend an verinnerlicht hat. Die alten Fleischermaschinen - er hält sie in Ehren und stellt sie aus wie Museumsstücke. Die vermeintlich so protzigen Ami-Schlitten? Passen absolut dazu. Denn, so weiß der Liebhaber der guten alten Mechanik: „Die haben eine relativ simple Technik. Unkaputtbar. Da kann man vieles selber machen.“ Wer in Amerika unterwegs ist, erlebt den straßengängigen Beweis. Da behaupten sich auf Highways und Interstates die jahrzehntealten Oldsmobiles, Cadillacs und andere, die teils schon lange nicht mehr produziert werden, mühelos und unverdrossen gegen heutige Fabrikate. Auf Kuba sind die Uralt-Schönheiten zur Touristenattraktion geworden. Und sie fahren und fahren.
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Wie lebendig die sehnsuchtsvolle Liebe zu jenen Zeiten ist, „als Amerika noch richtige Autos gebaut hat“, wie es eine populäre USA-Postkarte verkündet, dafür gibt es auch in Deutschland vielfältige Beweise. Nicht zuletzt, wenn sich nächste Woche in Dresden wieder Hunderte Ami-Schlitten-Fahrer mit ihren chromblitzenden Lieblingen zur US Car Convention treffen. Klar, dass die Teutschenthaler dabei sein werden. Ein toller Anblick, wenn zur „großen Ausfahrt“ Hunderte Schmuckstücke durch Dresden rollen. Weißwandreifen an Weißwandreifen, Heckflosse an Heckflosse, blitzender Lack, stolze Fahrer am Steuer. . .
Dabei: Wilko Hündorf ist ein ruhiger, bedachter Typ, der seiner Leidenschaft eher im Stillen frönt. Und das - erstaunlich genug - schon seit tiefen DDR-Zeiten. Denn auch diese Nische gab es im Einheitsgrau. Eine fröhlich-freie Alternativszene jenseits des realsozialistisch reglementierten Wunschdenkens. Der amerikanische Traum, er ließ sich auch diesseits der Mauer wenigstens in Teilen verwirklichen. Die tollen Autos kreuzten tatsächlich auch über DDR-Straßen. Chrom im Überfluss, riesige Haifischflossen, Panoramascheiben, butterweiche Sitzbänke, knallige Farben von Pink bis Türkis, krakelige Fahrwerke. Ami-Autos: Das war und ist Faszination.
Von „Detektiv Rockford“ inspiriert
Wilko Hündorf war der Magie verfallen, seit der heute 51-Jährige als Bub im Westfernsehen die Krimi-Serie „Detektiv Rockford“ verschlungen hatte. Der smarte Kult-Ermittler war unterwegs „in einem 70er Pontiac Firebird“, wie Hündorf noch immer weiß. Das absolute Objekt der Begierde für den jungen Wilko.
Wie sich Hündorf seinen Traum vom ersten eigenen Ami erfüllte, lesen Sie auf der nächsten Seite
Eines Tages begegnete er dem ersehnten Wunder leibhaftig - an einer Kreuzung in Halle. Die Ampel auf Rot. „Da habe ich einfach ans Fenster geklopft. Gefragt, wie ich zu so einem Auto komme.“ Der Gefragte war der DDR-Fernsehregisseur Hagen Lettow. Er wusste Rat. Irgendwo im Osten stand ein 59er Cadillac zum Verkauf. „Ein Traum“, schwärmt Hündorf noch heute. „Braun-gelb, Weißwandreifen, 7.000 DDR-Mark.“ 18 war er da, hatte das Geld irgendwie zusammengekratzt und im wesentlichen die Sorge, wie das gute Stück unterzustellen sei. Eine Scheune in Teutschenthal fand sich. Ein Bruchobjekt.
Amerika-Gefühl mitten in Teutschenthal
Nach jahrelanger Restaurierung wohnt das Paar dort heute. Buchstäblich Auge in Auge mit den Lieblingen. Die stehen im scheunenbodengroßen Wohnbereich in Sichtweite der Couch, die aus einem umfunktionierten Cadillac-Heck besteht. Die Wände: gemalte Panoramen amerikanischer Landschaften. So lebt es sich, das Amerika-Gefühl mitten in Teutschenthal. Klar, dass das Paar auch auf diese Art zueinander fand. „Mit so einem Superauto“, lächelt sie, fuhr er eines Tages vor der Eisdiele vor. „Da habe ich frech gesagt, da will ich auch mal mitfahren. Am nächsten Abend stand er vor der Tür.“
Ersatzteile aus dem Westen
Doch: Wie ging das eigentlich, Ami-Autos in der DDR? „Da fuhren mehr herum, als man so denkt. Rockmusiker hatten sowas, Schlagersänger, Schauspieler. Tamara Danz fuhr einen Pontiac. Dagmar Frederic hatte auch so ein Ami-Auto. Die haben sie dann abgestoßen, wenn was Neues anstand“, erinnert sich Hündorf. Und bald war er mitten drin im Geschäft und in der Szene. „Schon damals hatte ich wohl zehn verschiedene Straßenkreuzer. Da wurden wir eher belächelt als beneidet. Von wegen Benzinfresser und so. Und sowieso fuhr so etwas nur die Unterwelt, wie die Leute meinten.“
Freilich, Ersatzteile, Reparaturen, das sei schon ein Problem gewesen. „Doch es gab genug kleine private Werkstätten. Die Oma hat immer mal aus dem Westen ein Ersatzteil mitgebracht. Der Rest war Eigenbau.“
Heute sei die Benzinkostenfrage aktueller denn je. Der Treff bei der US Car Convention jedoch bleibt Ehrensache. Es ist schließlich die größte Straßenkreuzer-Super-Show weit und breit. Gelegenheit, sich auszutauschen, schauen, was die anderen für tolle Autos fahren - und auch, wie sie ihn leben, den amerikanischen Traum.


