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Trauer um ehemaligen Ministerpräsidenten  Trauer um ehemaligen Ministerpräsidenten : Reinhard Höppners Erbe

Von Kai Gauselmann 09.06.2014, 21:16
Der ehemalige Ministerpräsident Reinhard Höppner ist in der Nacht zum Montag im Alter von 65 Jahren gestorben.
Der ehemalige Ministerpräsident Reinhard Höppner ist in der Nacht zum Montag im Alter von 65 Jahren gestorben. dpa Lizenz

Magdeburg/MZ - Er war kein Technokrat. Den Menschen zugewandt, das war Reinhard Höppner immer. „Ich bin in diesem Land prächtigen und engagierten Menschen begegnet. Sie sind der Schatz unseres Landes.“ Das waren typische Höppner-Sätze, verbales Schulterklopfen. In seinen guten Politiker-Zeiten wurde der gebürtige Haldensleber damit zum Wähler-Fischer. In seinen schlechten kam er mit diesen Worten nicht mehr an gegen die kalten Quoten, die anhaltend hohe Arbeitslosigkeit. Und das hing ihm lange nach.

Höflicher Applaus zum Abschied

Die Worte zum Landesschatz hatte Höppner im Januar 2006 im Landtag gesprochen, zu seinem Abschied aus der Politik. Reinhard Höppner war einer der prägendsten ostdeutschen Nachwendepolitiker. Er war Vizepräsident der letzten Volkskammer, gehörte zu den Vätern der Landesverfassung, war acht Jahre Ministerpräsident von Sachsen-Anhalt und der einzige Sozialdemokrat in diesem Amt. Als dieser Mann zum Abschied den Abgeordneten „Mut zur Ehrlichkeit“ und „die Vision von einem Land, in dem man gern lebt und in dem man gerne bleibt“ wünscht, bekommt er nur höflichen Applaus. Keine stehenden Ovationen, keine Umarmungen von Parteifreunden.

Als am Montag die Nachricht vom Tode Höppners bekannt wurde, reagierte Links-Fraktionschef Wulf Gallert zuerst so: „Mit Reinhard Höppner verlieren wir einen mutigen, ehrlichen und sozial engagierten Politiker, der mehr Anerkennung verdient als bekommen hat.“ Nachdem die SPD im Frühjahr 2006 zumindest als Juniorpartner zurück in die Regierung kehrte, normalisierte sich das Verhältnis zur einstigen Führungsfigur Höppner. Die Parteifreunde hatten ihm nachgetragen, dass er sie in das Desaster bei der Landtagswahl 2002 geführt hatte, als die SPD 16 Prozentpunkte und die Staatskanzlei verlor.

Der SPD-Vorsitzende Sigmar Gabriel hat Sachsen-Anhalts verstorbenen Ex-Ministerpräsidenten Reinhard Höppner als „mutigen Politiker“ gewürdigt. „Er war ein aufrechter Sozialdemokrat mit großem Herzen“, erklärte Gabriel am Montag in Berlin. „Seine vermittelnde, ausgleichende Art haben die Menschen in Sachsen-Anhalt und politische Weggefährten parteiübergreifend sehr geschätzt.“ Das sozialdemokratische Forum Ostdeutschland verdanke Höppner bedeutende Impulse.

Nach dem Tod des früheren Politikers, Kirchentagspräsidenten und Synodenpräses Reinhard Höppner hat Landesbischöfin Ilse Junkermann seine „Menschenkenntnis und sein diplomatisches Geschick“ gewürdigt. „Wir werden seinen Rat vermissen und ihm ein ehrendes Andenken in unserer Kirche bewahren“, teilte die Bischöfin der Evangelischen Kirche in Mitteldeutschland (EKM) am Montag in Magdeburg mit.

„Ob als Mitglied der Kirchenleitung oder Präses der Synode, seine Analysen und sein kluger Verstand, aber auch seine Menschenkenntnis wie auch sein diplomatisches Geschick waren stets hoch geschätzt“, erklärte Junkermann.

Die SPD in Sachsen-Anhalt hat sich am Montag bestürzt über den Krebstod ihres ehemaligen Ministerpräsidenten Reinhard Höppner gezeigt. „Die Sozialdemokratie und das Land Sachsen-Anhalt verlieren damit einen großen Politiker der ersten Stunde, der sein politisches Wirken stets dem Ausgleich zwischen Ost und West gewidmet hat“, erklärte die Landes- und Fraktionsvorsitzende der SPD, Katrin Budde, in Magdeburg. Als einer der Väter der Verfassung und Ministerpräsident von 1994 bis 2002 sei Höppner maßgeblich am Aufbau des Landes Sachsen-Anhalts beteiligt gewesen.

„Er war ein leidenschaftlicher Vorkämpfer für die Interessen Ostdeutschlands und hat sehr viel für die Herstellung der inneren Einheit Deutschlands erreicht“, sagte die Parteichefin. Höppner sei ein offener, warmherziger und bescheidener Mensch gewesen: „Wir trauern heute um einen Politiker mit Seele.“

Die Fraktionschefin der Grünen im Landtag von Sachsen-Anhalt, Claudia Dalbert, würdigt Reinhard Höppner als großen Demokraten. Er habe 1994, in schwierigsten Zeiten für das Land Sachsen-Anhalt und die hier lebenden Menschen den Mut gehabt, das Magdeburger Modell, eine Minderheitenregierung von SPD und Grünen unter Duldung der damaligen PDS gegen alle Konventionen durchzusetzen, erklärte die die Grünen-Politikerin in einer Stellungnahme. "Er überraschte damit auch diejenigen, die annahmen, man müsse die SPD bei der Gestaltung dieses Landes zum Jagen tragen. Reinhard Höppner gehörte zu denjenigen, die bereits auf der Jagd waren." Dalbert betont zudem, Höppner sei für viele in der bündnisgrünen Bewegung als grünster in der sachsen-anhaltischen SPD wahrgenommen worden.

Berlins Regierender Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD) hat den früheren Regierungschef von Sachsen-Anhalt, Reinhard Höppner, nach dessen Tod als „mutigen, aber auch feinsinnigen Politiker“ gewürdigt. In vielen politischen Funktionen, etwa als Mitglied der ersten frei gewählten Volkskammer in der DDR oder als „versierter Politiker im Landtag“ und Ministerpräsident habe er „einen unverzichtbaren Beitrag zum Zusammenwachsen Deutschlands geleistet und insbesondere in Sachsen- Anhalt soziale und demokratische Maßstäbe gesetzt“, erklärte Wowereit am Montag in Berlin.

Der Fraktionschef der Linken im Landtag von Sachsen-Anhalt, Wulf Gallert, hat den politischen Mut des gestorbenen Ex-Ministerpräsidenten Reinhard Höppner (SPD) gewürdigt. Höppner hatte ab 1994 die erste deutsche Minderheitsregierung angeführt, die von der PDS, der heutigen Linken, toleriert wurde. „Er hat einen unwahrscheinlichen Mut bewiesen“, sagte Gallert am Montag dem Nachrichtensender MDR Info. Die Hürden für ein Bündnis mit den Linken seien damals für die Sozialdemokraten deutlich höher gewesen als heute. „Diese Hürden hat im Wesentlichen Reinhard Höppner genommen.“

Sachsen-Anhalts Ministerpräsident Reiner Haseloff (CDU) hat mit tiefer Betroffenheit auf den Tod seines SPD-Vorgängers Reinhard Höppner reagiert. Das Land verliere mit ihm „eine Persönlichkeit, die als Vizepräsident der Volkskammer, in zwei Legislaturperioden als Ministerpräsident und bis in die Gegenwart als Repräsentant der EKD unser Land Sachsen-Anhalt maßgeblich geprägt hat“, erklärte der Regierungschef am Montag in Wittenberg. Die Landesregierung trauere mit der Familie „um diesen viel zu früh verstorbenen Altministerpräsidenten“.

Sachsen-Anhalts Ex-Ministerpräsident Wolfgang Böhmer hat seinen verstorbenen Amtsvorgänger Reinhard Höppner gewürdigt. Bei den Verhandlungen zum zweiten Solidarpakt habe er sich mit Sicherheit Verdienste erworben, sagte der CDU-Politiker dem Sender MDR Info. „Damals sind die wichtigsten Entscheidungen getroffen worden für den Solidarpakt II, der ja noch bis 2019 gilt und von dessen Finanzhilfen wir heute noch als Land Sachsen-Anhalt leben“, so Böhmer. Kritisch äußerte er sich zum „Magdeburger Modell“, bei dem eine SPD-geführte Minderheitsregierung unter Reinhard Höppner sich von der PDS tolerieren ließ. Das sei nicht die beste Lösung für das Land gewesen.

Über den Tod von Reinhard Höppner zeigt sich auch die Landesvorsitzende der Grünen in Sachsen-Anhalt, Cornelia Lüddemann, betroffen: "Mit Reinhard Höppner verlieren wir einen mutigen Politiker der immer im Interesse Sachsen-Anhalts handelte und bereit war, neue und einzigartige Wege zu gehen. Insbesondere in den Jahren 1994-1998 lernte ich Reinhard Höppner als einen wahrhaftigen Menschen kennen, der immer Volkes Stimme sprach ohne dem Volk nach dem Munde zu reden."

Über den Werdegang Höppners und die Reaktionen auf Twitter zu seinem Tod lesen Sie auf Seite 2.

Höppner war ein typischer Vertreter der ersten Politiker-Generation nach der Wiedervereinigung: Er hatte ein Leben vor der Politik, war Naturwissenschaftler, in der Kirche engagiert und in der DDR angeeckt. Der Sohn eines evangelischen Pfarrers konnte Mathematik studieren und wurde darin auch promoviert, eine wissenschaftliche Karriere wurde ihm aber wegen des Engagements in der Studentengemeinde verwehrt. Er arbeitete dann als Lektor im Berliner Akademie-Verlag.

Fairer Vermittler

Analytisch im Denken, empathisch in den Formulierungen, an Lösungen interessiert, so ging Höppner in die Politik. In die SPD, an die Runden Tische der Wendezeit. Schnell stieg er auf, weil er beides konnte: Für eine Sache streiten und sachlichen Streit moderieren. Als Vizepräsident der Volkskammer gab er am Vorabend der Wiedereinigung dem neuen Deutschland mit auf den Weg: „Morgen feiern wir Hochzeit. Jeder weiß: Eine gute Ehe wird es nur, wenn beide Seiten sich verändern.“ Höppner war Vater dreier mittlerweile erwachsener Kinder und verheiratet mit der Magdeburger Pfarrerin Renate Höppner.

Zu seinen politischen Erfolgen gehörten die Verhandlungen über die Finanzhilfen für den Osten bis 2019 und zwei überragende Wahlsiege 1994 und 1998 für die Landes-SPD. Zunächst hatte er eine Minderheitsregierung mit den Grünen gebildet, dann regierte die SPD alleine - beide Male von der damaligen PDS toleriert. Er war der Vater der Tolerierung, des „Magdeburger Modells“. Fünf Jahre nach dem Mauerfall und lange vor rot-roten Länderregierungen war das ein wagemutiger Schritt. Ob er richtig war? „Das wollen wir den Historikern überlassen“, sagte gestern Wolfgang Böhmer (CDU), der Höppner 2002 ablöste. Sie seien damals natürlich Kontrahenten gewesen, sagt Böhmer. „Als Menschen sind wir uns aber immer fair und sachlich begegnet.“ Er hat Höppner zuletzt noch Blumen ins Krankenhaus geschickt, Höppner schrieb einen Brief zurück.

Welche Niederlagen Höppner in seiner politischen Karriere widerfuhren, lesen Sie auf Seite 3.

Kein Patentrezept für Glück

Nach der Wahl 2002 hat sich Höppner nicht verbittert zurückgezogen, in der Kirche hat er sich immer engagiert. Noch 2007, ein Jahr zuvor hat er sich wegen einer Krebserkrankung operieren lassen müssen, hat er sich zum Präsidenten des evangelischen Kirchentages in Köln wählen lassen.

Letztlich hatte Höppner die wie zementiert hohe Arbeitslosigkeit das Amt gekostet. Er hat das auf seine Art verarbeitet und 2005 das Buch „Arbeit aus, alles aus?“ über „Politik am Ende der Arbeitsgesellschaft“ geschrieben. Ein kluges Buch, eine sachliche Annäherung - aber auch ohne Patentrezept. Höppner schreibt darin, wie er als Ministerpräsident von einem Bürger angesprochen wurde: „Herr Höppner, Sie müssen machen, dass die Menschen glücklicher sind!“ Dem habe er entgegnet, dafür seien Politiker nicht zuständig: „Wir können doch keine Gesetze zur Einführung von Glück verabschieden.“ Politiker könnten allenfalls die Chancen zur Gestaltung eines glücklicheren Lebens verbessern. Höppner hat in seinem Politikerleben die höchsten Höhen und die tiefsten Tiefen erlebt - und er kannte seine Grenzen. In der Nacht zum Montag ist er an den Folgen einer Krebserkrankung gestorben.

Stabwechsel in der Staatskanzlei im Jahr 2002: Nach der Wahlniederlage der SPD wurde Wolfgang Böhmer neuer Ministerpräsident
Stabwechsel in der Staatskanzlei im Jahr 2002: Nach der Wahlniederlage der SPD wurde Wolfgang Böhmer neuer Ministerpräsident
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