Tod im Feuer Tod im Feuer: Bahnkatastrophe bei Magdeburg jährt sich zum 40. Mal

Magdeburg/dpa. - Die Fenster der Bahnhofshalle sindmit Spanplatten vernagelt. Schwalben haben sich unter demvorstehenden Dach des schmucklosen Flachbaus ein Domizil gebaut, nurselten werden sie vom Quietschen bremsender Züge gestört. Nichtserinnert am Bahnhof des kleinen Ortes Langenweddingen bei Magdeburgdaran, dass sich hier am 6. Juli vor 40 Jahren eine der schlimmstenKatastrophen der deutschen Eisenbahngeschichte ereignete. 94 Menschen starben in einem Feuerinferno, nachdem am nahen Bahnübergang einPersonenzug gegen einen Tanklaster prallte.
Eigentlich sollte jener 6. Juli 1967 ein herrlicher Tag werden:Die Sonne strahlt am blauen Himmel, im Land herrscht Ferienstimmung.Gegen 8.00 Uhr macht sich der Personenzug P 852 vom MagdeburgerHauptbahnhof auf den Weg in den Harz, die Doppelstockwagen sind mitrund 500 Reisenden voll besetzt, hunderte lärmender Kinder freuensich aufs Ferienlager. Mit relativ hoher Geschwindigkeit braust derZug auf den Bahnhof Langenweddingen zu, ein Halt ist hier nichtgeplant. Zur gleichen Zeit steht ein Tanklaster am Bahnübergangdirekt neben dem Bahnhof. Eine der vier Halbschranken lässt sichnicht richtig schließen, und so nimmt die Katastrophe ihren Lauf.
Die Schranke, so rekonstruieren es die Ermittler später, verfängtsich in einem Postkabel, das schon länger quer über dem Bahnüberganghängt und sich wegen der Hitze verformt hat. Als der Schrankenwärterdie Schranken nochmals hochzieht, um das Kabel zu lösen, setzt derLasterfahrer seinen Tankwagen in dem Glauben in Bewegung, derÜbergang sei freigegeben. Die Diesellok des Zuges, der trotz derProbleme am Übergang kein Stopp-Signal erhält, kracht in den Laster.15 000 Liter Leichtbenzin entzünden sich und verwandeln mehrereWaggons und angrenzende Gebäude in ein Feuermeer. Der Zug kommt imBahnhof zum Stehen, aus den brennenden Waggons dringt dasverzweifelte Schreien der Menschen, von denen sich viele nicht insFreie retten können. Auch der Lasterfahrer stirbt.
«Ich hörte ein seltsames Krachen und sah dann die Flammen»,erinnert sich Hans Schmidt (87), damals Bahnhofsangestellter. «Ichrannte zu einem Auto, das am Übergang stand, der Fahrer und ichrasten in den Ort zur Gemeindeschwester und zur Feuerwehr, um Alarmzu schlagen, Telefone hatten damals ja nur wenige.» Eine beispielloseRettungsaktion läuft an. Hunderte Feuerwehrleute aus der Region,Notärzte, NVA-Soldaten und Polizisten versuchen, Opfer zu bergen,Menschenleben zu retten und der entfesselten Flammen Herr zu werden.
«Es war das schlimmste, was ich je gesehen habe», sagt Hans-GeorgGerlach, damals 19 Jahre jung und Mitglied der Freiwilligen FeuerwehrLangenweddingen. «Wir kamen zunächst nicht richtig an den Zug heran,das waren 1000 Grad, eine Art Hitzewand», schildert er den Einsatz.«Brennende Menschen kamen uns entgegen.» Andere irrten mit verkohlterKleidung orientierungslos durch die Gegend, ehe sich Helfer um siekümmern konnten. «Zeit zum Überlegen hatten wir nicht.»
Auch Harald Schmidt (75), damals stellvertretender Feuerwehrchefder Region, wird den Einsatz vor 40 Jahren nicht vergessen. «Dasgrößte Übel waren die vielen toten Kinder», sagt er. «Für mich, derich selbst drei Kinder habe, war das damals ein furchtbares Drama».44 der 94 Todesopfer sind Schüler, auch unter den rund 50 Verletztenbefinden sich viele Kinder, die durch Verbrennungen für den Restihres Lebens entstellt sind. Der Schrankenwärter und der damaligeBahnhofsvorsteher werden später zu Haftstrafen von je fünf Jahrenverurteilt. Einer der beiden nimmt sich nach der vorzeitigenHaftentlassung das Leben.
Diese schlimmste Bahnkatastrophe in der DDR ist von ihrerDimension her mit dem ICE-Unglück im niedersächsischen Eschede 1998mit 101 Toten zu vergleichen. Heute ist bei vielen Menschen dieErinnerung an das Unglück verblasst. «Ich bekomme am 6. Juli immernoch eine Gänsehaut», sagt Feuerwehrmann Gerlach. «Aber dieKatastrophe ist nicht mehr jeden Tag präsent.»