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Thüringen Thüringen: Prozess nach Mord an Erstklässlerin Mary-Jane

Von Theresa Münch 15.12.2011, 07:52
Kerzen stehen auf dem Parkplatz eines Supermarktes vor einem Bild der getöteten siebenjährigen Mary-Jane Blümel aus Zella-Mehlis. (FOTO: ARCHIV/DPA)
Kerzen stehen auf dem Parkplatz eines Supermarktes vor einem Bild der getöteten siebenjährigen Mary-Jane Blümel aus Zella-Mehlis. (FOTO: ARCHIV/DPA) dpa-Zentralbild

Zella-Mehlis/dpa. - Wenige Tage später wäre Mary-Jane acht Jahrealt geworden, sie hätte ihr erstes Schulzeugnis bekommen, hatte sichso auf die Sommerferien gefreut. Doch das zutrauliche Mädchen aus demsüdthüringischen Zella-Mehlis musste qualvoll sterben - sexuellmissbraucht, gewürgt, ertrunken in einem Bachlauf. Ihr mutmaßlicherMörder lebte in der Nachbarschaft. Während er sich an dem zierlichen,dunkelhaarigen Mädchen verging, bangte knapp 100 Meter entfernt dieMutter um das Leben ihrer «Maja». An diesem Freitag beginnt inMeiningen der Prozess gegen den 37-jährigen Tino L., der Mary-JanesHeimatstadt für Wochen in einen Schockzustand versetzt hatte.

Nur rund zehn Seiten umfasst die Anklageschrift, die dem gelerntenMetzger heimtückischen Mord und schweren sexuellen Missbrauchvorwirft. Der 37-Jährige soll die Erstklässlerin am 24. Juni auf demHeimweg vom Schulhort in seine Wohnung gelockt und missbraucht haben.Am nächsten Tag soll er «das nichtsahnende Mädchen aus Angst vor derEntdeckung des sexuellen Missbrauchs» in einem Wald getötet haben.

Dort, in der Nähe eines Trimm-Dich-Pfades, soll er Mary-Jane imMorgengrauen mit einem Bademantel-Gürtel bis zur Bewusstlosigkeitgewürgt haben. Laut Anklage legte er sie mit dem Gesicht nach untenin einen eiskalten Bachlauf. Die Siebenjährige ertrank. Wo Wandereram Morgen darauf ihre Leiche fanden, stehen jetzt ein schlichtesweißes Holzkreuz, ein Foto, eine Kerze.

50 Ermittler, 1000 Hinweise, 700 Spuren, Speichelproben, Fahndungim Fernsehen - zwei Wochen lang suchte die Polizei fieberhaft nachMary-Janes kaltblütigem Mörder. Das letzte Lebenszeichen derGrundschülerin auf einem Überwachungsvideo in der Nähe einesSupermarktes führte zu einem ersten Phantombild eines Mannes mitBasecap. Spur 130 schließlich überführte Tino L.: Zeugenaussagen, einfalsches Alibi und eine freiwillig abgegebene Speichelprobe, derenDNA mit Spuren an dem toten Kind übereinstimmte.

Tino L. scheint der Prototyp eines Kinderschänders: unverdächtig,angepasstes Leben. Vorbestraft zwar, aber wegen kleinerer Verkehrs-und Drogendelikte. Niedriger Intelligenzquotient. Psychiaterbescheinigen ihm nach Medienberichten eine «sekundäre pädophileStörung», eine unterschwellige Veranlagung, die er selbst womöglichlange nicht gespürt hat.

Zeugen jedoch haben gesehen, wie er von seinem Balkon aus immerwieder heimlich spielende Kinder beobachtete - er sei ein Sonderlinggewesen, erzählen sie. Das Risiko scheint hoch, dass Tino L. nachVerbüßen seiner Strafe weitere Kinder missbrauchen könnte. Möglichist daher, dass die Richter bei der Verurteilung eine besondereSchwere der Schuld feststellen. Dann wäre zumindest eine vorzeitigeEntlassung aus dem Gefängnis nach 15 Jahren unmöglich.

Die Beweislast scheint erdrückend. Die aufwendigen Ermittlungenhätten eine Reihe «objektiver Beweismittel» zutage gefördert, die dasGeständnis des Mannes bestätigten, erklärt die Staatsanwaltschaft. ImProzess sollen vier Sachverständige und fünf Zeugen gehört werden.Auch Mary-Janes Mutter tritt in den Zeugenstand und damit demPeiniger ihrer Tochter gegenüber. Ihr Anwalt will sich nicht zu denErwartungen seiner als Nebenklägerin auftretenden Mandantin äußern.Fest steht: Auf die Familie dürften viele grausame Wahrheitenzukommen, bevor sie selbst zur Ruhe kommen kann.

Auch in der Kleinstadt Zella-Mehlis ist das furchtbare Verbrechennoch lange nicht vergessen. «Viele Eltern begleiten ihre Kinderseitdem auf dem Schulweg», sagt Bürgermeister Karl-Uwe Panse. Obwohlja sicher sei, dass es sich um eine Einzeltat gehandelt habe, fühltensich viele unsicher. «Wir erwarten vom Gericht, dass es den Mörderentsprechend zur Rechenschaft zieht.» Psychiatrie oder «für langeZeit hinter Gitter» könne er sich vorstellen. Nach Zella-Mehlis solleTino L. jedenfalls lieber nicht zurückkehren, fügt Panse hinzu.«Jeder hier kennt sein Gesicht.»