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Terroranschlag in Instanbul Terroranschlag in Instanbul: Blutbad am Bosporus

Von Gerd Höhler 12.01.2016, 21:22
Polizei und Rettungsdienst versorgen unmittelbar nach dem Anschlag in Istanbul die Verletzten.
Polizei und Rettungsdienst versorgen unmittelbar nach dem Anschlag in Istanbul die Verletzten. dpa Lizenz

Ankara - Ein sonniger Wintermorgen auf dem Sultanahmet-Platz in der Istanbuler Altstadt, einer der schönsten Orte in der Bosporusmetropole. Das Thermometer zeigt milde 15 Grad. Hunderte Touristen spazieren an diesem Vormittag über den Platz, darunter viele Deutsche. Dann verwandelt um 10.18 Uhr eine Explosion die friedliche Szenerie im Bruchteil einer Sekunde ins Chaos.

Die Detonation ist sogar jenseits des Goldenen Horns im Stadtteil Beyoglu zu hören. Menschen laufen schreiend durcheinander oder torkeln benommen umher. Tote und Verletzte liegen auf dem Platz – die meisten von ihnen sind Deutsche, wie sich später herausstellen wird. Nach wenigen Minuten treffen Polizei und Rettungskräfte ein, riegeln die Umgebung des Platzes ab. Die Spurensicherung geht an die Arbeit. Schnell wird die Vermutung zur Gewissheit: Es handelte sich um einen Selbstmordanschlag. Der Täter riss zehn Menschen in den Tod. Darunter sind acht Deutsche, wie türkische Regierungskreise später bestätigen. 15?Passanten wurden verletzt, zwei lebensgefährlich.

Aufnahmen zeigen gewaltigen Feuerball

Der Attentäter sprengte sich in unmittelbarer Nähe des ägyptischen Obelisken in die Luft, einer beliebten Touristenattraktion. Aufnahmen vom Augenblick der Explosion zeigen einen gewaltigen Feuerball, der neben der 20 Meter hohen Granitsäule aufsteigt. Der Platz wird tagsüber von zahlreichen Touristen bevölkert, die die nahe gelegenen Wahrzeichen wie die Blaue Moschee, die Hagia Sofia und das Hippodrom besuchen. Zum Zeitpunkt des Attentats herrschte hier reger Betrieb, auch wegen des guten Wetters.

Wenige Stunden nach dem Anschlag ließ sich der türkische Ministerpräsident Ahmet Davutoglu mit dem Kanzleramt in Berlin verbinden. Telefonisch bestätigte er Bundeskanzlerin Angela Merkel: Die meisten Todesopfer sind deutscher Staatsangehörigkeit. Davutoglu sprach der Kanzlerin sein Beileid aus und versprach, bei der Aufklärung des Attentats eine enge Zusammenarbeit der türkischen mit den deutschen Behörden.

Wollten Täter Rache nehmen?

Nach einem Bericht der Zeitung „Cumhuriyet“, die sich auf einen Augenzeugen beruft, sprengte sich der Täter inmitten einer deutschen Reisegruppe in die Luft – vielleicht gezielt, um Rache zu nehmen für den Einsatz deutscher Tornado-Aufklärungsflugzeuge, die von der türkischen Luftwaffenbasis Incirlik aus ihre Einsätze gegen den IS fliegen? Das Auswärtige Amt reagierte sofort auf den Anschlag und empfahl deutschen Urlaubern dringend, alle Menschenansammlungen in Istanbul zu meiden.

Während die Opfer geborgen wurden und die Polizei den Tatort untersuchte, verhängte die Regierung eine Nachrichtensperre. In Ankara rief Premierminister Davutoglu den Innenminister, den Außenminister, den Geheimdienstchef und weitere Spitzenbeamte der Sicherheitskräfte zu einer Krisensitzung zusammen. Schnell gab es erste Erkenntnisse über den mutmaßlichen Täter: Vizepremier Numan Kurtulmus teilte mit, man habe den Attentäter als einen 1988 geborenen Syrer identifiziert.

Nur wenig später bestätigte Ministerpräsident Davutoglu, der Attentäter sei Mitglied der Terrormiliz Islamischer Staat (IS) gewesen.

Im Treibsand des Syrien-Konflikts

Dass offenbar der IS hinter dem Anschlag auf dem Sultanahmet-Platz steckt, zeigt erneut, wie tief die Türkei bereits im Treibsand des Syrien-Konflikts steckt. Die Dschihad-Terroristen haben in den vergangenen Jahren offenbar in der Türkei ein dichtes Netzwerk aufgebaut - nicht nur, um neue Kämpfer anzuwerben, sondern auch um hier Anschläge vorzubereiten. Die türkische Polizei hatte erst am Sonntag in Istanbul und Adana 33?mutmaßliche IS-Mitglieder festgenommen. Ende Dezember war es den türkischen Sicherheitskräften nach eigenen Angaben gelungen, geplante Anschläge in Ankara und mehreren EU-Städten zu verhindern. Auch der Tipp, der offenbar einen zum Jahreswechsel geplanten Anschlag auf einen Münchner Bahnhof vereitelte, kam von türkischen Sicherheitsdiensten.

Die Türkei wird seit dem vergangenen Jahr von einer Terrorwelle überrollt. Im Juli starben bei einem Selbstmordattentat in der Stadt Suruc nahe der syrischen Grenze mehr als 30 Menschen. Die Sicherheitsbehörden machen den IS für das Blutbad verantwortlich. Im Oktober rissen zwei Selbstmordattentäter, die ebenfalls dem IS zugeordnet werden, vor dem Bahnhof in Ankara über 100 Menschen in den Tod, als sie sich inmitten einer Friedenskundgebung in die Luft sprengten.

Is ist nicht die einzige Bedrohung

Der IS ist aber nicht die einzige Bedrohung. Am 23. Dezember wurde bei einem Mörserangriff auf dem Istanbuler Flughafen Sabiha Gökcen eine Arbeiterin getötet. Zu dem Attentat bekannte sich die Terrorgruppe Freiheitsfalken Kurdistans (TAK), eine militante Abspaltung der als Terrororganisation verbotenen kurdischen Arbeiterpartei PKK. In einem Bekennerschreiben drohte die Organisation weitere Attentate gegen Fluggesellschaften und ausländische Touristen an. Die TAK hatte bereits in den 2000er Jahren tödliche Anschläge in Tourismuszentren verübt, so in Kusadasi, Manavgat, Marmaris und Antalya.

Seit dem vergangenen Sommer ist der Kurdenkonflikt wieder aufgeflammt. Sicherheitsexperten fürchten, die PKK werde versuchen, ihren Kampf in den Westen des Landes zu tragen. Bereits in den 1990er Jahren, auf dem damaligen Höhepunkt des Kurdenkonflikts, verübte die PKK in westtürkischen Städten mehrere Anschläge. In den 2000er gab es weitere Attentate, so Brandanschläge auf Nahverkehrsbusse in Istanbul mit mehreren Toten. (mz)