Stolpersteine in Halle Stolpersteine in Halle: Mira stolpert

Halle/MZ - Mira geht mit ihren Eltern in Halle spazieren und stolpert über einen Stein. Es entspinnt sich ein Gespräch zwischen dem Mädchen und dem Denkmal, das an den jüdischen Unternehmer Julius Schwab erinnert. So beginnt der Animationsfilm „Wozu ein Stein?“. Gedreht haben ihn Studenten der Halleschen Europäischen Journalistenschule für Multimediale Autorschaft (Halesma) im Masterstudiengang Onlinejournalismus. Im November vergangenen Jahres erhielten sie die Aufgabe, einen Dokumentarfilm zum Thema Stolpersteine in Halle (siehe auch Infokasten „Am letzten Wohnort“) zu drehen.
„Wir wollen die Stolpersteine Kindern nahebringen“, sagt Claudia Brüggemann. Gemeinsam mit ihrer Kommilitonin Anne Pannecke hat sie deshalb die Figur Mira erschaffen. Für die Zielgruppe Kinder bieten sich Animationsfilme an. Und so recherchierten die beiden Studentinnen zu verschiedenen Animationstechniken. Schließlich stießen sie auf „Miniaturenfilme“. Am Medienkompetenzzentrum der Uni Halle belegten sie extra einen Kurs, um sich das notwendige Know-how anzueignen.
Die Stolpersteine sind ein Projekt des Künstlers Gunter Demnig. Mittels in den Bürgersteig eingelassenen Gedenktafeln wird Opfern des NS-Regimes gedacht. Angebracht werden sie am jeweils letzten selbst gewählten Wohnort der Betreffenden. Auf den Tafeln steht: Hier wohnte, der Name des Menschen, sein Geburtsjahr, der Tag der Deportation oder Verhaftung und das Todesdatum.
Bei der Arbeit an dem Animationsfilm - vom Drehbuch über das Storyboard, das Anfertigen von Figuren und Kulisse bis hin zum Dreh - haben Brüggemann und Pannecke die Stunden nicht mehr gezählt. So sei das eben, wenn man mit Leidenschaft bei der Sache ist. Sensibel und doch klar in der Sache konfrontieren die beiden Studentinnen die Zuschauer mit dem Thema Judenverfolgung durch die Nationalsozialisten. Das Schicksal der Familie Schwab eigne sich für Kinder, weil sich junge Zuschauer mit den Zwillingssöhnen des halleschen Viehhändlers Schwab identifizieren können, erklärt Brüggemann.
Am Ende des Films erklärt der Stolperstein dem Mädchen Mira, dass Julius Schwab 1942 von den Nationalsozialisten ermordet wurde. Seine Frau und seine beiden Söhne aber überlebten. „Es ist wichtig, in einem Film für Kinder am Ende einen Hoffnungsschimmer zu lassen“, sagt Sebastian Pfau, Dozent am Department für Medien und Kommunikation der Universität Halle und Projektleiter. Unter anderem deshalb sei die Geschichte der Familie Schwab ausgewählt worden. Für die Recherche konnten die Studentinnen sogar mit einem seiner Söhne sprechen, mit Max Schwab, emeritierter Professor für Geologie an der Universität Halle, der bis heute an der Saale lebt.
Das Projekt „Stolpersteine - Filme gegen das Vergessen“ hat mit den fünf neuen Filmen aus dem vergangenen Wintersemester seine dritte Auflage erlebt. Das Thema stoße bei den Studenten nicht immer gleich auf große Begeisterung, berichtet Pfau. Schließlich sind die Lebensgeschichten der Opfer der Nationalsozialisten, an welche die Stolpersteine erinnern, ein sehr ernstes und trauriges Thema. Die Ergebnisse der Studentenprojekte geben Pfau aber immer wieder recht: Es seien sehr gut recherchierte Werke. Besonders gut hat dem Dozenten in diesem Jahr auch die Arbeit von Bianca Dittrich, Sindy Peukert und Anja Willanzheimer gefallen. Der Dokumentarfilm zeichnet die Lebensgeschichte des halleschen Rechtsanwalts Adolf Goldberg nach. Ein großer Verdienst des laut Pfau sehr aufwendig recherchierten und gut aufgebauten Films sei es, das Thema Tötungsanstalt Bernburg bekannter zu machen. Hier wurden in den Jahren 1940 bis 1943 tausende Kranke, Behinderte und KZ-Häftlinge ermordet. „Wir hatten von der damaligen Tötungsanstalt, die nicht weit weg von Halle war, zuvor nichts gehört. Deshalb haben wir uns entschieden, die Biografie von Adolf Goldberg zu recherchieren, der 1942 in Bernburg umgebracht wurde“, sagt Bianca Dittrich. Ihre Kommilitoninnen und sie recherchierten zunächst in Halle: Beim Verein Zeitgeschichte(n), der eine Broschüre über die Menschen herausgegeben hat, an die mittels Stolpersteinen erinnert wird. Es schlossen sich Recherchen in der Gedenkstätte Buchenwald an, wo Goldberg als KZ-Häftling gefangen gehalten wurde, in Weimar und in der Bernburger Gedenkstätte für die Opfer der NS-„Euthanasie“.
Adolf Goldberg war ein jüdischer Rechtsanwalt, der ab 1939 der einzige noch zugelassene Rechtsberater jüdischer Mitbürger in Halle und Umgebung war. 1941 entzog man aber auch ihm die Zulassung. Im Dezember desselben Jahres wurde Goldberg deportiert. „In Buchenwald musste Goldberg in einer Strafkolonie arbeiten“, erklärt Dittrich. Nicht mal ein halbes Jahr später wurde er in Bernburg ermordet. Dittrich, Peukert und Willanzheimer haben dieses Schicksal sorgfältig recherchiert und sensibel erzählt.
Die Konzepte für die Filme wurden gemeinsam in den Seminaren diskutiert und weiterentwickelt. Es gehe nicht darum, aus den Studenten Filmemacher zu machen, erklärt Pfau. Es gehe darum , dass die Studenten bei der Arbeit an den Projekten verstehen, wie Filme dramaturgisch funktionieren und was man als Redakteur filmisch wie umsetzen kann. Premiere haben die Filme am 9. November - zum Jahrestag der Reichspogromnacht. Dann werden die Studenten ihre Werke auch mitwirkenden Zeitzeugen und Interviewpartnern präsentieren.