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Staatssicherheit Staatssicherheit: Das sichtbare Visier

Von STEFFEN KÖNAU 25.03.2011, 20:49

Halle (Saale)/MZ. - Es wird nicht geschossen in diesem Agententhriller. Niemand wird entführt, keiner gefoltert oder vergiftet. Horst Joachimi lebt, er trinkt noch einen Schluck Kaffee. Christl, seit 45 Jahren privat und dienstlich die Frau an seiner Seite, holt Kuchen nach. Still und freundlich ist sie, also eigentlich genau wie sie damals war. Eine DDR-Spionin in der Metropole des Klassenfeindes, der niemand zugetraut hätte, dass sie chiffrieren und mikrofilmen mindestens ebenso gut kann wie Kuchen backen.

"Meine Frau", sagt Horst Joachimi stolz, "hat das immer alles mit großer Selbstverständlichkeit bewältigt." Joachimi, ein 82-Jähriger mit hellwachen Augen, schaut aus lichter Höhe auf seine Angetraute hinunter. Fünf ihrer gemeinsamen Jahre haben die beiden in New York verbracht. Getarnt als Diplomat leitete Horst Joachimi die sogenannte Residentur des Ministeriums für Staatssicherheit. Christl Joachimi begleitete ihn als Funkerin. Er hatte den Auftrag, legal getarnt ein illegales Informantennetz aufzubauen. Sie verschlüsselte im Keller des Hauses der DDR-Vertretung bei der Uno geheime Papiere.

Verstecken mögen sich beide nicht für den Job, den sie aus Überzeugung taten. "Ich kam aus der Arbeiterbewegung", beschreibt Joachimi. Vater Arbeiter, Familie arm, aber antifaschistisch. Als Hitler weg und der Krieg zu Ende ist, will Joachimi ein besseres Deutschland mit aufbauen. "Ich war Kommunist, noch ehe ich richtig wusste, was das ist." Die Partei hilft da gern. Der junge Genosse besucht Lehrgänge und Schulungen. "Ich habe gleichzeitig gelernt und agitiert", erinnert er sich. Die Delegierung zum Studium nach Moskau kommt ihm gerade recht. "Danach hätte ich Funktionär werden sollen." Doch kurz vor dem Diplom steht ein Herr aus Berlin in der Tür. Er stellt sich als Mann vom MfS vor, Hauptverwaltung Aufklärung. Ob Joachimi, vorgesehen für einen SED-Posten in Jena, nicht lieber zum MfS kommen wolle? Dort werde eine USA-Abteilung aufgebaut.

Lange überlegt hat der gebürtige Nordhausener nicht. "Für mich war die Staatssicherheit ein legitimes Instrument zur Verteidigung der Macht der Arbeiterklasse", sagt Horst Joachimi in einem Satz wie aus einer SED-Broschüre. Er ist bis heute sicher, bei einem "ganz normalen Geheimdienst" gearbeitet zu haben. "Nur besser als die meisten anderen waren wir." Wie hoch der Preis dafür gewesen ist, lässt der schnell abgewandte Blick von Christl Joachimi ahnen. Mitte der 70er wird das Paar mit Sprachunterricht, Technikschulungen und Chiffriertraining auf einen USA-Einsatz vorbereitet. Offiziell löst Horst Joachimi einen Attaché an der Uno-Vertretung der DDR ab. Inoffiziell wird er Chef der geheimen Stasi-Operationen in den USA.

"Die DDR-Führung wollte wissen, was in den USA wirklich gedacht wird", sagt er. Hatte man bis zur Anerkennung durch die Führungsmacht der westlichen Welt versucht, so genannte fortschrittlich gesinnte US-Bürger bei DDR-Besuchen abzuschöpfen, sieht der Plan nun vor, ein illegales Netz im Operationsgebiet aufzubauen. Es geht um Informationen aus erster Hand. "Das, was wir von den sowjetischen Freunden bekamen, war ja immer durch deren Blick gefiltert."

Kein Aufwand ist zu hoch, die Mission zu tarnen. Als die Joachimis ihren Dienst antreten, starten sie von Berlin Richtung Warschau. Angeblich, um in Zukunft in der UdSSR zu arbeiten. So bekommt es auch Töchterchen Silvia gesagt, das in einer Pflegefamilie zurückbleibt. "Wir glaubten, dass es das wert ist", sagt Christl Joachimi.

Sie haben sich geirrt. Auch Amerika ist nicht so, wie Horst Joachimi das erwartet hat. Es sind die Tage in der DDR, als Kommunisten wie er noch an einen nahen Sieg des Sozialismus über den absterbenden Kapitalismus glauben. "Aber wenn man dann dort steht, sieht man ein vitales Land, dynamisch und vor Kraft strotzend", erinnert er sich heute. Leise Zweifel sind damals in ihm aufgekommen, Zweifel, über die er nicht einmal mit seiner Frau spricht. "Ich wollte sie nicht belasten", sagt er. Trotz aller inneren Kämpfe sei es ja darum gegangen, die Aufgabe zu erfüllen. So sehr, dass Christl Joachimi sogar eine Abtreibung vornehmen lässt, um mit der Schwangerschaft nicht die Mission zu gefährden.

Die hat weniger mit Schleichen, Schießen und Erpressen zu tun als mit Smalltalk bei Empfängen, Gesprächen mit "fortschrittlichen US-Bürgern" und Selbstbeherrschung, wenn die Gegenseite immer wieder demonstrativ in die Wohnung einbricht, "nur um uns zu zeigen, dass sie das können". Manchmal muss ein toter Briefkasten geleert, dann wieder ein Informant außer Landes gebracht werden. Doch Joachimi ist kein Bond und sein Job eigentlich einer für zwei. Da der Uno-Agent offiziell ja Attaché mit Spezialgebiet Naher Osten ist, muss er diese Aufgabe nebenbei auch ausfüllen.

Fünf Jahre geht das gut. Fünf Jahre, in denen Joachimi aus New York meldet, dass weder US-Politiker noch Wirtschaftsleute den Eindruck erwecken, den kalten Krieg bei nächster Gelegenheit zu einem heißen machen zu wollen. "Denen ging es ums Geldverdienen", sagt er, "aber das stimmte nicht mit dem Bild von Kriegstreibern überein, das zu Hause gezeichnet wurde." Ein Zuhause, das den beiden Spionen fremd wird; das bei jedem Urlaubsbesuch mehr zu schrumpfen scheint. Sie sprechen nicht darüber, kein Wort. Doch sie sehen die Stagnation, spüren die Lähmung. "Anfang der 80er war mir klar, dass es nicht darum ging, den Wettlauf der Systeme zu gewinnen, sondern darum, wann wir verlieren."

Bis heute sagt Horst Joachimi "wir". Bis heute spricht er von der DDR als seinem Land. Es war nicht alles schlecht, davon ist er überzeugt. Weil sonst alles vergebens gewesen wäre. Christl nickt. Die USA haben beide damals schließlich verlassen müssen, weil der legendäre HVA-Chef Markus Wolf seinen New Yorker Statthalter dekonspiriert. "Mein Mann" nennt er ihn in einer Kur-Plauderei mit einem DDR-Uno-Beamten. Momente, in denen das Agentenleben nach Hollywood-Kolportage riecht. Der Beamte weiß nun zu viel. Und vor allem hat er, nachdem ein bekannter DDR-Filmstar ihm die Frau ausgespannt hat, zu viele Mädchen bei zu vielen Partys in seinem Haus zu Gast. "Die CIA war an ihm dran", sagt Joachimi. Der Mann muss über Nacht zurück nach Hause.

Dabei sind die Joachimis längst verraten, sie wissen es nur noch nicht. Irrtümlich hat das DDR-Außenamt ihrer Tochter mitgeteilt, dass ihre Eltern gar nicht in der Sowjetunion, sondern in den USA sind. Die 16-Jährige ist verbittert, sie fühlt sich belogen. Ein Bruch, von dem sich die Familie auch nicht mehr erholt, als ein Überläufer das MfS zwingt, das Agentenpaar aus New York zurückzubeordern. "Sie hat uns das nie verziehen", sagt Christl Joachimi.

Eltern und Tochter sind entfremdet. Auch die DDR ist nicht mehr, was sie war. Den Rückkehrern scheint das Land klein und von Bürokraten beherrscht. Die kurze Leine, an der sie jetzt laufen, reibt am Hals. "Viele im Ministerium", beschreibt Horst Joachimi, "haben damals nur noch gehofft, dass Leute wie Markus Wolf kommen und eine Erneuerung herbeiführen."

Doch der Held der HVA zieht sich ins Privatleben zurück. Horst Joachimi steht am offenen Grab seiner Republik, enttäuscht und unfähig, ihren Untergang aufzuhalten. "Hätte ich Christl nicht gehabt, hätte ich es nicht ausgehalten." Im Sommer 1989 geht Tochter Silvia dann auch noch illegal über Ungarn in den Westen. Und im Herbst hört der einstige Stasi-Spitzenmann seine Gartennachbarn das Deutschlandlied singen. "Beide waren Genossen, Kombinatsdirektoren", sagt Joachimi, "beide hatten vorher nie DDR-Kritik geäußert."

Alles zerbricht, alles zerfällt, nichts ist mehr zu verstehen. Als auch noch Silvia stirbt, viel zu jung und ohne sich mit den Eltern versöhnt zu haben, laufen die Joachimis fort vor dem, was aus ihnen, ihrer DDR und der großen Mission geworden ist. Sie verkaufen den Garten an der Spree, der die Datsche der DDR-Uno-Vertretung am Long Island Sound ersetzen sollte. Sie ziehen nach Niedersachsen. Sie finden Freunde, für die sie die netten Bonds von nebenan sind. Sie lachen viel und sind nicht glücklich. Sie grübeln. Sie gehen zurück nach Berlin. Dort wohnen sie in einem Stadtteil, der früher Westen war.