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Sondermülldeponie Sondermülldeponie: Geheimnisvolles Giftgrab unterm Kalimandscharo in der Börde

Von Christoph Richter 17.04.2019, 12:00
In der Untertage-Deponie in Zielitz (Börde) werden schon seit Jahren Fässer mit Sonderabfällen eingelagert.
In der Untertage-Deponie in Zielitz (Börde) werden schon seit Jahren Fässer mit Sonderabfällen eingelagert. DPA

Halle (Saale) - Industrieaschen, Filterstäube, Schlacken, Asbestreste, PCB - also hochgiftige Chlorverbindungen - sowie cyanid-, quecksilber-, phosphor-, und arsenhaltige Abfälle: All das ist nur ein kleiner Ausschnitt der Palette des hochtoxischen Sondermülls, der in Zielitz (Börde) 500 Meter unter der Erdoberfläche lagert. Seit 1994 wird die Untertagedeponie betrieben, in der vor allem DDR-Altlasten liegen.

Geologe nennt Praxis von K+S Vertuschung und Verheimlichung

Inhaber ist die Firma K+S, einer der weltweit größten Kaliproduzenten. Über die genauen Mengen toxischen Sondermülls gibt der Konzern auf Anfrage zunächst keine Antwort. Harsche Kritik an K+S kommt derweil vom Geologen Ralf Krupp, einem Experten in Sachen Salzbergwerke. Er nennt die Praxis von K+S Vertuschung und Verheimlichung.

„Es ist für die Öffentlichkeit nicht nachvollziehbar, welche Schadstoffe, in welchen Mengen eingelagert worden sind. Und es wird auch ein Geheimnis daraus gemacht, wie groß die Ausdehnung der Untertagedeponie ist“, kritisiert Krupp, der der unter anderem für den Naturschutzbund BUND in Niedersachsen tätig ist. „Man will sich nicht in die Karten schauen lassen und verhindern, dass sich Menschen gegebenenfalls zur Wehr setzen gegen diese Geschäftspraktiken.“

Untertagedeponie Zielitz: Lieferungen auch aus Israel

Letztlich reagiert K+S doch und nennt einige Zahlen. Die jährliche Einlagerungskapazität liegt demnach bei 90.000 Tonnen Giftmüll, bei einer Auslastung der Deponie von derzeit 70 Prozent. K+S, so heißt es im Geschäftsbericht, macht mit den Giftstoffen einen Umsatz von 89,1 Millionen Euro jährlich. Die Entsorgung von Sondermüll ist ein einträgliches Geschäft. Das Wirtschaftsministerium in Magdeburg teilt per Mail mit, dass in Zielitz Giftmüll aus ganz Europa, aber auch aus Israel eingelagert wird.

Eine Anfrage zur Befahrung der Sondermülldeponie lehnt K+S ab. Ansonsten heißt es nur: Alles sicher. Nicht nur heute, sondern auch die nächsten 10.000 Jahre, wie man im Planfeststellungsbescheid nachlesen kann. Geologe Krupp hält solche Angaben für völlig unseriös. „Solche Zeitspannen vorherzusagen ist etwas gewagt. Es sind eben Bergwerke, die aus anderen Gründen angelegt worden sind“, sagt der Experte. „Die hatte man gehabt und will jetzt Geld damit verdienen, dass man die entstandenen Hohlräume mit Abfällen versetzt, weil das ein lukratives Geschäft für die Bergbauunternehmen ist.“ Bergbauexperten rechnen mit Gebühreneinnahmen von bis zu 500 Euro pro Kubikmeter und Renditen bis zu 100 Euro pro Kubikmeter.

Experte: Probleme von Kalibergwerken sind Versalzung und Erdabsenkungen

Das große Problem von Kalibergwerken seien einerseits die Versalzung des Bodens, andererseits Erdabsenkungen, erklärt Krupp. Es bestehe die Gefahr, dass die Erde urplötzlich einbrechen und der hochtoxische Giftmüll anschließend ins Grundwasser gelangt. Und Krupp zählt einige Bergwerke auf, die als sicher eingestuft wurden, dann aber plötzlich doch verloren gingen. Ende der 1980er Jahre beispielsweise kollabierte die Lake Potash Mine in Kanada, 1994 die Retsolf Salt Mine in den USA. 2007 gab es im russischen Salzbergwerk Beresniki einen Wassereinbruch, von dem es vorher hieß: Alles trocken, alles sicher.

Wenn so etwas in der Untertage-Giftmüll-Deponie in Zielitz passieren würde, wäre das ein Super-Gau, ein Inferno für ganz Norddeutschland. Geologe Krupp spricht von einer tickenden Zeitbombe. „Wenn es zu einer bruchhaften Verformung unter Tage kommt, beispielsweise, wenn ein Pfeiler wegbricht und die benachbarten Pfeiler in einem Domino-Effekt auch zu Bruch gehen, dann kann das sehr schnell gehen. Und dann hat man ein Szenario, das ziemlich beängstigend wäre.“ Das Grundwasser und die Elbe wären dann für lange Zeit verseucht.

Landesamt für Geologie und Bergwesen Sachsen-Anhalt lehnt Interview ab

Das Landesamt für Geologie und Bergwesen Sachsen-Anhalt als Genehmigungsbehörde lehnt ein Interview zu möglichen Gefahren ab. In einer Mail heißt es: „Bodenabsenkungen sind bekannt … ohne signifikante Auswirkungen … von dieser Anlage [gehen] keine Gefahren für die Umwelt aus.“

Giftmüll ist eine gefährliche und oft auch heimtückische Hinterlassenschaft, die viele Menschen besorgt und die auch nach Jahrzehnten häufig noch für große Probleme sorgt. Das betrifft alte Kriegsmunition auf dem Meeresboden ebenso wie das Erbe der Chemieindustrie in Ost und West oder Geschäfte, die mit Müll immer wieder gemacht werden.

Die Mitteldeutsche Zeitung und der Deutschlandfunk präsentieren ab 8. April 2019 zu dem Thema unter dem Titel „Giftmüll auf der Spur“ eine Serie mit ausgewählten Beiträgen.

Weitere Folgen in Mitteldeutscher Zeitung und Deutschlandfunk

Anders hört sich das bei einem Arbeiter in Zielitz an, der anonym bleiben will. Die Bodenabsenkungen seien gravierend. Er schätzt das Ausmaß als „gewaltig“ ein. „Ich habe da unten gearbeitet, man sieht es.“ 1976 habe er als Großgerätefahrer angefangen, als K+S noch VEB Kalibetrieb Zielitz hieß. 42 Jahre habe er unter Tage geschuftet, sagt der Mitte 60-Jährige, die Erdbewegungen seien unübersehbar. „Ich musste ja in der Decke so eine Art Quetschkörper einbringen, das sind so Metall-Teile. Und die verformen sich durch den Druck“, berichtet der Arbeiter von seinen Erfahrungen in der Lagerstätte.

K+S: Auch auf Nachfrage keine konkreten Antworten

Zwei Mal im Jahr werde die Deponie in Zielitz durch das Landesbergamt kontrolliert, ergänzt durch ein internes und externes Qualitätsmanagement, heißt es bei K+S. Doch wie genau das vor sich geht, wann die letzte Prüfung war, wie lange die Grubenwehr bei einem Feuer zur Giftmüllhalde brauche, zu alldem gibt es auf Nachfrage keine konkreten Antworten. Ungeklärt ist zudem die Frage, ob auch schwach radioaktive Rückstände in Zielitz lagern. Dazu gab es auf Nachfrage keine Antwort von K+S.

„Es gibt denkbare Grenzfälle. Ich nenne mal die Abbruchabfälle von Kernreaktoren, die dann ,freigemessen’ werden“, sagt Geologe und Mineraloge Krupp. „Das sind Stoffe, die unterhalb eines bestimmten Grenzwertes der Radioaktivität liegen, und die dann legal als nicht radioaktiv gelten“, erklärt der Experte. „Und es bestehen also Befürchtungen bei Menschen, die in Nähe von Deponien leben, dass derartige Abfälle zu ihnen kommen“, berichtet der Experte für Salzbergwerke.

Bürgermeister ohne Sorgen, Anwohner sieht hingegen „Fiasko

Von den Umweltrisiken wollen die Menschen vor Ort aber nur wenig wissen. Viele winken ab, wenn es um Frage zur Untertagedeponie und K+S geht. Für Thomas Schmette, Bürgermeister der Verbandsgemeinde Elbe-Heide, zu der Zielitz gehört, ist das nur zu verständlich. „Also die Giftmülldeponie macht keine Sorgen, sowohl in der Bevölkerung, als auch bei uns selbst“, sagt der CDU-Politiker. „Man hört auch wenig davon. Es sind wohl auch nicht hochgiftige Stoffe da unten, auch keine radioaktiven Stoffe, soweit ich weiß.“ Und dann unterstreicht der Bürgermeister auch umgehend die Bedeutung des Unternehmens für den Ort. Das Kaliunternehmen K+S, erläutert Schmette, habe insgesamt 1.800 Mitarbeiter. Mit den mittelbar Beschäftigten wie Handwerkern oder dem Einzelhandel würden etwa 5.000 Menschen von der Arbeit für das Unternehmen leben. Wenn diese Arbeitsplätze wegfielen, wäre das für die Region ein Desaster.

Mit diesem Szenario kann der aus dem belgischen Gent stammende Dirk Standaert allerdings wenig anfangen. Zusammen mit seiner Frau hat er ein verspieltes Jagdschloss in der Umgebung der Untertagedeponie gekauft. Ihn empöre, dass er kaum Informationen erhalte, was da möglicherweise unter seinem Grundstück lagere. Was K+S in Zielitz mache, sagt Standaert, sei schlicht ein Fiasko - für die Natur und die zukünftigen Generationen. „Hört einfach den jungen Leuten auf der Straße zu. Sie wollen nicht, dass die Natur immer weiter zerstört wird“, sagt Dirk Standaert. „Und ja, natürlich ist es ein Desaster - nicht nur für die Natur, sondern auch künftige Generationen.“ (red)

Den vollständigen Beitrag hören Sie an diesem Mittwoch um 14.10 Uhr im Deutschlandfunk. Alle Beiträge können Sie auch nachhören und -lesen.