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Seltsame Allianzen Seltsame Allianzen: Wie die Stasi versuchte, westdeutsche Neonazis zu unterwandern

Von Steffen Könau 19.05.2019, 10:00
Der Neonaziführer Arnulf Priem - hier in seiner Westberliner Wohnung - wuchs in der DDR auf und wurde dort schon wegen rechter Gewalttaten verurteilt.
Der Neonaziführer Arnulf Priem - hier in seiner Westberliner Wohnung - wuchs in der DDR auf und wurde dort schon wegen rechter Gewalttaten verurteilt. dpa

Halle (Saale) - Susanne Rau verstand ihr Geschäft. Die junge Frau mit den langen Beinen gab dem nur 1,58 Meter kleinen Mann an ihrer Seite das Gefühl, ihr wichtig zu sein. Heinrich Lummer war fast doppelt so alt wie die 25-Jährige, aber aus dem Westen, wo der CDU-Politiker emsig an einer großen Karriere baute. Susanne Rau dagegen war Ostdeutsche im besonderen Einsatz:

Die Staatssicherheit hatte die dunkelhaarige Schöne auf den konservativen Besucher aus West-Berlin angesetzt. Lummer galt dem Mielke-Ministerium als verkappter Nazi, den man im Auge behalten musste.

Lummer war für Stasi leichtes Ziel

Die Zielperson, die als junger Mann für den Bundesnachrichtendienst Übersiedler aus der DDR befragt hatte und auch später stets ein ausgeprägtes Interesse für alle Angelegenheiten des anderen deutschen Staates zeigte, war für das MfS ein leichtes Ziel, wie der Berliner Reporter Andreas Förster in seinem Buch „Zielobjekt Rechts“ beschreibt. Der CDU-Mann führe einen ausschweifenden Lebenswandel samt „zahlreicher außerehelicher Intimkontakte“, vermerkte die Hauptabteilung Aufklärung in einer Akte.

Susanne Rau, die in Wirklichkeit anders hieß, wurde auf den Politiker angesetzt und bei Treffen fertigte die Stasi intime Fotos der beiden an. Lummer, Mitglied des Berliner Sicherheitsausschusses und Geheimdienst-Intimus, sollte zur Mitarbeit erpresst werden. Gerade dass der spätere Innensenator ideologisch am anderen Ende des Spektrums spielte, schien der Stasi reizvoll, ging es ihr doch um Einblicke in die westdeutsche Neonaziszene.

Rechter Esoteriker Arnulf Priem von DDR verurteilt, von der BRD freigekauft

Zuständig dafür war die Abteilung XXII, die Mitte der 70er Jahre zur Terrorabwehr aufgebaut worden war. Einerseits fürchtete das MfS Angriffe wie den Sprengstoffanschlag auf das Panzerdenkmal in Chemnitz, mit dem der gelernte Fleischer Josef Kneifel 1977 gegen den Einmarsch der Sowjetunion in Afghanistan hatte protestieren wollen. Andererseits erregten Rechtsextremisten im sogenannten Operationsgebiet den Argwohn des MfS, das sich selbst als Truppe von Antifaschisten verstand.

Gruppen wie die Wiking-Jugend, die Nationalen Aktivisten um Michael Kühnen oder die Wehrsportgruppe Hoffmann gerieten ins Visier, weil das MfS glaubte, dass Rechtsextremisten in jedem Fall DDR-feindlich eingestellt sein müssten. Bei Arnulf Priem war das sogar sicher - der rechte Esoteriker war schon Ende der 60er Jahre in der DDR wegen Kindesmissbrauchs und rechter Gewalttaten verurteilt, dann aber von der Bundesrepublik freigekauft worden.

Stasi platzierte 100 IM im Umfeld von Priem und Kühnen

Aus Sicht des MfS belegte das die Nazi-Sympathien der Bonner Regierung. Umso wichtiger schien es zu sein, den Gegner genau zu kennen. Obwohl die Neonazi-Szene im Westen keine Bestrebungen erkennen ließ, sich gegen die DDR zu wenden, sammelte die HA XXII nicht nur umfangreiche Daten über 2.100 Szeneangehörige, sondern es gelang ihr auch, mehr als 100 Inoffizielle Mitarbeiter im direkten Umfeld von Nazi-Anführern wie Kühnen oder Priem zu platzieren.

Über Odfried Hepp, einen Rechtsterroristen, der Anfang der 80er Jahre Anschläge auf US-Einrichtungen in der Bundesrepublik verübte, wusste das MfS ganz genau Bescheid, denn Hepp war unter dem Decknamen „Friedrich“ als IM registriert. Deshalb beließ es das Ministerium hier auch nicht bei der Abschöpfung von Informationen, sondern half mit gefälschten Papieren und Kontakten zur Palästinensischen Befreiungsorganisation PLO, als nach Hepp gefahndet wurde.

Stasi wollte ersten Reichsbürger „zersetzen“

Es waren zumeist seltsame und verkrachte Existenzen, auf die sich das MfS beim Versuch verlassen musste, Aktionen von Neonazis gegen die DDR zu verhindern. Da war etwa Wolfgang Ebel, ein Reichsbahner aus dem Westen, der nach vergeblichen Versuchen, einen Streik zu organisieren, auf die Idee kam, dass das Deutsche Reich weiterexistiere und er dessen Reichskanzler sei. Die Stasi hielt die krude These, die 30 Jahre später zahlreiche Nachahmer finden wird, schon Mitte der 80er Jahre für gefährlich genug, um einen IM mit dem Auftrag loszuschicken, Ebel zu „zersetzen“.

In anderen Fällen ging es um die Überwachung der miteinander konkurrierenden Nazi-Parteien, die sich das MfS meist etwas kosten lassen musste. Weil die Szene-Insider „nur sehr selten auf Basis der ideologischen Überzeugung gewonnen werden“ konnten, wie es die Stasi intern nannte, wurde Westgeld gezahlt.

Klappte das mal nicht, wie bei IM Oskar, der 1984 in der DDR-Botschaft in Wien auftauchte und unter Verweis auf seine Stasi-Mitarbeit die sofortige Auszahlung von 500 bis 1.000 D-Mark forderte, knirschte der zuständige Führungsoffizier zwar mit den Zähnen, hielt aber zur Stange. „Oskar“ hatte ihm von einem geplanten Anschlag erzählt, den österreichische Nazis aus dem Kühnen-Umfeld vorbereiteten. Das MfS nahm die Warnung ernst. Und schickte einen anonymen Tipp an die österreichische Staatspolizei. (mz)

››Andreas Förster, Zielobjekt Rechts, Ch. Links Verlag, 264 Seiten, 18 Euro

Naziführer Michael Kühnen (l.) wurde jahrelang überwacht.
Naziführer Michael Kühnen (l.) wurde jahrelang überwacht.
dpa
Heinrich Lummer (M.) galt der Stasi als möglicher IM.
Heinrich Lummer (M.) galt der Stasi als möglicher IM.
dpa