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Nach 97 Jahren Winningen Schadeleben: Supermarkt-Preise ruinieren viele Tante-Emma-Läden im Raum Aschersleben

Von Max Hunger 13.03.2019, 10:56
Eveline Dannenberg muss ihren Laden in Schadeleben wegen fehlender Kundschaft früher als geplant schließen.
Eveline Dannenberg muss ihren Laden in Schadeleben wegen fehlender Kundschaft früher als geplant schließen. Frank Gehrmann

Aschersleben - Abseits der Hauptstraße schmiegt sich ein kleines Geschäft in die Häuserfront in Schadeleben. „Gemischtwarenladen“ steht auf der hölzernen Eingangstür – der urige Gegenentwurf zum immergleichen „Supermarkt“.

Denn hier ist alles genau so, wie man es sich vorstellt: Hinter der rustikalen Ladentheke empfängt Eveline Dannenberg ihre Kunden stilecht – mit Kittelschürze und einem Lächeln auf den Lippen.

Doch zum Lachen ist der 63-Jährigen heute nicht zumute. Am Ostersamstag wird sie ihren Laden für immer schließen. Das Geschäft hat schon ihr Urgroßvater geführt, es existiert seit 1922. „Ich wollte die 100 Jahre eigentlich voll machen“, sagt Dannenberg traurig.

„Ich kaufe die Waren teilweise zu dem Preis ein, zu dem sie im Supermarkt verkauft werden“, sagt Eveline Dannenberg

Vor zehn Jahren begann der „Verfall“, wie sie es nennt. „Früher gab es noch mehrere Lebensmittelläden, Fleischer und Bäcker hier. Heute gibt es fast nichts mehr“, sagt sie.

Der Grund: Die großen Lebensmittelketten machten die Preise kaputt. „Ich kaufe die Waren teilweise zu dem Preis ein, zu dem sie im Supermarkt verkauft werden“, beklagt Dannenberg. Da könne sie einfach nicht mithalten.

So ergeht es immer mehr Ladenbesitzern. Walter Krause aus Winningen hatte bis Anfang der 2000er Jahre einen ähnlichen Laden betrieben. Auch er musste mangels Umsatz schließen.

„Die Einkaufspreise für Besitzer von kleinen Geschäften sind einfach viel zu hoch. Der Großhandel ist kaputt“, sagt Krause. So rechne ein durchschnittlicher Supermarkt mit etwa sieben Prozent Gewinnmarge, er müsste mindestens 20 Prozent draufschlagen, um zu überleben.

Walter Krause gab Anfang der 2000 Jahre seinen Laden in Winningen auf

Der Rentner sieht aber auch die Einwohner in der Pflicht. Viele würden lieber die Fahrt zum nächsten Supermarkt in Kauf nehmen, statt im örtlichen Geschäft etwas mehr zu bezahlen. „Es funktioniert nur, wenn die Menschen dahinterstehen“, sagt er.

Das sieht auch Eveline Dannenberg so: „Warum ich schließen muss? Darauf gibt es eine kurze Antwort: Weil niemand kommt.“ Das sei auch eine Frage der Mentalität der Einwohner.

Mit den klassischen Tante-Emma-Läden verschwindet nicht nur eine Einkaufsmöglichkeit, sondern auch ein Stück Kultur, finden die Betreiber. Hinter eine Supermarktkasse würde sich Dannenberg niemals setzen. „Das Zwischenmenschliche geht verloren“, findet sie.

„Das Zwischenmenschliche geht verloren“, sagt Eveline Dannenberg

Und auch Krause bedauert, dass es im Ort nicht mehr solchen Zusammenhalt gebe wie früher. Dazu hätten auch die kleinen Läden beigetragen.

Doch es gibt auch noch Geschäfte, die sich halten. Frauke Kattner bietet in der Bäckerei Träger im Seeländer Ortsteil Frose neben Backwaren auch Milch, Wurst, Konserven und mehr an. „Die Leute sind dankbar für das Angebot im Ort. Und es geht immer alles weg“, erzählt Kattner.

Frauke Kattner in Frose lebt vom Durchgangsverkehr

Sie lebe aber vor allem vom Durchgangsverkehr. Häufig kämen Handwerker oder Bauarbeiter durch den Ort und kauften sich hier ein Frühstück. Würde die baufällige Verbindungsstraße zwischen Frose und Neu Königsaue einmal gesperrt, sieht sie schwarz für das Lebensmittelregal. „Nur davon könnten wir nicht leben“, sagt die Bäckersfrau.

Ähnlich ist die Situation in „Schulles Konsum“ im Ascherslebener Ortsteil Mehringen. „Wir sind ein Transitdorf“, sagt Inhaber Stefan Schulze. Er hat das Geschäft Anfang des Jahres übernommen. „Das hätte ich nicht gemacht, wenn es wirtschaftlich auf einem sterbenden Ast stünde“, sagt Schulze.

Neben meist älteren Stammkunden aus dem Ort kämen viele Schichtarbeiter auf dem Weg nach Aschersleben hier vorbei. Dass es die Tante-Emma-Läden zunehmend schwer haben zu überleben, liegt auch an der fortschreitenden Globalisierung.

Globalisierung und Versandhandel machen Druck auf die kleinen Läden

Günstige Waren aus dem Ausland drängen auf den Markt. Dazu kommt der Versandhandel über das Internet. Eveline Dannenberg sieht deshalb auch die Politik in der Pflicht. Miete, Steuern, Strom – bei den Abgaben wünscht sie sich Entlastung für Ladenbetreiber. „Die da oben sollen auch an die kleinen Leute denken“, fordert sie.

Für ihren Laden kommt jede Hilfe zu spät. Sie habe nie Schulden gemacht, aber einen Nachfolger habe sie gar nicht erst gesucht. Auch einen feierlichen Abschied von ihrem Geschäft wird es nicht geben – nach 27 Jahren. „Das kann ich einfach nicht“, sagt sie mit erstickter Stimme. Und ihre Augen werden feucht.  (mz)

Das Geschäft in Mehringen läuft auch dank des Durchgangsverkehrs gut.
Das Geschäft in Mehringen läuft auch dank des Durchgangsverkehrs gut.
Frank Gehrmann
Das Lebensmittelregal in der Bäckerei Träger in Frose wird gut angenommen.
Das Lebensmittelregal in der Bäckerei Träger in Frose wird gut angenommen.
Gehrmann