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Tragischer Tod eines Fernfahrers Tragischer Tod von Fernfahrer in Könnern Salzlandkreis: Laut Polizei keine Anzeichen für ein Verbrechen

Von Franz Ruch und Wolfram Schlaikier 07.09.2019, 14:55
An dieser Stelle der Dr.-Wilhelm-Külz-Straße in Könnern, der Ortsdurchfahrt der Landesstraße 85, hatte der Sattelzug am Montag angehalten.
An dieser Stelle der Dr.-Wilhelm-Külz-Straße in Könnern, der Ortsdurchfahrt der Landesstraße 85, hatte der Sattelzug am Montag angehalten. Schlaikier

Könnern - Fünf Tage nach dem einsamen Tod eines 45 Jahre alten Fernfahrers in der Kabine seines Lastwagens in Könnern steht fest: Die Leiche des Mannes aus der Lutherstadt Wittenberg wird nicht obduziert. Das teilte Polizeisprecher Marco Kopitz mit.

„Es gibt keine Anzeichen für ein Verbrechen. Um 13 Uhr telefonierte der Mann mit seiner Freundin, eine halbe Stunde später reagierte er nicht mehr auf eine Nachricht der Frau.“

Den Ermittlungen der Polizei zufolge starb der Fernfahrer an den Folgen einer nicht ausreichend behandelten Erkrankung. „Wir vermuten, dass er wegen starker Schmerzen angehalten hat und dann auf die Seite gefallen ist“, so Kopitz weiter.

„Es gibt keine Anzeichen für ein Verbrechen“, sagt der Sprecher des Polizeireviers in Bernburg

Der tragische Tod des Lkw-Fahrers bewegt viele Menschen. Der Sattelzug hatte am Montag dreieinhalb Stunden mit laufendem Motor und Warnblinkanlage am Straßenrand gestanden, bis eine Nachbarin den Notruf wählte.

Warum hat nicht schon eher jemand eingegriffen? Anwohner Sebastian Henecke erinnert sich, den parkenden Lkw gesehen zu haben: „Er hatte die Warnblinker an, aber ich habe mir nichts dabei gedacht. Es hätte ja auch nur eine Reifenpanne sein können.“

Auch die Pfarrerin der Gemeinde, Roswitha Meißner, findet das späte Eingreifen nicht überraschend. „An der Straßenecke hält sich in der Regel niemand lange auf. So bemerken viele auch nicht, wenn ein Fahrzeug dort länger steht.“

Zudem wundere es in Könnern wegen des regen Durchgangsverkehrs niemanden, wenn am Straßenrand Lkw halten. Schuldzuweisungen hält sie für unangebracht. Ihre Gedanken seien stattdessen bei der Familie und den Angehörigen des Toten, sagte sie.

Als Passantin könne sie gar nicht in das höher gelegene Führerhaus hineinsehen, sagt Anwohnerin Erika Jeske

Wenn nach der Verantwortung gefragt wird, sieht Anwohnerin Erika Jeske die Schuld eher bei den Kollegen des Fernfahrers: „Mich wundert es, dass niemand von den vielen vorbeifahrenden Lkw angehalten hat.“

Als Passantin sei es ihr gar nicht möglich, in das höher gelegene Führerhaus hineinzusehen. Wenn jemand den bewusstlosen Fahrer rechtzeitig hätte bemerken können, dann doch eher andere Lkw-Fahrer.

Apropos Aufmerksamkeit: Muss der tragische Tod der regelmäßig diskutierten Abkapselung in der Gesellschaft zugeschrieben werden? Welchen Einfluss hat der Bevölkerungsschwund im ländlichen Raum?

„Zeugen von ungewöhnlichen Ereignissen fragen sich stets: Was passiert mir, wenn ich eingreife?“, sagt Soziologie-Professor Reinhold Sackmann

„Dieser Todesfall hat damit wenig zu tun“, sagt Reinhold Sackmann. Der Professor ist Inhaber des Lehrstuhls für Soziologie an der Universität Halle. Aus Studien über den sogenannten Zuschauereffekt wisse man, dass Menschen weder alle gut noch alle schlecht seien. Der Effekt beschreibt, wie Zuschauer auf Notfälle reagieren.

Zeugen von ungewöhnlichen Ereignissen wie dem stundenlangen Halt des Lkw in Könnern würden stets ihr Handeln abwägen, erklärt Sackmann. „Sie fragen sich: Was passiert mir, wenn ich eingreife?“ Die Hemmschwelle sei verständlicherweise hoch, denn das Öffnen der geschlossenen Tür des Lkw sei auch riskant.

„Es zwingt einen niemand, tatenlos zuzusehen“, betont der Soziologe

Ein weiterer Aspekt solcher Notfälle sei die soziale Kontrolle der Menschen, erklärt der Soziologe. „Eine Umgebung mit mehr Unordnung und leerstehenden Häusern sorgt bei Anwohnern für Kontrollverlust. Dadurch sinkt die Wahrscheinlichkeit, im Notfall einzugreifen, weil die Menschen gelernt haben, die Dinge zu ertragen, wie sie sind.“

Andererseits zwinge einen auch niemand, tatenlos zuzusehen, wenn Ungewöhnliches passiert, betont der Professor: „Ich kann mit geringem Risiko handeln, indem ich zum Beispiel die Polizei anrufe.“ (mz)