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Fahrbahnzustand Fahrbahnzustand: Forscher: Be­ton­krebs an der A 14 war ver­meid­bar

Von Winfried Borchert 12.05.2010, 22:00
Nur noch Split, Schotter und Gesteinsbrocken liegen, nachdem Baumaschinen die Fahrbahndecke aufgerissen haben, auf der A14 am Flughafen Leipzig/Halle in Schkeuditz.
Nur noch Split, Schotter und Gesteinsbrocken liegen, nachdem Baumaschinen die Fahrbahndecke aufgerissen haben, auf der A14 am Flughafen Leipzig/Halle in Schkeuditz. dpa-Zentralbild

Könnern - Die Betonschäden auf der Autobahn 14 zwischen Halle und Magdeburg sind den Behörden offenbar sehr viel länger bekannt, als bislang öffentlich eingeräumt wurde.

Während es bis vor kurzem vom Bundesverkehrsministerium hieß, seit 2005 würden derartige Mängel durch spezielle Prüfungen ausgeschlossen, wurde jetzt bekannt, dass das Bundesverkehrsministerium von einem Experten bereits 1992 auf die Gefahren aufmerksam gemacht wurde.

Am 10. September 1992 erreichte das Bundesverkehrsministerium ein Brief aus Weimar. Der Absender: Gerhard Hempel, promovierter Geologe und Mineraloge und als solcher seit Jahrzehnten ein fundierter Kenner der Gesteine und Baustoffe in Ostdeutschland.

Hempel hatte zwei Tage zuvor aus den Nachrichten von der Absicht der Bundesregierung erfahren, die Autobahn 14 von Halle nach Magdeburg zu verlängern und war von der Nachricht elektrisiert.

Seit Jahren forschte er zusammen mit anderen Wissenschaftlern am Institut für Baustoffe Weimar der Deutschen Bauakademie (heute MFPA) an dem Phänomen der Alkali-Kieselsäure-Reaktion, landläufig "Betonkrebs" genannt.

Hempel wusste um die besonderen Risiken, die den Beton-Beimischungen aus dem Raum Halle innewohnen. Er bot dem Ministerium seine Hilfe an, um teure Bauschäden zu vermeiden.

Seit Anfang der 1970er Jahre waren Fachleute des Materialprüfamtes Braunschweig der rätselhaften Selbstzerstörung auf der Spur, nachdem die 1966 erbaute Lachswehrbrücke in Lübeck nur zwei Jahre nach ihrer Fertigstellung abgerissen werden musste.

Fast zeitgleich nahmen Wissenschaftler des Instituts für Baustoffe Weimar Forschungen auf, weil nach und nach tausende Betonschwellen der Deutschen Reichsbahn zerbröckelten und ausgetauscht werden mussten.

"Wir stuften die Kieselkreide wie den fünfmal reaktiveren Opalsandstein ein." - Gerhard Hempel, Geologe und Mineraloge

Die Forscher fanden heraus, dass die basischen Bestandteile des Zements mit bestimmten Betonzuschlägen mit alkalilöslicher Kieselsäure eine unheilvolle Reaktion eingehen, falls das Bauwerk nicht vor Wasser geschützt ist.

Im ungünstigsten Fall bilden die Bestandteile ein Gel, das aufquillt und netzartige Risse in den Beton sprengt.
Die Wissenschaftler erkannten auch, dass die Zuschlagstoffe für den Beton dann gefährlich sind, wenn sie Flint (Feuerstein) beziehungsweise den sogar fünfmal so reaktionsfreudigen Opalsandstein enthalten und eine bestimmte Korngröße haben.

Derartige Gesteine kommen vor allem in Norddeutschland vor, allerdings auch im Einzugsgebiet der Saale nördlich von Halle.
Dies war Behörden und Baufirmen im Jahr 1992 lange bekannt. Bereits 1974 hatte man in der Bundesrepublik erste Normen und Richtlinien in Kraft gesetzt.

Mit strengen Prüfverfahren und immer weiter verbesserten Tests und Kontrollen gelang es, den Anteil gefährlicher Zuschläge im Beton zu minimieren und damit "Betonkrebs"-Schäden weitgehend zu verhindern. In der DDR wurde im Jahr 1988 ein eigener TGL-Standard in Kraft gesetzt.

Allerdings hatten alle Richtlinien eine Schwäche, auf die die Weimarer Wissenschaftler erst spät gestoßen waren: Die ebenfalls im Raum Halle vorkommende Kieselkreide war wie Feuerstein eingestuft und damit als vergleichsweise harmlos.

"Wir stuften die Kieselkreide dagegen wie den fünfmal reaktiveren Opalsandstein ein", erinnert sich Forscher Hempel.
Das teilte er 1992 auch dem Bundesverkehrsministerium mit. Ein Beamter informierte nur knapp drei Wochen später die bundeseigene Planungsgesellschaft DEGES und empfahl, die Erkenntnisse des Wissenschaftlers für die A 14 zu nutzen.

Doch lange tat sich nichts. Erst als im April 1996 an einer gerade fertig gestellten A-14-Brücke in der Nähe des Bahnhofs Könnern großflächig Stückchen von der Betonoberfläche abplatzten, erinnerte man sich offenbar an Hempel und dessen Kollegen. Die untersuchten die seitlichen Brückenkappen, stellten eine Alkali-Kieselsäure-Reaktion fest und empfahlen den teilweisen Abriss und Neuaufbau der Brücke mit strenger geprüften Zuschlagstoffen.

So geschah es. Heute, zwölf Jahre später, präsentiert sich diese Brücke äußerlich in bestem Zustand.

Dessen ungeachtet lassen die Behörden jetzt zehn Kilometer Fahrbahn beschichten, die möglicherweise mit dem gleichen, risikobehafteten Beton gebaut wurde. Kosten: 90 000 Euro pro Kilometer.

Ob diese Versuche Erfolg haben, ist noch offen.
Ein Experte der Materialprüfanstalt für das Bauwesen in Braunschweig hält die Erfolgsaussichten für gering. Der Beamte, der Ärger vermeiden und seinen Namen deshalb nicht in der Zeitung sehen wollte, sagte: "Selbst wenn es gelingen sollte, den Beton oberflächlich abzudichten, kann die zerstörerische Reaktion nicht gestoppt werden. Denn aus dem Erdreich steigt weiter Wasser in den Beton auf."

Sei der Prozess einmal in Gang gesetzt, könne ihn niemand mehr stoppen.