Was ist das Einser-Abi wert? Was ist das Einser-Abi wert?: Debatte über hohe Zahl an Top-Abiturienten

Magdeburg - In Sachsen-Anhalt legen immer mehr Gymnasiasten ein Einser-Abitur ab. In nur zehn Jahren wuchs die Anzahl derer, die mit 1,9 oder besser abschlossen, von knapp 20 Prozent (2008) auf 29,9 Prozent (2018). Fast jeder Dritte brachte also eine Top-Note nach Hause. Damit liegt Sachsen-Anhalt deutlich über dem Bundesschnitt - so wie auch die restlichen ostdeutschen Bundesländer. Sie belegen fünf der sechs ersten Plätze im Ländervergleich. Am höchsten ist die Quote in Thüringen mit fast 38 Prozent Einser-Abiturienten.
Einige sehen die Entwicklung skeptisch. Der Deutsche Hochschulverband warnt vor einer „Noteninflation“, der Einhalt geboten werden müsse. Qualität müsse Vorrang vor Quantität haben. „Wir sehen es mit Sorge, dass die Abiturnoten besser werden“, sagte ein Sprecher des Verbands. Denn zugleich fehlten heutigen Studienanfängern häufig wichtige Grundkenntnisse, etwa in Mathematik, kritisierte der Verband.
Im Bundesschnitt schafft jeder Vierte ein Einser-Abi
Die aktuellen Zahlen stammen aus einer Umfrage der „Rheinischen Post“ in allen Bundesländern. Im Bundesschnitt schafft jeder Vierte ein Einser-Abi, vor zehn Jahren war es noch jeder fünfte Gymnasiast.
Sachsen-Anhalts Bildungsminister Marco Tullner (CDU) weist den Verdacht der Inflation zurück. „Die Diskussion ist etwas bizarr“, sagte er der MZ. „
Noch vor wenigen Wochen und nicht zum ersten Mal haben wir über das ‚angeblich‘ zu anspruchsvolle Mathematik-Abitur in den Ländern diskutiert. Nun wird eine inflationäre Notengebung ausgemacht. Für beide Befunde gibt es keinen Beleg“, betonte Tullner.
Der Minister sieht einen anderen Grund für zunehmende Einser-Abiture: In den vergangenen Jahren wurden die unterschiedlichen Berechnungen der Abiturnoten in den Ländern angeglichen. Ein Resultat: Sachsen-Anhalts Gymnasiasten können heute mehr Leistungen als früher aus der endgültigen Abi-Note herausrechnen. Schlechtere Halbjahresnoten fließen so nicht mehr ins Gesamtergebnis ein, der Schnitt steigt.
GEW: „Das Abitur wird nicht verschenkt.“
Tendenziell, so ein Ministeriumssprecher in Magdeburg, haben die ostdeutschen Länder im Zuge der bundesweiten Angleichung ihre Vorgaben der Abi-Berechnung eher entschärft, einige westdeutsche Länder hätten hingegen angezogen. Das Ministerium betont aber: All dies habe keinen Einfluss auf den Unterrichtsinhalt in der Klasse.
Gegen den Vorwurf des Noten-Wertverlustes in Sachsen-Anhalt spricht, dass das Land in vergleichenden Schüler-Leistungstests teils gute Ergebnisse erzielt. So landet Sachsen-Anhalt im aktuellen INSM-Bildungsmonitor auf Rang 4 in der Kategorie „Schulqualität“.
Die Erhebung stammt vom Institut der deutschen Wirtschaft Köln. Eva Gerth, Landeschefin der Bildungsgewerkschaft GEW, hält die hohen Einser-Quoten deshalb für eine gute Nachricht. „Was ich immer bestreiten würde ist, dass die Lehrer nachsichtig sind. Das Abitur wird nicht verschenkt.“ Klagen darüber, dass Abiturienten schlecht auf die Hochschule vorbereitet seien, „höre ich, seit ich Lehrerin bin“. Belege gebe es dafür nicht.
Beim Philologenverband, der Gewerkschaft der Gymnasiallehrer, schrillen hingegen die Alarmglocken. „Dieser Trend muss dringend gestoppt werden“, sagte Landeschef Thomas Gaube der MZ. Er warnte: „Wenn das Abitur nicht mehr wirklich für Studierfähigkeit steht, sondern nur noch eine Zugangsberechtigung für die Hochschule ist, braucht man sich nicht wundern, wenn die Wertigkeit in Frage gestellt wird.“ Um diese „inflationäre Entwicklung“ zu stoppen, müsse man über eine Reform der Bewertungsstandards nachdenken. Das Problem sei aber ein bundesweites und nicht auf Sachsen-Anhalt beschränkt. (mz)