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Großer Andrang an der Uni Halle Vom Kreißsaal in den Hörsaal

Studium statt Ausbildung: Der Hebammenberuf wird akademisiert. Die ersten Vorlesungen starten in diesem Jahr. Kritik kommt von Frauenärzten.

Aktualisiert: 19.4.2021, 22:30
Angehende Hebammen absolvieren am Universitätsklinikum in Halle - wie hier 2017 noch ohne Maske - künftig ein Studium statt einer Ausbildung.
Angehende Hebammen absolvieren am Universitätsklinikum in Halle - wie hier 2017 noch ohne Maske - künftig ein Studium statt einer Ausbildung. Foto: dpa

Halle (Saale) - Die Geburtshilfe wird künftig in den Händen von Akademikerinnen liegen: Im Herbst starten an der Universität Halle sowie an vielen weiteren Standorten in Deutschland die ersten Studiengänge der Hebammenwissenschaft. Hintergrund: Ab 2022 müssen alle angehenden Hebammen in Deutschland ein duales Studium absolvieren. Das hatten Bund und Länder vor zwei Jahren beschlossen. Das Studium ersetzt die Ausbildung an einer Hebammenschule und soll den Beruf aufwerten. In der Fachwelt gibt es jedoch auch kritische Stimmen.

Schwerpunkt liegt auf Theorie

Der neue Studiengang legt den Schwerpunkt auf die Theorie: Am Universitätsklinikum in Halle mischen sich in acht Semestern Hebammenwissenschaft Vorlesungen und Seminare etwa zu Zivilrecht, Ethik oder Kinderpsychologie mit praktischen Lehreinheiten im Kreißsaal und der Wochenbettstation. Rund 4.800?Stunden im vierjährigen Studiengang sind dabei für die Theorie eingeplant - etwa doppelt so viele wie vorher. 2.300?Stunden verbringen die Studentinnen hingegen mit Praxiseinheiten. In der drei Jahre dauernden Ausbildung waren bislang 3.000 Stunden Praxis vorgesehen.

Medizinwissenschaftlerin Gertrud Ayerle hat den Studiengang in Halle mitkonzipiert. Sie sieht viele Vorteile in der Akademisierung. „Wir wollen reflektierende Hebammen ausbilden“, sagt Ayerle. Ein Ziel sei es, die Hebammen an der Forschung rund um die Geburt zu beteiligen. Wissenschaftliches Arbeiten war bislang nicht Teil der Ausbildung. „Das ist jetzt ein großer Schwerpunkt.“

Auch viele Hebammen in Sachsen-Anhalt empfinden das als Aufwertung: „Das ist sehr gut für die Branche“, findet Undine Bielau, Vorsitzende des Hebammenverbands Sachsen-Anhalt. Rund 450 Hebammen arbeiten laut Verband im Land. Bielau hat selbst noch eine Ausbildung in einer Hebammenschule absolviert. Im neuen Studiengang sieht sie nun die Chance, wissenschaftliche Studien zu ganz praktischen Themen voranzutreiben. Welche Wirkung haben etwa Kaffeeumschläge bei der Geburt? Welche Mittel zur Einleitung einer Geburt wirken tatsächlich? Von Ärzten werde das bislang kaum erforscht, sagt Bielau. „Die Betreuungszahlen einer Hebamme reichen dazu nicht aus. Die Geburtshilfe ist oft mit Mythen behaftet.“

Doch nicht überall stößt der Gang der Hebammen an die Uni auf Wohlwollen: Kritik kommt etwa aus den Reihen der Gynäkologen. So befürchten die Deutsche Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe (DGGG) sowie der Bundesverband der Frauenärzte, dass die Akademisierung den Mangel an Hebammen in den Kreißsälen verschärfen wird. Ab 2024 drohe demnach eine akute Unterversorgung in der Geburtsbetreuung. Das sei ein hausgemachtes Problem, teilte der DGGG mit. Denn: Hebammen mit einem Studium würden sich nur selten für die Arbeit im Kreißsaal entscheiden, so die Gynäkologen.

Auch unter den Frauenärzten in Sachsen-Anhalt gebe es diese Sorgen, sagte Frank Thieme, Vorsitzender des Landesverbands. Hebammen, die sich für die Forschung entschieden, fehlten in der Praxis. „Vor allem in den ländlichen Regionen finden viele Familien jetzt schon keine Hebamme für die Wochenbettbetreuung mehr“, so Thieme.

Laut Landeshebammenverband sorgt dieser Mangel häufig für Stress bei den Geburtshelferinnen. In den Kliniken betreue eine Hebamme nicht selten bis zu fünf Mütter - empfohlen sei eine Eins-zu-eins-Betreuung, berichtet Bielau. Hinzu komme ein wachsender administrativer Aufwand. Durch die Aufwertung des Berufes erhoffe sie sich eine Verbesserung der Arbeitsbedingungen, so die Verbandsvorsitzende. „Die Bedingungen müssen sich radikal verändern.“

Frauenärzte und Hebammen in Sachsen-Anhalt halten die Akademisierung indes für alternativlos. Denn Bund und Länder setzen damit eine EU-Richtlinie um. Als letztes Land in Europa wandelt Deutschland die Ausbildung der Hebammen in ein Studium um. Bislang sind Hebammen aus Deutschland also schlechter gestellt als ihre Kolleginnen etwa in Polen oder Schweden. „Wir kommen da nicht drumherum“, sagte Frauenarzt Thieme.

Umweg ohne Abitur

Mit dem neuen Studiengang geht jedoch auch eine Einschränkung einher: Der Zugang zum Beruf für Menschen ohne Abitur ist nun deutlich schwieriger. Sie müssen zuerst eine Ausbildung zur Gesundheits- oder Kinderkrankenpflegerin abschließen, um sich auf einen Studienplatz bewerben zu können. „Das müssen wir in Kauf nehmen“, findet Hebamme Bielau. Laut Hebammenverband hatten bereits vor der Akademisierung zwei Drittel der angehenden Geburtshelferinnen ein Abitur. „Es ist ja kein Beruf, in den man mal reinschnuppert. Man macht das aus Überzeugung.“

Tatsächlich ist der Andrang auf den neuen Studiengang in Halle bereits groß: Laut Studiengangleiterin Ayerle gibt es für die 20 Studienplätze bereits rund 200 Bewerbungen. Am 30. April endet die Bewerbungsfrist - im Oktober beginnt dann eine neue Generation von Hebammen in Halle ihr Studium. (mz/Max Hunger)