Müll-Skandal Tamer Bakiner: Wie der Detektiv den größten Abfall-Skandal Sachsen-Anhalts aufdeckte

Halle (Saale) - Ein Lastwagen rollt auf das Gelände einer Recyclingfirma, er wird beladen. Auf dem nächsten Bild ist eine Mondlandschaft zu sehen, ein Laster richtet dort seine Ladefläche steil auf, fein geschredderter Müll rutscht herunter. Um den Abfall zu verteilen, steht ein gelber Radlader bereit. Zehn Jahre alt sind die Fotos, die auf zwei großen Bildschirmen im Stendaler Landgericht zu sehen sind. Sie zeigen die illegale Müllverklappung in der Tongrube Vehlitz im Jerichower Land, aufgenommen hat sie der Privatdetektiv Tamer Bakiner. Zehn Jahre später soll er heute im Prozess gegen die Betreiber der Tongrube erzählen, was er damals erlebt hat.
Detektiv Tamer Bakiner deckte den Müll-Skandal im Jerichower Land auf
„Bestialisch gestunken hat das“, sagt Bakiner. Der 45-jährige Augsburger spricht ein schwäbisch gefärbtes Hochdeutsch, sein tailliertes weißes Hemd spannt über einem muskulösen Oberkörper. „Am schlimmsten war das nach Regen. Wir haben davon richtige Schwindelgefühle bekommen.“ Im Herbst und Winter 2007 lag der Ermittler in Vehlitz auf der Lauer, zusammen mit fünf weiteren Mitarbeitern. „80 Prozent der Observation habe ich aber selbst gemacht.“ Monatelang beobachtete er aus sicherer Entfernung das Treiben in der tiefen Grube, die sich langsam füllte. Es war der schlimmste Auftrag seines Berufslebens.
Bei Regen und Kälte lag er flach auf dem Boden, um nicht entdeckt zu werden. „Die Tongrube wurde ja von Security bewacht. Die haben ihre Rundgänge gemacht, teils mit Hunden.“ Ein flaches Zelt in Tarnfarben schützte Kameras und Ermittler gegen den Regen. Über Monate hinweg notierten sie die Kennzeichen der ankommenden Müll-Laster. Wenn die Detektive abends um 21 oder 22 Uhr abrückten, seien noch immer Lastwagen gekommen. „Sie haben also den Betriebsschluss gar nicht erlebt?“, fragt der Vorsitzende Richter Ulrich Galler. „Nein, irgendwann mussten wir ja auch mal schlafen.“
Tongrube Vehlitz: Gefährliche Ermittlungen im Müll-Skandal
In ein Hotel konnten die Detektive nicht, dreckig und stinkend, wie sie waren. An Tankstellen spritzten sie mit dem Hochdruckreiniger zumindest ihre Gummistiefel ab, berichtet Bakiner. In kleinen Pensionen fanden die Ermittler dann Schlafplätze.
Ausgangspunkt für die Ermittlungen war nicht das hehre Ziel nach Umweltschutz. Dem Energie-Riesen Eon war aufgefallen, dass in seinen Verbrennungsanlagen plötzlich weniger Müll ankam. „Die Müllsparte von Eon hieß BKB, die hatten den Tipp bekommen, dass der Müll irgendwo in Ostdeutschland verschwindet, möglicherweise in Tongruben“, erzählt Bakiner auf Nachfrage der Staatsanwältin. In der Nähe von Vehlitz nahe Gommern wurden die Ermittler fündig.
Mit Abfällen aus Haushalt und Gewerbe lassen sich Millionen verdienen - das hat der Müllskandal bewiesen, der Sachsen-Anhalt 2008 erschütterte. Damals kam heraus, dass in zwei Tongruben im Jerichower Land seit 2005 lastwagenweise Müll versenkt wurden, der in den Verbrennungsofen gehört hätte. Das heraussickernde Gift ist eine Gefahr für Boden und Trinkwasser. Die Gruben wurden mittlerweile von den Behörden für 20 Millionen Euro gesichert. Weitere zehn Millionen Euro Folgekosten werden erwartet.
In zwei Prozessen beim Landgericht Stendal müssen sich sieben Beteiligte verantworten. In einem weiteren Prozess wurde bereits der frühere Landrat Lothar Finzelberg (parteilos) wegen Bestechlichkeit und Steuerhinterziehung zu zwei Jahren und zehn Monaten Haft verurteilt. Das Landgericht Magdeburg ist überzeugt, dass er die illegalen Müllablagerungen ermöglicht und gedeckt hat und dafür geschmiert wurde. Das Urteil ist jedoch nicht rechtskräftig: Finzelberg wie auch die Staatsanwaltschaft legten Revision ein. (mz)
Im Schutz der Dunkelheit, erzählt Bakiner, sei er hinabgestiegen, um Müllproben zu nehmen. „Einmal wurde ich dabei fast von einem Radlader überfahren.“ Etwa 50 kleine Säckchen schaffte er beiseite. In der Tongrube erlaubt war damals die Ablagerung von mineralischen Stoffen: Bauschutt, Steine, Erde. In der vorgefundenen Mischung aber war jede Menge organisches Material, von „hausmüllähnlichem Gewerbeabfall“ sprechen die Experten. Dieser aber muss seit 2005 in den Verbrennungsofen. Das ist teuer, viel teurer als die heimliche Verklappung.
Sieben Angeklagte sitzen im Gerichtssaal, durchweg Männer höheren Alters in kurzärmeligen Freizeithemden. Sie werden von 17 Anwälten verteidigt. Der größere Teil davon ist auch an diesem Montag im Plenarsaal, dem größten Raum des Stendaler Landgerichts. Die Verteidiger versuchen, Bakiners Aussagen zu erschüttern. Woher er gewusst habe, dass die Laster tatsächlich Müll geladen hätten? Der Detektiv wird ungehalten. „Das hab ich doch durchs Teleobjektiv deutlich gesehen!“ Ein Anwalt erkundigt sich nach Rechtschreibfehlern in Bakiners Bericht, ein anderer hält ihm vor, er habe unerlaubt das Firmengelände betreten, und fragt nach einem möglichen Verfahren wegen Hausfriedensbruchs. „Jetzt wird es wirklich lächerlich“, empört sich der Detektiv. Richter Galler beruhigt die Szene - das Delikt ist längst verjährt.
Grube in Vehlitz: „Der Müll liegt immer noch drunter“
Nach zwei Stunden verlässt der Privatermittler den Gerichtssaal. Auf MZ-Bitte geht es jetzt noch einmal nach Vehlitz. In einer Landschaft aus grünen Weiden und kleinen Dörfern liegt das Ziegeleigelände. Zehn Jahre war Bakiner nicht hier, er hatte mit dem Auftrag längst abgeschlossen. „Da zwischen den Bäumen haben wir unser Auto versteckt und mit einer Tarnplane abgedeckt.“
Dann ist hinter einem Zaun eine gewaltige Senke zu sehen, Gras wächst darauf. „Wahnsinn“, sagt Bakiner. Er hat die tiefe Grube vor Augen, die er einst bei Regen und Kälte observiert hat. „Wahnsinn. Der ganze Müll liegt da immer noch drunter“, sagt der 45-Jährige und ist noch immer fassungslos. (mz)
