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"Das Risiko neu abwägen" So will Minister Willingmann die Wirtschaft in Sachsen-Anhalt stützen

Von Steffen Höhne 16.05.2020, 10:00
 Wirtschaftsminister Armin Willingmann fordert, nicht nur auf das Virus fixiert zu sein. Noch hält er die wirtschaftlichen Schäden für reparabel.
 Wirtschaftsminister Armin Willingmann fordert, nicht nur auf das Virus fixiert zu sein. Noch hält er die wirtschaftlichen Schäden für reparabel. picture alliance/dpa

Magdeburg - Die Corona-Krise trifft eine große Anzahl der Unternehmen in Sachsen-Anhalt. Fast drei Viertel der Unternehmen erwarten Umsatzrückgänge. Wie lange kann der Staat eine Wirtschaft herunterfahren, ohne langfristige Schäden zu riskieren? Wie soll Sachsen-Anhalt aus dem wirtschaftlichen Tal kommen? MZ-Redakteur Steffen Höhne sprach dazu mit Sachsen-Anhalts Wirtschaftsminister Armin Willingmann (SPD).

Herr Willingmann, wie erleben Sie persönlich die Corona-Pandemie? Welcher Verzicht fällt Ihnen privat am schwersten?

Armin Willingmann: Die Arbeit ist fraglos noch intensiver als ohnehin schon. Zwar bin ich derzeit weniger draußen in Unternehmen oder auf Veranstaltungen, dafür nimmt die Abstimmung erforderlicher Maßnahmen in der Corona-Pandemie im Ministerium und unter den Ministerien viel Zeit in Anspruch: jeden Tag gibt es neue Herausforderungen. Positiv sehe ich, wie schnell derzeit Entscheidungen umgesetzt werden. Was sonst Wochen oder Monate dauerte, geht nun in Tagen, manchmal Stunden.

Privat fehlt mir vor allem das Kulturangebot. Ich bin ein begeisterter Theater-, Konzert- und Opernbesucher. Immerhin: Unser Hund profitiert davon, da ich in der knappen Freizeit nun mit unserer Retriever-Hündin wieder längere Spaziergänge im Harz mache.

Bei den Menschen, die Sie treffen: Sorgen die sich mehr vor dem Virus oder um ihre wirtschaftliche Existenz?

Ich glaube, der Blickwinkel hat sich inzwischen verändert. Am Anfang war es die Angst vor dem Virus. Die Bilder aus den Krankenhäusern in Norditalien haben die Menschen sehr beunruhigt. Doch die Infektionsentwicklung in Deutschland - insbesondere in Sachsen-Anhalt - und die spürbaren Folgen des Herunterfahrens des öffentlichen Lebens haben die Krisenwahrnehmung verändert.

Inzwischen haben die Menschen - so nehme ich es zumindest wahr - mehr Sorge vor den wirtschaftlichen Auswirkungen eines zu langen Lockdown. Das ist auch berechtigt. Daher müssen wir auch neue Risikoabwägungen treffen.

Jeder vierte Beschäftigte in Sachsen-Anhalt befindet sich in Kurzarbeit. Wo führt das hin?

Das hängt ganz maßgeblich davon ab, wie lange der Lockdown noch dauert und wie schnell es gelingt, die Wirtschaft wieder anzufahren. Ein nicht unerheblicher Teil der Wirtschaft in Sachsen-Anhalt arbeitet fast normal, ein großer Teil ist aber zum Stillstand gekommen. Als Wirtschaftsminister sehe ich es als eine meiner Aufgaben, dabei zu helfen, diesen Motor wieder anzuschmeißen.

Im Handel beginnt die Öffnung bereits, die Gastronomie und Hotellerie wartet ungeduldig darauf. Wie lange soll die Zwangspause noch gelten?

Der Handel läuft langsam wieder an – die ersten Geschäfte konnten in Sachsen-Anhalt am 20. April ihre Tore wieder öffnen. In den Innenstädten der Großstädte wird das schneller gehen als an meinem Wohnort in Wernigerode. Dort sind viele Unternehmen auf Touristen angewiesen. Aber: Wenn die Infektionslage dies erlaubt und geforderte Hygienestandards eingehalten werden können, wollen wir noch in den Pfingstferien erste Öffnungen im Tourismus, in Gastronomie und bei Beherbergungsbetrieben zulassen. Das ist ein erster Schritt, ich halte diesen auch für unerlässlich.

Warum ist es unerlässlich?

Wenn die Infektionszahlen so niedrig bleiben, wie sie jetzt in Sachsen-Anhalt sind, schwindet die Bereitschaft in der Bevölkerung, Einschränkungen hinzunehmen, das gilt gleichermaßen für Anbieter und Kunden. Es zeichnet sich ab, dass wir länger auf einen Impfstoff warten müssen. Wir müssen also längere Zeit mit dem Risiko durch COVID-19 leben. Da dürfen wir nicht nur fixiert auf das Virus sein, sondern müssen auch sicherstellen, dass das normale Leben, unser „Alltag“ wieder in Gang kommt.

Haben Sie den Ausstieg aus dem Lockdown in der Landesregierung vorangetrieben?

Wir stimmen alle Maßnahmen zwischen den Ministerien gemeinsam ab. Jeder hat sein Ressort und seine Kompetenzen. Ich bin allerdings der Auffassung: Dort, wo es eine günstigere Infektionslage in Deutschland gibt, muss man auch mehr zulassen. Aktuell sind die wirtschaftlichen Schäden des Lockdown noch reparabel, das muss aber nicht so bleiben. In dem Sinne gehöre ich zu denjenigen, die ein Vorangehen befürworten.

Sie hatten schon erwähnt, dass die Tourismuswirtschaft sich auf viele Bereiche auswirkt. Können Sie den Hoteliers Hoffnung machen, dass ihr Sommergeschäft wieder läuft?

Das hängt von der Infektionslage ab, denn die Touristen kommen zum großen Teil aus anderen Bundesländern. Natürlich wird es Öffnungen geben und damit Reisetätigkeit. Das wird innerdeutsch spätestens im Juni Fahrt aufnehmen.

Internationale Handelsketten wie H&M und Hotelketten werden die Krise sicher besser durchstehen als Familienbetriebe. Droht ein Strukturbruch?

Das wollen wir auf jeden Fall verhindern. Daher werbe ich auch dafür, dass wir weitere Stützungsprogramme auf Bundes- und Landesebene auflegen, um eine größere Pleitewelle zu verhindern. Unternehmen muss jetzt durch die Krise geholfen werden, damit sie noch am Markt sind, wenn sich die Verhältnisse wieder normalisiert haben.

Wie wird die staatliche Hilfe derzeit angenommen und was planen Sie?

Bisher haben wir einen Regenschirm, der über die ganze Wirtschaft aufgespannt ist. Unser Soforthilfeprogramm vom Solo-Selbstständigen bis zum Unternehmen mit 50 Beschäftigten wird unglaublich angenommen. Mehr als 42.000 Anträge auf Zuschüsse sind bei der Investitionsbank seit Ende März eingegangen und werden abgearbeitet. Die Antragsfrist endet aber Ende Mai.

Und danach?

Wir sollten dann nicht mehr generell, sondern gezielt weitere Hilfen ausgeben. Die Branchen, die länger vom Lockdown betroffen sind, benötigen zusätzliche Unterstützung. Ich sehe da Spielräume.

Das wirtschaftliche Leben läuft wieder an, Schulen und Kitas sind aber noch weitgehend geschlossen. Überfordert das nicht die Familien?

Wenn die Wirtschaft hochgefahren wird, müssen die Betreuungsangebote natürlich wieder zur Verfügung stehen. Darüber herrscht in der Regierung Konsens. Wir sind bereits dabei, das Betreuungsangebot schrittweise aufzustocken.

Aktuell arbeiten viele „Büroarbeiter“ im Home-Office, digitale Medien werden stärker genutzt. Werden wir auch nach der Krise anders arbeiten?

Ich würde es mir zumindest wünschen. Die Flexibilität, die es derzeit in vielen Unternehmen gibt, sollte nicht gänzlich wieder verschwinden. Ich glaube sogar, dass es eine grundsätzliche Diskussion über die Ausrichtung unserer Wirtschaft geben wird, dazu gehören auch die Arbeitszeitmodelle.

Was meinen Sie mit grundsätzlicher Diskussion?

Die Pandemie hat eine weltweite Krise ausgelöst. Diese führt uns vor Augen, wie wirtschaftlich verflochten, ja abhängig wir in vielen Bereichen sind. Störungen bei Betrieben, die viele tausend Kilometer von uns entfernt sind, führen hierzulande zu Versorgungsengpässen. Ich halte nichts davon, die Globalisierung zurückzudrehen. Doch wir werden künftig darauf achten, das wichtige Bereiche etwa in der Pharmaindustrie oder bei Medizinprodukten zumindest in Europa verfügbar sind. Da geht es nicht nur um Schutzmasken und Beatmungsgeräte.

Was spricht dafür, dass Sachsen-Anhalt schnell aus der Krise kommt?

Der wichtigste Punkt ist, dass die Infektionen auf einem niedrigen Niveau sind und wir deshalb zügig wieder in ein normaleres Leben zurückfinden. Zudem haben wir eine sehr lange Konjunkturperiode hinter uns, die auch den heimischen Unternehmen genützt hat.

Wir haben eine relativ kleinteilige Wirtschaft, die nicht ganz so sehr von der internationalen Wirtschaft abhängig ist. Die müssen wir erhalten. Diese Unternehmen müssen wir jetzt weiter unterstützen. Wenn es uns gelingt, die Wirtschaft bis zum Sommer wieder hochzufahren, dann können wir schon im kommenden Jahr an die ordentliche wirtschaftliche Entwicklung der letzten Jahre anknüpfen. (mz)