Sanierte Schlosskirche Schlosskirche Wittenberg erstrahlt in neuem altem Glanz
Wittenberg - In einer Episode des Siebenjährigen Krieges beschoss die Reichsarmee am 13. Oktober 1760 das von den Preußen besetzte Wittenberg. Ein ganzes Stadtviertel ging im Kanonendonner unter. Das Schloss sah aus wie der Reichstag nach dem 2. Weltkrieg, und auch von der Schlosskirche standen nur noch Außenmauern.
Eine virtuelle Führung durch die Schlosskirche Wittenberg im 360-Grad-Video:
Die Eichentür, an die Luther seine Thesen geschlagen hatte, war verbrannt. Zwei Jahre später fiel im Wiener Kongress Kursachsen an Preußen. Damit geriet Wittenberg unter die Herrschaft der Hohenzollern, und das sollte auch Folgen für das Reformationserbe der Stadt haben.
Friedrich der Weise war da längst nur noch ein fernes Echo. 1503 geweiht, war sein Allerheiligenstift ein Bollwerk spätmittelalterlicher Frömmigkeit gewesen, zählte sein „Heiltum“ mehr als 19.000 Partikel in 174 Gefäßen, gut für 1.902.202 Jahre und 270 Tage Ablass, hielten 64 Angestellte, von den Stiftsherren bis zu Organisten, Dechanten, Kaplänen, Chorsängern und Ministranten, Tag und Nacht einen Betrieb aufrecht, bei dem pro Jahr 1.138 Messen gesungen und 7.856 gelesen wurden, bei einem Verbrauch von 66 Zentner Kerzenwachs. Die Ausgaben für diesen Bau und seinen Betrieb waren immens.
Die Schlosskirche Wittenberg in 3D:
Und doch war nach nur 21 Jahren alles vorbei, dank Luther und dem Sieg der Wittenberger Reformation über die Altgläubigen. Doch noch einmal wenige Jahre später, 1547 nach dem verlorenen Schmalkaldischen Krieg, büßten die Ernestiner den kurfürstlichen Rang ein und zogen sich mit aller Hofhaltung nach Weimar zurück, das Schloss verwaiste.
Luther-Mythos der Schlosskirche Wittenberg ging niemals unter
Doch der Luther-Mythos der Schlosskirche ging niemals unter. Diesen machten sich die Hohenzollern nunmehr zu eigen. Der erste Schritt dazu war das Lutherdenkmal am Marktplatz gewesen. 1858 stiftete Friedrich Wilhelm IV. die bronzene Thesentür.
Eine virtuelle Führung durch die Schlosskirche Wittenberg in 360-Grad-Bildern:
1883 gab Kronprinz Friedrich Wilhelm dem Altertumsforscher und Geheimen Baurat Friedrich Adler den Auftrag zum Um- und Neubau der Schlosskirchenreste zur „Ruhmeshalle der Reformation“, wobei er sich an Quellen und das Vorbild sächsischer Kirchen der Spätgotik hielt.
Die Einweihung am Reformationstag 1892 geriet zum nationalen Staatsakt, zur berüchtigten Vereinigung von Kirche und Thron.
Kaiser Wilhelm II. saß zum ersten und einzigen Male auf dem neugotischen Thronstuhl. Die (calvinistischen) Hohenzollern vertraten den Gedanken der protestantischen Kirchenunion, gespiegelt im Bildprogramm kirchlicher und nationaler Einheit.
Statuen aller Reformatoren an den Pfeilern, darunter auch Zwingli und Calvin, begleitet von 22 Bronze-Medaillons mit Porträts von Gestalten der Reformationsepoche und ihrer Vorgänger wie Jan Hus oder John Wyclif, 52 Wappen reformatorischer Fürsten und Adliger entlang der Emporen, Wappen von 198 deutschen Städten in den Glasfenstern.
Oppulentes Schmuck- und Bildprogramm in Schlosskirche Wittenberg
Das war eingebunden in nie dagewesene Fülle an Bauzier: Am Boden Sandsteinfliesen im Rautenmuster, entlang der Wände Illusionsmalerei von ornamentalen Wandbehängen, von der Decke Licht von gewaltigen Kronleuchtern aus Messing, in Chor und Langhaus geschnitztes eichenes Gestühl, im Gewölbe farbig gefasste Rippen und auf dem Dach glasierte Ziegel in ornamentalen Mustern.
Auf den Schloss-Kirchturm kam die „Kaiserkrone“, darunter kämpferische Zeilen aus „Ein feste Burg“. Mit dem 500. Reformationsjubiläum vor Augen ist die Kirche in ihrer baulichen Substanz und ihren schmückenden Details glanzvoll restauriert worden.
Thesentür der Schlosskirche Wittenberg schimmert bronzefarben
Das Schmuck- und Bildprogramm ist nicht nur aufgefrischt, sondern auch wiedergewonnen und mit allen modernen Möglichkeiten von Lichtinszenierung ergänzt worden.
Auch der Bronzeschimmer der Thesentür kam mit der Reinigung und Konservierung wieder zum Vorschein. So wird allerdings der ganze wilhelminische Pathos des Bauwerks bewusst – aber es ist niemand mehr genötigt, sich damit auch zu identifizieren. (mz)