"Meile der Demokratie" "Meile der Demokratie": So inszenierte sich die AfD beim Bürgerfest als Opfer

Magdeburg - Der Kalte Krieg ist zurück. Er findet an einem kalten Tag mitten in Magdeburg statt. Auf dem breiten Gehweg des Breiten Weges, unweit vom Hundertwasserhaus, haben Gewerkschafter symbolisch eine Mauer aus weißen Pappkartons aufgebaut, darauf prangen Sticker: „Meinungsfreiheit“, „Pressefreiheit“, „Menschenwürde“. Neben den Kartons steht ein Aufsteller, die Aufschrift: „Achtung - Sie verlassen die demokratische Meile“. Ein paar Meter hinter der Mauer befindet sich ein Stand der AfD, zwei blaue Zelte. Und von Demokratie, so sehen es die Gewerkschafter, kann dort ja wohl keine Rede mehr sein. Fast so wie damals an der Grenze zwischen West- und Ost-Berlin, im echten Kalten Krieg.
6.000 Besucher, mehr als 100 beteiligte Gruppen - und erstmals auch die AfD
Magdeburg, am Sonnabend. Sachsen-Anhalts Landeshauptstadt feiert die „Meile der Demokratie“, ein großes Bürgerfest zum Gedenken an die verheerende Bombardierung der Stadt am 16. Januar 1945. 6.000 Besucher, mehr als 100 beteiligte Gruppen - und erstmals auch die AfD. Einen Riesenstreit hatte es vorher gegeben um die Beteiligung der Rechtspopulisten. Der Verein „Miteinander“ hatte seine Teilnahme abgesagt, nachdem klar war, dass die AfD nicht einfach ausgeladen werden kann. Andere, wie der Paritätische Wohlfahrtsverband oder der Flüchtlingsrat Sachsen-Anhalt, hatten nachgezogen. Gemeinsam mit Rechten gegen Rechts - niemals!, so der Tenor.
Meile der Demokratie in Magdeburg als Reaktion auf Neonazi-Märsche
Entwickelt hatte sich die „Meile“ 2009 aus Protesten gegen Neonazi-Aufmärsche: Die Rechtsextremisten hatten über Jahre versucht, die Erinnerung an die Bombenangriffe für sich zu vereinnahmen und umzudeuten.
Neonazis marschieren schon den zweiten Januar in Folge nicht mehr durch Magdeburg. Manche sagen, sie suchen jetzt die Nähe zur AfD. Deren Kritiker halten es für einen Hohn, dass die Partei wie alle anderen Teilnehmer auch den Aufruf unterzeichnet hat, in dem gegen Hass, Gewalt und Rassismus eingetreten wird. David Begrich von der Arbeitsstelle Rechtsextremismus bei „Miteinander“ spricht von einer „völkisch-nationalistischen Partei, die die Grundlagen der Demokratie in Frage stellt“.
Und die AfD? Reagiert erwartungsgemäß: Sie gibt das Opfer. Landes- und Fraktionschef André Poggenburg, modischer grauer Kurzmantel, steht vor dem blauen Doppelzelt seiner Partei mit Blick auf die Pappkarton-Mauer ein paar Meter entfernt. In jedes Mikrofon, das ihm unter die Nase gehalten wird, sagt er, man versuche, die AfD auszugrenzen. „Uns wird immer vorgeworfen, die Gesellschaft zu spalten.“ Er weist in Richtung der Gewerkschafter: „Dabei sind es doch die, die spalten!“ Und überhaupt, wie komme das denn „beim Bürger“ an?
Meile der Demokratie: Zeichen mit einer Kundgebung gegen die AfD
Ja, wie kommt es denn an? Der Bürger, in Gestalt einer älteren Frau, blondierte Haare, schwarze Jacke, Brille, schiebt das Fahrrad an der Pappmauer vorbei und schüttelt mit dem Kopf. „Versteh’ ich nicht“, sagt die Frau, „was soll das? Heißt das, dass da drüben“, sie deutet hinter sich auf die AfD-Zelte, „keine Presse- und keine Meinungsfreiheit herrscht?“ - „Wir grenzen diejenigen aus, die selbst ausgrenzen“, sagt ein Gewerkschafter. - Die Frau darauf: „Damit grenzen Sie aber auch die Wähler der AfD aus. Ich habe die nicht gewählt, aber wenn ich die gewählt hätte, würde ich mich jetzt ausgegrenzt fühlen!“ - Eine andere Gewerkschafterin schaltet sich ein: „Wir grenzen die Wähler nicht aus. Aber die sollten mal darüber nachdenken, wen sie da gewählt haben.“ - Ein Mann in einer Jacke mit Flecktarnmuster geht vorbei. Er ruft in Richtung Pappmauer: „Kindergarten!“
Man könnte sagen, die Gewerkschaften haben der AfD eine Steilvorlage für deren Opferrolle geliefert. Und sind in die Falle gelaufen. Andererseits, meint ein Aktivist: „Man muss doch ein Zeichen setzen. Nichts tun geht auch nicht.“
Meile der Demokratie: Ein bunter Schal steht für Vielfalt
Andere setzen ein Zeichen mit einer Kundgebung gegen die AfD. Domplatz, eine halbe Stunde vor der Eröffnung der „Meile der Demokratie“. Mehrere Hundert Menschen sammeln sich um Verdi-, IG-Metall- und Regenbogen-Fahnen. Ein Bündnis linker Gruppen hat zu einer Demonstration durch die Altstadt aufgerufen, Motto: „Blau ist das neue Braun“ - in Anspielung auf die AfD-Parteifarbe. Der Protest solle keine Konkurrenz zur „Meile der Demokratie“ sein, betont David Begrich von „Miteinander“: „Aber wenn an der Meile eine Partei teilnimmt, deren Ziele denen der Meile diametral entgegen stehen, dann verändert das den Charakter der Meile.“
Wirklich? Entlang des für das Fest gesperrten Breiten Weges reiht sich Stand an Stand. Die AfD, die von der Stadtverwaltung ganz am Rand des Festgeländes platziert worden ist, ist hier buchstäblich weit weg. Zwischen Flyern, Suppe und Kuchenbasar präsentieren Vereine und Verbände, Parteien und Gewerkschaften, Initiativen und Schulen ihre Arbeit - eine Leistungsschau der Gesellschaft und derer, die sie ausmachen. Schüler, unterstützt von Besuchern, entrollen einen mehrere Hundert Meter langen bunten Schal, von vielen Händen gestrickt. Ein Symbol für Vielfalt und Toleranz.
Landtagspräsidentin Brakebusch: Extremismus hat keinen Platz in diesem Land
Auch bei der offiziellen Eröffnung der „Meile“ spielt die AfD keine Rolle. Auf einer Bühne spielt eine Band ein paar Songs, die Sängerin singt von Farbe, Liebe und Leben. Sachsen-Anhalts Landtagspräsidentin Gabriele Brakebusch (CDU) stellt es ganz clever an in ihrer Eröffnungsrede. Sie betont, dass „jegliche Form von Extremismus“ keinen Platz habe im Land. Wo Extremismus anfängt und wo er aufhört, das kann jeder Zuhörer für sich selbst entscheiden. Magdeburgs Oberbürgermeister Lutz Trümper (SPD) erinnert wie Brakebusch an den 16. Januar 1945, als am Abend binnen 39 Minuten britische Flugzeuge 1 050 Tonnen Bomben über der Stadt abwarfen und rund 2 000 Menschen starben.
Nachdem Deutschland damals andere Länder bombardiert habe, sagt Trümper, „ist der Krieg zu uns zurückgekommen und hat unsere Stadt zerstört“. Ein Satz, der auch als Ansage an AfD-Chef Poggenburg verstanden werden kann, der mit Parteifreunden vor der Bühne steht. Die AfD will in der kommenden Woche im Landtag eine Gedenkstätte für die zivilen Opfer der Bombenangriffe des Zweiten Weltkriegs in Sachsen-Anhalt durchsetzen. Der Landtag solle, heißt es im Antrag, die „alliierten Luftangriffe auf die Zivilbevölkerung“ verurteilen. Von einer Einordnung, wie Trümper sie liefert, ist nichts zu lesen.
Am Nachmittag droht der Kalte Krieg am AfD-Stand dann doch noch heiß zu werden. Eine Straßenbahnhaltestelle, von den blauen Zelten nur durch eine Fahrspur getrennt. Rund 100 meist junge AfD-Gegner haben sich versammelt. Aus der Gruppe werden Papierklumpen geworfen, die Fäkalien darstellen sollen. Transparente werden entrollt, „Nazis raus!“-Rufe skandiert. Plötzlich stürmt eine Gruppe Aktivisten in weißen Schutzanzügen und mit Masken vor dem Mund auf die Fahrbahn. Sie verteilen Zettel, auf denen der AfD-Stand als „Tatort des Rassismus“ bezeichnet wird. Als sie ein Absperrband entrollen wollen, stoppt die Polizei sie; es kommt zu Rangeleien.
Polizei räumt friedliche Kundgebung gegen die AfD
Nach etwa einer Stunde lässt Regina Mittendorf, die Versammlungsleiterin der „Meile der Demokratie“, die weitgehend friedliche Kundgebung von der Polizei räumen. Mittendorf sagt, sie habe befürchtet, dass der Protest in Gewalt umschlagen könne. Sie beruft sich auch auf den Aufruf zur Meile, in dem zu Respekt im Umgang miteinander gemahnt wird. „Wenn jemand gefakte Fäkalien wirft, kann davon keine Rede mehr sein.“
Geht es nach der AfD, werden die Vorfälle in der kommenden Woche noch einmal eine Rolle spielen - auch der Angriff auf den stellvertretenden Landesvorsitzenden Ronny Kumpf, der am Vormittag von einem AfD-Gegner bespuckt worden war. Die Fraktion hat im Landtag eine aktuelle Debatte beantragt. Die „Meile der Demokratie“ ist vorbei. Der Streit darum geht weiter. (mz)
