Leerstand in Sachsen-Anhalt Leerstand in Sachsen-Anhalt: Große Sorgen in Kleinstädten - hilft Abriss?

Magdeburg - Während in den westdeutschen Ballungszentren der Wohnraum knapp wird, steigt der Leerstand bei den Wohnungsgesellschaften und Wohnungsgenossenschaften in Sachsen-Anhalt an. Vor allem in Kleinstädten wird die Lage prekär. Der Direktor des Verbandes der Wohnungswirtschaft, Jens Zillmann, sagt, was aus seiner Sicht dagegen getan werden kann. Mit ihm sprach Steffen Höhne.
Herr Zillmann, in vielen deutschen Großstädten herrscht Wohnungsnot. Wie sieht die Lage in Sachsen-Anhalt aus?
Jens Zillmann: Nach unserer Einschätzung gibt es diese hier nicht. Die kommunalen und genossenschaftlichen Wohnungsgesellschaften verfügen in Sachsen-Anhalt insgesamt über rund 330.000 Wohnungen, davon stehen etwa 32.000 leer. In Halle und Magdeburg haben wir noch etwa 7000 leerstehende Wohnungen. Was wir aber auch hierzulande sehen, ist eine sehr unterschiedliche Entwicklung zwischen Großstädten und ländlichen Räumen. Während der Leerstand in Halle auf sieben Prozent und in Magdeburg auf fünf Prozent gesunken ist, liegt er auf dem Land in der Spitze bei 41 Prozent.
Im ländlichen Raum sind die Entwicklungen aber doch auch höchst unterschiedlich, oder?
Natürlich haben wir Mittelzentren mit Wernigerode, Wittenberg oder Naumburg, die recht gut dastehen. Doch insgesamt ist die Entwicklung negativ. Im Frühling 2019 hatten von den 81 kommunalen Wohnungsgesellschaften schon 32 Unternehmen einen Leerstand von mehr als 15 Prozent. Ende September waren es bereits 37. Bei einem dauerhaften Leerstand von mehr als 15 Prozent ist aus den Erfahrungen des Altschuldenhilfegesetzes zu befürchten, dass diese Wohnungsunternehmen auf längere Sicht in ihrem Bestand gefährdet sind.
Was sind das für Städte?
Sie sind in ganz Sachsen-Anhalt verteilt. Die höchsten Leerstände gibt es in Kleinstädten in den Landkreisen Mansfeld-Südharz, Harz, Salzlandkreis und Börde.
Warum steigt der Leerstand?
Es gibt zwei wesentliche Gründe. Zum einen der demografische Faktor: Es sterben mehr Menschen als geboren werden. Zum anderen ziehen die Bürger auch weg, weil sie von Infrastruktur abgekoppelt werden. Wenn der Supermarkt, der Arzt, der Busanschluss, die Schule, das Schwimmbad weg sind und schnelles Internet in weiter Ferne liegt, dann ziehen die jungen Menschen in die größeren Städte.
Befürchten Sie eine neue Leerstandswelle?
Wir sind bereits mittendrin. In beiden Verbänden lag 2018 die Wiedervermietungsquote nur bei 92 Prozent. Das heißt, es gelingt nicht, für alle frei werdenden Wohnungen Nachmieter zu finden.
Die MZ berichtet ständig über den Bauboom. Dieser beschränkt sich nicht nur auf Halle und Magdeburg. Da stellt sich die Frage: Sind die von den kommunalen Gesellschaften angebotenen Wohnungen vielleicht nicht attraktiv genug?
Ja und nein. In den letzten Jahren wurden zwar Milliarden investiert, um attraktiven Wohnraum zu schaffen. Aber noch immer sind 60 Prozent der Wohnungsbestände bei unseren Unternehmen dem Geschosswohnungsbau aus DDR-Zeiten zuzuordnen und es baut sich ein neuer Modernisierungsstau auf.
Sie meinen die Platte?
Platte ist nicht gleich Platte. Wir haben sehr attraktive Blöcke, in denen mitunter Etagen zurückgebaut und Fahrstühle angebaut wurden. Die erkennen Sie gar nicht mehr als DDR-Platte. Um einen typischen Wohnblock jedoch in Zukunft vermieten zu können, müssen Investitionen getätigt werden.
Die Firmen hatten 30 Jahre Zeit, neuen, attraktiven Wohnraum zu schaffen. Sind sie nicht selbst schuld?
Ein großes Nein. Der Wohnungsbestand war sehr einseitig nach der Wende und musste mit hohem Aufwand modernisiert werden. Viele ältere Menschen wohnen seit Jahrzehnten in den Häusern und wollen da auch nicht weg und gerade für einkommensschwache Menschen ist der vergleichsweise günstige Wohnraum ja auch wichtig.
Aber ohne Neubau geht es nicht.
Richtig, viele Wohnungsbaugesellschaften - nicht nur in den Großstädten - haben auch attraktive Neubauprojekte erfolgreich umgesetzt. Ich kann da zahlreiche Beispiele wie in Naumburg, Bitterfeld-Wolfen, Salzwedel oder Aschersleben aufzählen. Doch wenn eine kleinere Wohnungsgesellschaft bereits einen hohen Leerstand hat, dann ist es nicht so einfach, in teuren Neubau zu investieren.
Was muss also passieren? Weiter Blöcke abreißen?
Sicher werden noch Wohnungen vom Markt genommen - Abriss allein ist aber keine Lösung. Vielmehr müssen Rahmenbedingungen geschaffen werden, die es den Unternehmen erlauben, den Zukunftsthemen wie Klimaschutz, Energieeffizienz und Demografie mit Investitionen zu begegnen.
Was schlagen Sie vor?
Zum einen müssen die ländlichen Regionen gestärkt werden, per Bus und Bahn an die Ballungszentren angeschlossen und die Infrastruktur verbessert werden. Wenn in Leipzig oder Halle der Wohnraum knapp wird, dann sind Städte wie Merseburg, Zeitz oder Hohenmölsen attraktive Wohn-Alternativen. Zudem benötigen wir eine investitionsfreundliche Mietenpolitik und zusätzliche staatliche Mittel, um insbesondere den bestehenden Wohnraum zu modernisieren. Wir müssen die Qualität der Wohnungen verbessern.
Fördermittel sollen es also richten?
Nicht allein, aber begleitend. Unsere zentralen Forderungen an die Bundes- und Landespolitik sind klar formuliert: Städtebauförderung, Lösung der DDR-Altschuldenfrage und angemessene Kosten der Unterkunft für Hartz-IV-Bezieher sind die Eckpfeiler für eine soziale Wohnraumversorgung. Die Alternative ist, dass die Landflucht sich verstärkt. (mz)
Der 52-jährige Jens Zillmann wurde in Radegast bei Köthen geboren. Nach einer Kaufmannslehre hat er Außenwirtschaft und Betriebswirtschaft studiert. 1991 begann er, bei der Norddeutschen Landesbank zu arbeiten und war dort zuletzt Direktor des Bereichs Wohnungswirtschaft. Seit Mai 2019 führt er den Verband der Wohnungswirtschaft Sachsen-Anhalt.